Wir-Denken im Club Med

Die Mittelmeerunion verbindet die Staaten der EU mit den übrigen Mittelmeeranrainern wirtschaftlich, politisch und kulturell. Ein ehrgeiziger Plan, der langen Atem braucht

Libanon: Ein Drittel der Küste ist seit der Ölpest von 2006 vergiftet. Mauretanien: Geschätzte 600 000 Menschen leben in Sklaverei. Algerien: 140 algerische Journalisten wurden seit den neunziger Jahren getötet. Palästina: Zwischen 1200 und 1400 Palästinenser starben im Winter 2008/2009 durch israelische Bomben. Die vier Länder haben am 13. Juli 2008 in Paris unterzeichnet, dass sie sich für Frieden, Wohlstand und Sicherheit, für Verständigung, Austausch und Gemeinsamkeit einsetzen wollen. Über alle Unterschiede hinweg. Trotz aller Schwierigkeiten.

Seitdem gehören sie zur Union für das Mittelmeer (UfM). Diese will aus dem europäisch-afrikanisch-asiatischen Binnenmeer eine Einheit formen. Das 2,5 Millionen Quadratkilometer große Mittelmeer soll vereinen, nicht mehr trennen. Noch immer ist es die Grenze mit dem größten Wohlstandsgefälle der Welt. Dieses Gefälle soll abgetragen werden: 43 Länder unterzeichneten das Abkommen, das ab Sommer 2009 mit Inhalten gefüllt wird.

Die UfM hat drei Kontinente, drei Religionen und viele Kulturen zu verbinden. Sie soll als Brücke dienen, über die nicht nur Waren und Rohstoffe reisen, sie soll auch 700 Millionen Menschen vereinen. Und, so formulierte es sinngemäß der Gastgeber der Unterzeichnerkonferenz, Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, sie solle nichts weniger als die Krise des Islams lösen, der zwischen Modernisierung und Fundamentalismus schwanke. Die UfM sei da, die Kriegsgefahr zwischen dem Norden und dem Süden zu bannen.

Neben den 27 Mitgliedsstaaten der EU und dem ihr assoziierten Monaco sind Marokko, Algerien, Tunesien sowie Ägypten dabei. Auch der Libanon, Syrien, Israel haben unterzeichnet, die Palästinensischen Autonomiegebiete und das Binnenland Jordanien. Mauretanien, das keine Mittelmeerküste hat, hat ebenso ratifiziert wie Bosnien und Herzegowina, Albanien und Montenegro, neben der Türkei und Kroatien. Libyen hat Beobachterstatus und fehlte in Paris.

Vereinbart wurden zunächst sechs konkrete Projekte, für die zehn Milliarden Euro bereitgestellt wurden: Reinigung des Mittelmeers, Bau transnationaler Verkehrswege, Gewinnung von Solarenergie, gemeinsamer Zivil- und Katastrophenschutz, Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen sowie Partnerschaft zwischen Hochschulen. Die UfM will mehr sein als die Summe bisheriger europäischer Kooperationsprojekte in Nordafrika, Südosteuropa und dem Nahen Osten. Ihren Vorläufer, den 1990 erdachten und 1995 in Barcelona unterzeichneten sogenannten Barcelona-Prozess, will sie in verbesserter Form fortführen. Die Union für das Mittelmeer ist ein enorm ehrgeiziges Abkommen. Sie soll ein kohärentes Konzept europäischer Außenpolitik jenseits der südlichen Grenzen verkörpern.

Jeweils ein EU- und ein Nicht-EU-Land haben den Doppelvorsitz, der alle zwei Jahre neu gewählt wird. Bis 2010 führen Frankreich und Ägypten die Gruppe an. Entscheidungen treffen die Außenminister, umsetzen soll sie ein noch nicht gewählter Generalsekretär. Ständiger Sitz des Sekretariats ist Barcelona. Hier ist auch die heimliche Hauptstadt der euromediterranen Union. Die Hafenstadt schaffte es, mit einer eigenen Kandidaten-Website, aufwendiger Werbung und medialer Unterstützung – beinahe wie in den Achtzigern, als sich Barcelona erfolgreich um die Olympiade von 1992 bewarb – das Thema unter den Bürgern bekannt zu machen. „Barcelona kehrt auf die Weltkarte zurück“, titelte eine Zeitung nach dem Zuschlag vom 4. November 2008. Da schwingen Erinnerungen mit an glorreiche Zeiten, als Katalonien das Mittelmeer beherrschte und Zentrum der Welt war.

In Barcelona hat nicht nur die UfM ihren Sitz, dort ist auch das Europäische Mittelmeerinstitut (IEMed). Im Beirat dieses Thinktanks zu mediterranen Fragen sitzen rund 40 Intellektuelle aus Mittelmeerländern. Das Institut hat wesentlich zur Entwicklung von Inhalten beigetragen. Wenn Spanien im ersten Halbjahr 2010 die EU-Ratspräsidentschaft innehaben wird, will Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero glänzen – mit Vorschlägen, die im IEMed bei rund 40 Tagungen und Seminaren erarbeitet werden.

Der Leiter des IEMed heißt Senén Florensa. Der Jurist, Wirtschaftswissenschaftler und langjährige Diplomat kann begeistern, wenn er von der UfM spricht – und fordert von Kritikern und Skeptikern Geduld. „Die Europäische Union wurde nach zwei verheerenden Kriegen als Wirtschaftsraum gegründet und ist noch heute, 50 Jahre nach dem Vertrag von Rom, ständig im Prozess“, sagt er. „Bei der Union für das Mittelmeer sprechen wir von einer Idee, die vor 19 Jahren keimte.“


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mare No. 74

No. 74Juni / Juli 2009

Von Brigitte Kramer

Brigitte Kramer, Jahrgang 1967, lebt auf halbem Weg zwischen Barcelona und Algier. Ihre Wahlheimat Mallorca war früher Knotenpunkt im mediterranen Handel. Heute leben dort viele Einwanderer aus Nordafrika – neben Lateinamerikanern, Mallorquinern, Festlandspaniern und anderen Europäern. Der Abstand zur Welt wird auf der Mittelmeerinsel vielleicht kleiner empfunden als anderswo.

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Vita Brigitte Kramer, Jahrgang 1967, lebt auf halbem Weg zwischen Barcelona und Algier. Ihre Wahlheimat Mallorca war früher Knotenpunkt im mediterranen Handel. Heute leben dort viele Einwanderer aus Nordafrika – neben Lateinamerikanern, Mallorquinern, Festlandspaniern und anderen Europäern. Der Abstand zur Welt wird auf der Mittelmeerinsel vielleicht kleiner empfunden als anderswo.
Person Von Brigitte Kramer
Vita Brigitte Kramer, Jahrgang 1967, lebt auf halbem Weg zwischen Barcelona und Algier. Ihre Wahlheimat Mallorca war früher Knotenpunkt im mediterranen Handel. Heute leben dort viele Einwanderer aus Nordafrika – neben Lateinamerikanern, Mallorquinern, Festlandspaniern und anderen Europäern. Der Abstand zur Welt wird auf der Mittelmeerinsel vielleicht kleiner empfunden als anderswo.
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