Wo Nomaden fischen

Wegen der epochalen Dürre in Somaliland will die Regierung des Staats am Horn von Afrika die Hirten und Bauern des Inlands dauerhaft an der Küste ansiedeln. Hier sollen sie zu Fischern werden

Nachdem Muhammed Abdi Ali beinahe seine gesamte Herde verlor, 180 Ziegen, dahingerafft von einer verheerenden Dürre, entschloss er sich, schwimmen zu lernen. Muhammed ist ein hagerer Mann Anfang dreißig. Man sieht ihm an, dass er viele Jahre durch karge, unerbittliche Landschaften gezogen ist, immer auf der Suche nach Weiden und Wasser. Vor fünf Jahren blieb der Regen in Somaliland aus. Anderthalb Jahre fiel kein Tropfen, die Tiere starben, und der Hunger erfasste schließlich auch Muhammeds Familie. Als ihnen nur noch 20 Ziegen blieben, entschlossen sie sich, in die Stadt Burao zu fliehen.

Dort hörte Muhammed, dass er unten am Meer als Fischer arbeiten könne. Er ging in die Hafenstadt Berbera, zog verzweifelt durch die Straßen, bettelte um Arbeit und fand sie schließlich bei einem Fischhändler, auf dessen schmalem, wackligem Boot Muhammed fischen sollte. 

Die erste Ausfahrt machte ihm so viel Angst, dass er aufgeben wollte. „Ich dachte immer, dass Menschen im Meer sterben“, sagt Muhammed, der wie alle Menschen hier mit Vornamen angesprochen wird. Doch er nahm sich ein Beispiel an seinem Vorarbeiter, der unbeeindruckt Tag für Tag aufs Meer hinausfuhr, dachte sich, „Das kann ich auch“, ging zum Strand und brachte sich selbst das Schwimmen bei. 

Die Altstadt Berberas erstreckt sich entlang des Fischereihafens. Sandige Straßen, verfallende Häuser, die Wände mit blauen Fischen bemalt. Aus beinahe jedem Gebäude verkaufen Männer und einige wenige Frauen den Fang der vergangenen Tage. Es scheint, als habe die Fischerei hier eine lange, kontinuierliche Geschichte. Doch es ist nicht allzu lange her, da bekam man in den Geschäften keine Makrelen oder Zackenbarsche, sondern Datteln und Zigaretten. So erzählen es die wenigen alten Fischer der Stadt. Und das, obwohl Somaliland 850 Kilometer Küste mit den reichsten Fischgründen im Nordwesten des Indischen Ozeans hat. 

Das Land ist von nomadischer Viehzucht dominiert; ein Großteil der Bevölkerung sorgt so für sein Auskommen. Es macht zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts aus. Doch der Klimawandel gefährdet diesen Lebenswandel und dadurch die Wirtschaft des ganzen Landes. 

Früher kamen die Dürren im Schnitt alle 15 Jahre. Spätestens seit 2011 ereignen sie sich jährlich. 2017 war die bisher verheerendste. Sie raffte einen Großteil des Viehs dahin, selbst die Bestände der Kamele – Tiere, die wie keine anderen an die Konditionen angepasst sind – dezimier­te sie um mehr als die Hälfte. Auf dem ­Climate Adaptation Index, einer Rangliste, wie gut Länder auf Schocks durch den ­Klimawandel reagieren können, landete Somalia, zu dem auch Somaliland gezählt wird, bei den Schlusslichtern, obwohl sie zusammen gerade 0,001 Prozent zum globalen CO2-Ausstoß beitragen. Die Fischerei im Golf von Aden verspricht Rettung.  

Die Dürre trieb Tausende aus dem Land in die Städte. Einige von ihnen fanden wie Muhammed den Weg ans Meer. Sie suchten Sicherheit in den weitgehend unerschlossenen Fischgründen des Landes. Auch die Regierung sah das Potenzial. 2019 kündigte der Finanzminis­ter Saad Ali Shire an, dass ein großer Teil der Nomaden an der Küste angesiedelt werden sollen: zwei Millionen Menschen bis 2030. Ein ambitionierter Plan für ein Land, in dem knapp sechs Millionen Menschen leben. Vom Fang über den Verkauf bis zum Verzehr sieht man, wie schwierig die Umsetzung dieses Plans sein wird. 

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DER FANG
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In diesen Tagen im Spätherbst beginnt die Saison. Die Stürme sind abgeklungen, die Temperaturen gefallen, und die fetten Fische ziehen aus dem Indischen Ozean in den Golf von Aden. Muhammed Abdi Ali und sein Steuermann Mustafa Muhammed Kani fahren mit dem Sonnenaufgang aus dem Hafen. Ihre Ausstattung ist bescheiden: zwei Spulen mit Angelschnur, zwei Köder, ein rostiger Kühlschrank. Sie fahren entlang des langen Strands gen Osten. Die Wellen schaukeln das Boot sanft. Es dauert nicht lange, bis die ersten Fische anbeißen: Euthynnus affinis, kleine Verwandte der Thunfische. Sie ziehen einen nach dem anderen aus dem Wasser. Die Angelschnur schneidet in ihre Finger. 

Es ist eine schweigsame Ausfahrt. Wenn die Fische für einen Moment nicht beißen, halten die beiden Männer Ausschau. Manchmal kommen die Schwärme an die Oberfläche und kräuseln das Wasser. Und wenn Muhammed sie zuerst sieht, weist er den Steuermann Mustafa darauf hin. Mustafa ist auch ehemaliger Nomade, fischt aber schon seit vielen Jahren. Er hat Muhammed angelernt. Er sei ein guter Schüler, befolge Order, sagt Mustafa über Muhammed. 

Drüben am Containerhafen, dessen Kräne den Horizont markieren, liegt die Marineakademie. 2005 wurde sie gegründet, sie soll den Fischereisektor voran­bringen, Menschen für die Arbeit auf See ausbilden. Doch die alten Fischer, die sich jeden Nachmittag am Hafen zum Diskutieren treffen, klagen, dass die Rekruten der Akademie nicht für die Arbeit auf See zu gebrauchen sein. Die Nomaden hingegen seien harsche Bedingungen und harte Arbeit gewöhnt. 

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mare No. 155

mare No. 155Dezember 2022 / Januar 2023

Von Daniel Etter

Daniel Etter, Jahrgang 1980, Autor und Fotograf, lebt in Berlin und im katalanischen Sant Aniol de Finestres und arbeitet unter anderem für „Spiegel“, „Geo“ und die „Zeit“. In Somaliland hat er die ersten Verwerfun­gen einer Dürre miterlebt, die inzwischen in ihr viertes Jahr geht.

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Vita Daniel Etter, Jahrgang 1980, Autor und Fotograf, lebt in Berlin und im katalanischen Sant Aniol de Finestres und arbeitet unter anderem für „Spiegel“, „Geo“ und die „Zeit“. In Somaliland hat er die ersten Verwerfun­gen einer Dürre miterlebt, die inzwischen in ihr viertes Jahr geht.
Person Von Daniel Etter
Vita Daniel Etter, Jahrgang 1980, Autor und Fotograf, lebt in Berlin und im katalanischen Sant Aniol de Finestres und arbeitet unter anderem für „Spiegel“, „Geo“ und die „Zeit“. In Somaliland hat er die ersten Verwerfun­gen einer Dürre miterlebt, die inzwischen in ihr viertes Jahr geht.
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