Windspiel mit Strandbiestern

Am Nordseestrand galoppieren eigentümliche Stelzenwesen. Ein Künstler spielt mit Holz und Klebeband Evolution

Dinosaurierskelette kommen   einem in den Sinn. Ausgebleichte Knochen toter Riesentiere. Vielleicht auch „Star Wars“-Kampfmaschinen von fernen Planeten. Sie stehen im Museumssaal und sehen mit ihren oblatendünnen Flügelmembranen und spindeligen Knochengerüsten fast ausgetrocknet aus. Bis der Blick auf einen Bildschirm fällt, in dem eines der Skelette erstaunlich grazil einen Strand entlangläuft. Lautlos krabbelt der fleischlose Riese über den Sand, die Kniegelenke bei jedem Schritt brav beugend. Animaris currens ventosa in Aktion.

Angefangen hat alles vor 14 Jahren bei einem Strandspaziergang. Theo Jansen, niederländischer Künstler und Physiker, war schon immer von der Evolutionstheorie fasziniert und seit einiger Zeit mit der Kreation virtueller Wurmkolonien beschäftigt. Er schlenderte also am Nordseestrand entlang und dachte über den steigenden Meeresspiegel nach. Wie könnte man verhindern, dass die Niederlande ein Opfer der Fluten werden? Ganz einfach: Man müsste dafür sorgen, dass die Dünen ständig wachsen. Am Strand sollten Tiere leben, die den Sand aufwühlen und in die Luft werfen, so dass er vom Wind auf die Dünen getragen wird. Leider hatte die Evolution solche Tiere bisher nicht hervorgebracht.

Ein halbes Jahr später hatte der heute 55- Jährige eine Idee. Er fuhr in den nächsten Baumarkt, besorgte Elektroinstallationsrohre und Klebeband und machte sich an die Erschaffung seines ersten Strandtiers, des Animaris vulgaris. Vom Wind getrieben, sollte die Röhrenkreatur selbstständig den Strand entlanglaufen und mit ihren Pfoten den Sand aufwerfen.

Gluton – Geklebte
Die Schöpfung einer Parallelfauna hatte begonnen, die Evolution sogar schon ihren ersten Sprung gemacht: Vom Pregluton – der Zeit vor dem Klebeband, als Jansen nur die computergesteuerte Entwicklung virtueller Kringelwürmer beobachtete – war man im Gluton angelangt, der Klebebandperiode. Einziges Problem war, dass das Klebeband das Gewicht der Plastikrohre nicht tragen konnte. Die Kreatur sackte kläglich in sich zusammen.

Chorda – Gelenkige
Im Lauf der Zeit lernten die Tiere jedoch nicht nur zu stehen, sondern tatsächlich auch zu laufen. Wie in der Natur, so bilden auch in der Welt der Strandtiere Mutationen die Grundlage des evolutionären Fortschritts – allerdings äußert sich eine Mutation in Jansens Atelier nicht in Gestalt der zufälligen Veränderung eines Gens, sondern als Denkanstoß, gefolgt von einem Experiment.

Calidum – Heiß Geborene
Nachdem der Künstler zunächst den Nylonkabelbinder als tragfähigeren Ersatz für das Klebeband entdeckt und damit die Periode des  Chorda eingeleitet hatte, lernte er wenig später, den Gelenken der Tiere mit Hilfe eines Farbbrenners Stabilität zu verleihen. Und als ihm auffiel, dass eine niedrigere Brennertemperatur den Gelenken noch besser bekam, erfolgte der Sprung vom Calidum ins Tepideem.


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mare No. 38

No. 38Juni / Juli 2003

Von Anneke Bokern

Anneke Bokern, Jahrgang 1971, lebt als freie Journalistin in Amsterdam. In mare No. 37 schrieb sie über die Kunstexporteure im Sevilla des 17. Jahrhunderts.

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Vita Anneke Bokern, Jahrgang 1971, lebt als freie Journalistin in Amsterdam. In mare No. 37 schrieb sie über die Kunstexporteure im Sevilla des 17. Jahrhunderts.
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Vita Anneke Bokern, Jahrgang 1971, lebt als freie Journalistin in Amsterdam. In mare No. 37 schrieb sie über die Kunstexporteure im Sevilla des 17. Jahrhunderts.
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