Wie ein Hügel Sauerkraut

Die Experimentierfreudigkeit asiatischer Köche ist Legende. Da nimmt es niemanden wunder, dass sie saftige Quallen zu köstlichen Erfrischungen verarbeiten

Quallen sind „frei schwimmende gallertige Tiere von scheibenförmiger Gestalt“, sagt der Biologe. Wunderbare Gebilde, solange sie nicht ihre giftgefüllten Nesselkapseln auf Badeurlauber abschießen. Fische, Meeresschildkröten und Seevögel machen sich gerne über die Glibbertiere her. Vielleicht kamen die Chinesen deshalb auf die Idee, Quallen zu einem Salat zu verarbeiten.

Quallensalat! Das klingt erst einmal nach kulinarischem Grusel. Das schmeckt nach dermatologischen Komplikationen, nach brüllenden Kindern und missglückten Badetagen, nach glitschigen Überresten an den Meeressäumen. Doch für langes Fantasieren tentakliger Götterspeisen bleibt keine Zeit. Yee Tak Wong, Chef des traditionellen chinesischen Restaurants „Good Friends“ in Berlin, stellt die Portion so selbstverständlich auf den Tisch wie andere Berliner Wirte eine Bulette mit Senf. Qualle pur, in Streifen geschnitten, mit Sojasauce, Sesamöl und Ingwer als Salat angemacht, begleitet von drei dekorativen Vierteln tausendjähriger schwarzer Eier. „Zwei, die sich gut verstehen“, sagt der Wirt und nickt aufmunternd.

Von weitem könnte man das, was da auf dem Teller liegt, auch für einen kleinen Hügel Sauerkraut halten. Doch die Streifen sind gröber geschnitten. Die Farbe ist dunkelblond mit einem rotbraunen Schimmer. Die Textur erinnert ein wenig an Kutteln, den klein geschnittenen Magen von Rind und Kalb, der Geruch ist dezent und kein bisschen fischig. Stattdessen kitzeln Sesam und Koriander die Nase. Jedenfalls: Das sieht erstaunlich appetitlich aus. Wer Wackelpudding erwartet, ist zunächst erleichtert. Kein Glibber, keine Tentakel, die sich wie Putzgarn in den Zähnen winden. Man muss nur das böse Wort Qualle für einen Moment vergessen.

„Nicht Fisch, nicht Fleisch“, meint der Restaurantchef und lächelt. Herr Wong hat einschlägige Erfahrungen mit deutschen Gästen. Eigentlich bestellen nur asiatische Esser die Spezialität, sagt er leise, und man glaubt es sofort. Manchmal serviere er sie aber deutschen Besuchern als „Überraschung“. Solange er nicht verrate, was auf dem Teller liegt, seien die Gäste immer sehr zufrieden mit ihrem Salat. Danach schauen sie manchmal ein wenig indigniert. Natürlich will der Patron niemandem den Appetit verderben. Deshalb steht zur Sicherheit das „Schweinefleisch mit Quallensalat“ nur in chinesischer Schrift auf seiner zweisprachigen Speisekarte.

Jetzt die erste Gabel voll. Die Quallenstreifen sind erstaunlich bissfest. Ihr Geschmack lässt sich mit Tintenfisch vergleichen. In jedem Fall eine leichte Vorspeise, Quallen bestehen eigentlich nur aus Wasser und Salz. Der organische Anteil liegt bei ganzen 0,3 Prozent, die reine Brigitte-Diät. Sie haben wenig Eigengeschmack und sind deshalb – je nach Würze – äußerst wandlungsfähig. In China sind sie, wie in Japan und Indonesien, eine traditionelle Vorspeise. Man kann sie marinieren oder trocknen und anschließend frittieren. Man kann sie aber auch roh und sogar lebend essen. Yee Tak Wong hat sie auf seine Karte gesetzt, weil sie einfach dazu gehören – ein Grundstoff der chinesischen Küche. Sein Konzept ist das echte chinesische Essen, die eingedeutschte Version lehnt er ausdrücklich ab, „ein himmelweiter Unterschied“. Deshalb gibt es im „Good Friends“ Quallen, Seegurken, Haifischflossen und tausendjährige Eier, die in Wahrheit nur 20 Tage in einer dunklen Marinade eingelegt werden. Hunde und Heuschrecken stehen nicht auf der Karte.

