Wie Russlands Film das Tauchen lernte

In den 1960er Jahren versuchen zwei Russen das Unmögliche: den ersten Unterwasserfilm der UdSSR zu drehen. Mit improvisiertem Material und gegen den Widerstand des argwöhnenden KGB schaffen sie, was auch im Westen zuvor nur wenige geschafft haben

Prolog

Moskau, 1992. Die russische Hauptstadt ist ein Spiegelbild der sich auflösenden Sowjetunion. Am Rand des Roten Platzes kampieren Kriegsflüchtlinge in Zelten aus Plastikplanen, Opfer des 1992 neu ausgebrochenen Konflikts um Bergkarabach. Ein paar Ecken weiter werden Kalaschnikows, Handgranaten und Pornos zum Verkauf angeboten. Mitten in diesem Chaos treffe ich Anatoli Panin zum ersten Mal. Ein sympathischer, 53-jähriger Mann in Turnschuhen, Jeans und graugrünem Parka. „Welcome in Moscow. Let’s go!“ Wir reihen uns ein in die Menschenmassen auf dem Weg zur Moskauer Metro, wollen den russischen Fotografen Jewgeni Chaldej besuchen. Anatoli Panin soll unser Übersetzer sein. Es ist der Beginn einer Zusammenarbeit, die sich bis heute fortsetzt. Erst später erfahre ich, dass der am 15. März 1939 im ukrainischen Dnjepropetrowsk geborene Anatoli Panin Drehbuchautor, Regisseur und Kameramann von mehr als 30 Filmen ist und zahlreiche Preise auf Festivals im In- und Ausland gewonnen hat. Bei einem seiner Besuche in Berlin erwähne ich aus einer Laune heraus, dass ich Unterwasserfilme drehe. Da fällt mir Anatoli Panin ins Wort: „Ich habe auch einen Unterwasserfilm gedreht. Anfang der 1960er Jahre zusammen mit meinem Freund Sascha Drobyschew. Es war der erste Unterwasserfilm in der Sowjetunion, und er war sogar in Farbe.“ Ich kann es nicht glauben. Vor mir sitzt einer der Pioniere des Unterwasserfilms, und ich habe über 17 Jahre gebraucht, um das herauszufinden. „Anatoli, ich will alles wissen. Welche Ausrüstung habt ihr verwendet, wo habt ihr gedreht, unter welchen Umständen? Und was ist mit Sascha passiert?“

 

 

Das Treffen

Moskau, irgendwann in den 1950er Jahren. Der leidenschaftliche Taucher Sascha Drobyschew sitzt in einem Moskauer Kino und betrachtet fasziniert die Bilder auf der Leinwand. Es läuft „Die schweigende Welt“, einer der frühen Filme von Jacques-Yves Cousteau, der durch eine Masche im Eisernen Vorhang den Weg in die sowjetische Hauptstadt gefunden hat. Für Drobyschew ist der Kinobesuch der Beginn eines Traumes: Er will einen Unterwasserfilm an den Küsten der Sowjetunion drehen. Auch Anatoli Panin sieht den Film. „Es war für mich wie ein Schock. Bilder wie von einem anderen Planeten.“ Er hat noch keine Ahnung, dass er bald selbst auf diesem Planeten drehen sollte, er kennt zu diesem Zeitpunkt Sascha Drobyschew noch nicht.

Moskau, 1957. Anatoli Panin kann seine Nervosität kaum verbergen. Er ist 18 Jahre alt und stellt seinen ersten Film auf dem „Festival der Amateurfilme der Sowjetunion“ einem größeren Publikum vor. Ein Undergroundfilm, mit dem er ein Tabu verletzt. Er zeigt, was es offiziell nicht geben darf: das Leben der Zigeuner und der Prostituierten, die den „Platz der Komsomolzen“ zu ihrem Treffpunkt in Moskau erkoren haben. Vier Jahre nach Stalins Tod scheint die Zeit für kleine Freiräume günstig. Panins Film begeistert das Publikum und die Jury. Nach der Vorführung sagt der Direktor des Festivals zu ihm: „Du hättest den ersten Preis verdient. Ich kann dir aber nur den dritten geben, denn die Filme auf den ersten beiden Plätzen sollen im Fernsehen gezeigt werden. Du verstehst, dass das nicht möglich ist.“ Panin tröstet sich mit einer neuen Bekanntschaft, die ihm das Festival beschert hat: Sascha Drobyschew, der einen Kameramann für den ersten sowjetischen Unterwasserfilm sucht. Panins Einwand, er könne nicht tauchen, wischt Drobyschew vom Tisch. „Das werde ich dir schon beibringen – und im Übrigen ist das sicher das kleinste Problem.“

