Windige Geschäfte

Samsø ist der heimliche Star der Klimaretter. Die kleine dänische Ostseeinsel hat die ökologische Wende geschafft. Die Gründe hierfür sind allerdings handfester ökonomischer Natur

Nur noch ein Gespräch muss er führen, die letzte Eroberung. Was wird der alte Gutsherr sagen? Über diesen Windpark, der vor der Küste im Meer entstehen soll, in Sichtweite seines herrschaftlichen Anwesens?

Es ist Herbst 1999, seit Jahren bastelt Søren Hermansen bereits an seinem Traum. Unzählige Male hat er mit den Bürgern diskutiert, von Windrädern, Solarzellen und Heizkraftwerken geschwärmt, als seien sie Goldminen. Jetzt fehlt nur noch der Windpark in der Ostsee. Wird er gebaut und in Betrieb genommen, darf sich Samsø endlich CO2-frei nennen. Samsø, die erste Insel weltweit, die Öl und Gas entsagt. Was für ein Titel. Sagt der Alte „Nej“, wäre alles umsonst.

Hermansen steigt ins Auto und fährt zur Brattingsborg hinauf, einer Burg mit Erkern und Türmchen im Süden der Insel, wo der alte Gutsherr residiert. Er heißt Anders Danneskiold Lassen und hat bereits durchblicken lassen, dass er nichts von blinkenden Windrädern hält, die ihm die freie Sicht aufs Meer nehmen. Seine Meinung hat Gewicht, immerhin gehört ihm ein Fünftel der Insel.

Lassen empfängt Hermansen in einem dunklen Büro im Souterrain. Eine Stunde hat Hermansen, um diesen knarzigen alten Mann mit Hängelid und Hakennase zu überzeugen. Nicht viel Zeit. Aber er hat einen Trumpf. Er will ihm einen Platz im Präsidium des Windparks anbieten. Ob das reicht? „Ich hatte keine Ahnung, wie das Gespräch endet“, sagt Hermansen.

Als er wenig später wieder in seinem Wagen sitzt, ist es tatsächlich geschafft. Der alte Gutsherr hat Ja gesagt – irgendwie typisch für Hermansen, der mit Charme und guten Argumenten bisher fast jeden überzeugen konnte. Das Projekt zu blockieren sei doch schlecht fürs Image, hat er zu Lassen gesagt. Das zog. Gut, die Windräder werden ein paar hundert Meter östlich gebaut, damit der alte Mann weiter ungestört aufs Meer blicken kann. Damit kann Hermansen leben. Hauptsache, sein Ziel ist erreicht: die dänische Ostseeinsel Samsø hundertprozentig CO2-frei.

Es ist eine Erfolgsgeschichte fernab der großen Politik. Anstatt für Öl und Gas teuer zu bezahlen, versorgen sich die Samsinger selbst, mit Wind- und Solarstrom. Ihnen gehören die zehn Windräder an Land und die zehn auf See, draußen vor der Brattingsborg. Der Wind bläst hier so oft und so stark, dass sie sogar Überschuss produzieren und ans dänische Festland verkaufen, ein gutes Geschäft.

Die Wärme holen sich die Bewohner aus drei inseleigenen Heizkraftwerken. Dort werden Stroh und Holz verfeuert, nicht Gas, nicht Kohle. Mittlerweile reisen von überall Energieexperten, Studenten und Journalisten an, nur um zu erfahren: Wie hat Søren Hermansen die Energiewende geschafft? Ausgerechnet auf Samsø, der Insel der einfachen Kartoffelbauern?

Fast ehrfürchtig sprechen sie auf Samsø von Hermansen. 2008 wurde er vom amerikanischen „Time“-Magazin zum „Helden der Umwelt“ gekürt. Er hält Vorträge in Korea und Japan. Erklärt jedes Jahr Hunderten, wenn nicht Tausenden Besuchern das Energieprojekt Samsø, wenn es sein muss auch dem Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso. Manche Samsinger nennen Hermansen gar „den Verführer“. Ein Mann, der es genießt zu überzeugen. Der den Widerstand braucht.

Wer ihn besuchen will, setzt von Jütland über und fährt an die Ostküste von Samsø. Es ist nur ein kurzer Weg. Die Insel ist gerade einmal 28 Kilometer lang und sieben Kilometer breit. 4000 Menschen leben hier. Es ist so still, dass die Samsinger ihren Urlaub lieber in der Großstadt verbringen. Es gibt keine Ampeln, dafür kilometerlange Sandstrände.

Es geht immer geradeaus, vorbei an weiß gestrichenen Kirchen und reetgedeckten Backsteinhäusern. Und dann ist man da, im Hafenörtchen Ballen. Hier, vielleicht 100 Meter vom Meer entfernt, steht Søren Hermansens Energieakademie. Sie ist ein privat organisiertes Institut, das Energiesparkurse anbietet und Hausbesitzer bei der Isolierung berät. Das Gebäude sieht aus wie ein lang gestreckter Stall. Es ist wärmegedämmt und sparsam, mit einem Dach voller Solarzellen.

Drinnen wühlt Hermansen in Unterlagen. Er ist ein unscheinbarer, kleiner Mann Anfang 50, angehende Glatze, Bäuchlein und Hausschuhe an den Füßen. Ein Verführer in Filzpantoffeln. Weil er und seine sieben Mitarbeiter in einem Großraumbüro arbeiten, verzieht er sich mit Besuchern gern in die Teeküche. So wie er jetzt mit Block und Stift am Tisch sitzt und seine Tasse zurechtschiebt, erinnert er ein wenig an einen Psychotherapeuten. Freundlich interessiert, aber zurückhaltend.


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mare No. 79

No. 79April / Mai 2010

Von Marlies Uken und Alessandro Grassani

Wer es einsam mag, ist auf Samsø richtig. Marlies Uken, geboren 1977, Autorin aus Berlin, war während der Recherche der einzige Gast im einzigen geöffneten Hotel.

Auch der Mailänder Fotograf Alessandro Grassani, Jahrgang 1977, machte Erfahrung mit Samsøs Abseitigkeit: Als er auf dem Boden lag, um eine Solaranlage zu fotografieren, schlich sich ein Schaf an und machte ernsthaft Anstalten, die Kamera zu fressen.

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Vita Wer es einsam mag, ist auf Samsø richtig. Marlies Uken, geboren 1977, Autorin aus Berlin, war während der Recherche der einzige Gast im einzigen geöffneten Hotel.

Auch der Mailänder Fotograf Alessandro Grassani, Jahrgang 1977, machte Erfahrung mit Samsøs Abseitigkeit: Als er auf dem Boden lag, um eine Solaranlage zu fotografieren, schlich sich ein Schaf an und machte ernsthaft Anstalten, die Kamera zu fressen.
Person Von Marlies Uken und Alessandro Grassani
Vita Wer es einsam mag, ist auf Samsø richtig. Marlies Uken, geboren 1977, Autorin aus Berlin, war während der Recherche der einzige Gast im einzigen geöffneten Hotel.

Auch der Mailänder Fotograf Alessandro Grassani, Jahrgang 1977, machte Erfahrung mit Samsøs Abseitigkeit: Als er auf dem Boden lag, um eine Solaranlage zu fotografieren, schlich sich ein Schaf an und machte ernsthaft Anstalten, die Kamera zu fressen.
Person Von Marlies Uken und Alessandro Grassani