Die besten Quallen, sagt Herr Wong, kommen aus der chinesischen Küstenstadt Wan Chou. In Asien sind Quallen ein blühender Geschäftszweig. Allein die Japaner verzehren jährlich 7000 Tonnen. Der Fang ist lohnend, ein Fischer kann schon mal drei Tonnen anlanden. Quallen bringen anständig Gewicht auf die Waage, 30 Kilogramm sind für essbare Exemplare durchaus üblich. Die schwersten erreichen das Gewicht eines VW Golfs – da werden ganze Kompanien satt.

Herr Wong kauft seine Quallen nicht als Rohware im Großhandel, sondern eingelegt und gesalzen im Asialaden. Die Chinesen in seinem Restaurant trinken meist Bier dazu, in China wird auch Jasmintee oder Grüner Tee serviert. Die brennenden Nesselzellen werden übrigens beim Einlegen der Quallen getilgt. Herr Wong empfiehlt seinen Salat als risikolose Erfrischung für kommende heiße Tage.


Quallensalat „Good Friends"

Zutaten (für sechs Personen)

Ein kilogramm Quallen (aus dem Asialaden), 150 Gramm Sesamöl, 150 Gramm chinesischer schwarzer Essig, zwei Frühlingszwiebeln, drei Esslöffel Hühnerbrühe, ein Bund Koriander, ein Teelöffel Sesamkörner, Salz, Zucker, Pfeffer.

Zubereitung

Die Quallen in feine Streifen schneiden, blanchieren, abspülen und abtropfen lassen. Öl, Essig, Hühnerbrühe, Salz, Zucker, Pfeffer zu einer Sauce verrühren. Koriander und Frühlingszwiebeln klein hacken und mit Quallen und Sauce vermengen. Mit Sesamkörnern bestreuen und sofort servieren.


Good Friends
Kantstraße 30,
Berlin-Charlottenburg.
Täglich geöffnet von 12 bis 2 Uhr.
Telefon 030/31 32 659.

mare No. 50

No. 50Juni / Juli 2005

Von Manfred Kriener und Russell Liebman

Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.

Russell Liebman, 1966 in New York geboren, lebt in Berlin. Für mare fotografierte er u. a. die Steinfischer von Brasilien (in No. 8) und den Tunfisch-Fang vor Barbate, Spanien (in No. 61).

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Vita Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.

Russell Liebman, 1966 in New York geboren, lebt in Berlin. Für mare fotografierte er u. a. die Steinfischer von Brasilien (in No. 8) und den Tunfisch-Fang vor Barbate, Spanien (in No. 61).
Person Von Manfred Kriener und Russell Liebman
Vita Manfred Kriener, geboren 1953 im Schwarzwald, ist verheiratet und lebt seit März 1980 in Berlin. Dort arbeitet er heute als Chefredakteur des Umweltmagazins zeozwei und in Deutschlands größtem Journalistenbüro "Textetage". Außerdem ist er freier Journalist und Autor für Themen wie Umwelt und Umweltpolitik, Ernährung und Wein. Als Gründergeneration der Berliner Tageszeitung taz zugehörig, war er dort 11 Jahre lang Redakteur für Ökologie, bevor er es ab November 1990 als Freier versuchte. Kriener war ab 2001 fünf Jahre lang Chefredakteur der Zeitschrift Slow Food.

Russell Liebman, 1966 in New York geboren, lebt in Berlin. Für mare fotografierte er u. a. die Steinfischer von Brasilien (in No. 8) und den Tunfisch-Fang vor Barbate, Spanien (in No. 61).
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