Wie ein Fisch im Wasser

Evolution im Zeitraffer: Verwandlungen eines Embryos

Ganz entspannt liegt der drei Monate alte Julius in den Händen seiner Mutter, die ihn sanft durch das warme Wasser eines Schwimmbads schaukelt. Seine kurzen Beine paddeln vor sich hin, die zarten Hände öffnen und schließen sich, als wollten sie das feuchte Medium „begreifen". Dass dies sein erster Besuch beim Baby schwimmen ist, merkt man ihm nicht an; er benimmt sich, als sei er hier zu Hause. Neugierig betrachtet er die Lichtreflexe auf der Wasseroberfläche, lauscht den Worten der Kursleiterin Riki Baumgart und seiner Mutter. Die freut sich über ihren vergnügt planschenden Sohn.

Viele Säuglinge haben während der ersten Monate ein erstaunlich positives Verhältnis zum Wasser. Wenn sie etwas davon ins Gesicht bekommen, schreien sie meist nicht. Das unterscheidet sie deutlich von Kleinkindern, die phasenweise eine rigorose Abneigung gegenüber Wasser haben - vor allem, wenn es ums Haare waschen geht. Das wasserscheue Verhalten, das auch mit Trotz zu tun hat, vergeht spätestens beim nächsten Strandurlaub.

Falls ein Baby während des Schwimmkurses aus Versehen einmal untertaucht, müssen die Eltern keine Angst haben, dass es Wasser schluckt. Bis zum Alter von sechs bis acht Monaten sind Säuglinge durch den so genannten Atemschutzreflex geschützt: Kommt Wasser ins Gesicht, löst das eine Art Schreckreaktion aus; der Kehlkopfdeckel verschließt die Luftröhre und verhindert, dass Wasser in die Lungen gelangt. In manchen Babyschwimmkursen wird dieser Reflex durch Anpusten oder Anspritzen des Gesichtes ausgelöst.

Der Säugling kann sogar gefahrlos tauchen. „Das sollte jedoch nicht gegen den Willen des Kindes geschehen", sagt Lili Ahrend von der Sporthochschule in Köln. Im Auftrag des Deutschen Schwimmverbandes hat sie ein spezielles Ausbildungsprogramm für Babyschwimmlehrer entwickelt. „Die Kursleiter müssen erkennen können, ob ein Kind die Bereitschaft zum Tauchen zeigt."

Das geht nicht von heute auf morgen. Durch Übergießen des Kopfes mit einem Becher Wasser werden die Kleinen dabei langsam ans Untertauchen gewöhnt. Der Wasserschleier vor dem Gesicht löst den Atemschutzreflex aus. Bleibt das Kind dabei entspannt, können die ersten Tauchversuche unternommen werden.

Neben dem Atemschutzreflex gibt es beim Kind - und auch beim Erwachsenen - noch eine weitere Anpassung an das nasse Element: den Tauchreflex. Sobald der Oberkörper unter Wasser ist, sinkt die Herzschlagfrequenz um etwa zehn Prozent ab. Dieser Reflex ist ansonsten ein typisches Merkmal von Tieren, die im Wasser leben. Bei Walen und Robben dient dieser Mechanismus dazu, Energie zu sparen - so können sie länger tauchen, bevor sie zum Luft holen an die Wasseroberfläche zurück müssen.

Dass der Mensch als Landlebewesen mit dem Tauchreflex ausgestattet ist, gibt den Anhängern der umstrittenen Wasseraffen-Hypothese Auftrieb. Sie besagt, dass es für die Urahnen des Homo sapiens vor etwa acht bis 12 Millionen Jahren eine Entwicklungszeit im Wasser gegeben haben könnte. Das war in der evolutionären Phase zwischen Baum bewohnenden Affen und den ersten Vorfahren des Menschen, die auf zwei Beinen liefen.

Immerhin hat jeder Mensch vor der Geburt einmal ein Stadium durchlaufen, das an ein Wasserlebewesen erinnert. Vier Wochen nach der Befruchtung ähnelt der Embryo äußerlich mehr einem Fisch als einem Menschen: Er besitzt dann mehrere Kiemenspalten und einen Schwanz. Beide Merkmale sind bis zur sechsten Woche wieder verschwunden. Diese Eigentümlichkeiten, die Zoologen schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts aufgefallen waren, gilt für alle Wirbeltiere: Egal ob sie im Wasser oder an Land leben, als Embryonen machen sie diese Kiemenphase durch.

Vor dem Hintergrund von Darwins Werk über die Entstehung der Arten, das 1858 erschienen war, fragten sich Wissenschaftler vor rund 100 Jahren, ob die Evolution sich in jedem Lebewesen aufs Neue vollziehe. Der deutsche Zoologe Ernst Haeckel fasste diese Vermutung schließlich als „biogenetisches Grundgesetz" zusammen: Die Ontogenese ist die verkürzte und schnelle Rekapitulation der Phylogenese. Zu Deutsch: in der Embryonal-Entwicklung wiederholen sich einzelne Kapitel aus der Evolution.


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mare No. 26

No. 26Juni / Juli 2001

Von Helmut Broeg

Helmut Broeg, Jahrgang 1966, ist Biologe und lebt als freier Wissenschaftsjournalist in Hamburg. Seine beiden Kinder sind gegenüber Wasser geteilter Meinung: Die Tochter liebt es, der Sohn hält sich eher fern. Dies ist der erste Report des Autors für mare.

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Vita Helmut Broeg, Jahrgang 1966, ist Biologe und lebt als freier Wissenschaftsjournalist in Hamburg. Seine beiden Kinder sind gegenüber Wasser geteilter Meinung: Die Tochter liebt es, der Sohn hält sich eher fern. Dies ist der erste Report des Autors für mare.
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Vita Helmut Broeg, Jahrgang 1966, ist Biologe und lebt als freier Wissenschaftsjournalist in Hamburg. Seine beiden Kinder sind gegenüber Wasser geteilter Meinung: Die Tochter liebt es, der Sohn hält sich eher fern. Dies ist der erste Report des Autors für mare.
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