Das Projekt

Zu jener Zeit in der Sowjetunion ein Projekt wie einen Unterwasserfilm realisieren zu wollen war in etwa so wahrscheinlich wie die Einführung des Kapitalismus. Es gab weder frei verfügbare Tauchausrüstung noch entsprechende Infrastruktur, von einer Unterwasserkamera zu schweigen. Die Wassertemperatur an vielen Küstenabschnitten des Landes steigt außerdem selten über zehn Grad Celsius, und eisfreie Zonen waren in Zeiten des Kalten Krieges oft militärisches Sperrgebiet. Keiner konnte einfach an die Küste fahren und abtauchen, ohne verhaftet zu werden. Man brauchte Genehmigungen, Sonderausweise, Papiere. Man stelle sich hierzu ein sowjetisches Ministerium in den 1960er Jahren vor: In einem trostlosen Büro sitzen Beamte mit dicken Hornbrillen. An der Wand hängt ein Bild von Lenin. Das von Stalin steckt noch in der Schublade, man weiß ja nie. Auf dem Schreibtisch liegt ein Antrag zweier junger Sowjetbürger. Sie bitten um die Erlaubnis, auf die Kurilen fahren zu dürfen, um dort einen Unterwasserfilm zu drehen. Die Kurilen? Liegen die nicht wenige Kilometer vor der japanischen Küste? Warum tauchen die nicht anderswo? Wollen die flüchten? Oder sind sie japanische Spione?


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 87. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 87

No. 87August / September 2011

Von Heinz Krimmer und Petr Antonow

Heinz Krimmer, geboren 1960, ist Journalist und Unterwasserfilmer. Er taucht lieber in wärmeren Gefilden. Umso mehr bewundert er nicht nur die filmische, sondern auch die taucherische Leistung der russischen Kollegen in derart kaltem Wasser.

Der Moskauer Petr Antonow, Jahrgang 1977, arbeitete nach einem Fremdsprachenstudium in der Ölindustrie am Kaspischen Meer, ehe er sich der Fotografie zuwandte. Er widmet sich in seiner Arbeit hauptsächlich postsowjetischen Themen.

Mehr Informationen
Vita Heinz Krimmer, geboren 1960, ist Journalist und Unterwasserfilmer. Er taucht lieber in wärmeren Gefilden. Umso mehr bewundert er nicht nur die filmische, sondern auch die taucherische Leistung der russischen Kollegen in derart kaltem Wasser.

Der Moskauer Petr Antonow, Jahrgang 1977, arbeitete nach einem Fremdsprachenstudium in der Ölindustrie am Kaspischen Meer, ehe er sich der Fotografie zuwandte. Er widmet sich in seiner Arbeit hauptsächlich postsowjetischen Themen.
Person Von Heinz Krimmer und Petr Antonow
Vita Heinz Krimmer, geboren 1960, ist Journalist und Unterwasserfilmer. Er taucht lieber in wärmeren Gefilden. Umso mehr bewundert er nicht nur die filmische, sondern auch die taucherische Leistung der russischen Kollegen in derart kaltem Wasser.

Der Moskauer Petr Antonow, Jahrgang 1977, arbeitete nach einem Fremdsprachenstudium in der Ölindustrie am Kaspischen Meer, ehe er sich der Fotografie zuwandte. Er widmet sich in seiner Arbeit hauptsächlich postsowjetischen Themen.
Person Von Heinz Krimmer und Petr Antonow