Wetterküche Ozean

Die See gibt uns das Klima – und nimmt unser CO2

Wenn früh morgens der Nebel vom Meer in die Stadt zieht, begrüßt der Sommer die Menschen in San Francisco. Die Fischer steuern ihre Kutter hinaus auf den Pazifik, auf der Jagd nach Sardinen und Thunfisch. Ab Mitte Mai überziehen die gleißenden Lampen, mit denen die ankernden Tintenfischfänger die zehnarmigen Delikatessen an die Wasseroberfläche locken, allnächtlich wie Lichterketten die Monterey Bay. Denn wenn der Nebel kommt, dann kommt der Auftrieb – und mit ihm die Fische.

Der Küstennebel ist fester Bestandteil des nordkalifornischen Sommers. Während nur wenige Kilometer ins Landesinnere die Sonne Boden und Vegetation ausdörrt und Autofahrten ohne Klimaanlage unerträglich werden läßt, wabert über Stränden und Häfen ein trübfeuchtes Grau. Temperaturunterschiede von 15 Grad auf zehn Kilometer sind keine Seltenheit. Verantwortlich ist das kalte Tiefenwasser, das der Auftrieb an die Oberfläche spült. Es kühlt die heiße Luft über dem Land so rasch ab, daß die darin enthaltene Luftfeuchte als Nebel ausperlt. Verursacht wird der Auftrieb durch den im Sommer einsetzenden Nordwind. Er bringt das küstennahe Wasser in Bewegung, jedoch nicht in Richtung des küstenparallelen Windes, sondern hinaus aufs offene Meer.

Wirkt der Wind auf die Wasseroberfläche, so stellen sich ihm Reibungskräfte der Wasserteilchen entgegen. Hinzu kommt die durch die Erdrotation erzeugte sogenannte Corioliskraft, die die Bewegungsbahn von Teilchen auf der Nordhalbkugel stets nach rechts ablenkt – auf der Südhalbkugel hingegen nach links. Dadurch dreht die Strömungsrichtung des vom Wind angetriebenen Oberflächenwassers auf der Nordhalbkugel um 45 Grad nach rechts. Zunehmende Reibung im Wasser verstärkt diesen Effekt, so daß die Rechtsablenkung mit der Tiefe weiter zunimmt. In einer von der Windstärke abhängigen Tiefe fließt das Wasser gar in die dem Wind entgegengesetzter Richtung (siehe Grafik). Über die gesamte Wassersäule bis in diese Tiefe gesehen, erfolgt der Netto-Transport des Wassers (nach einem dänischen Meeresphysiker Eckman-Transport benannt) in 90 Grad zur Windrichtung, auf der Nordhalbkugel nach rechts, im Süden nach links gerichtet. Die Strömungsrichtung des Wassers hat also nichts mit der durch den gleichen Wind getriebenen Wellenausbreitung zu tun, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.

So treibt der Nordwind das Oberflächenwasser vor San Francisco und Monterey auf den Pazifik hinaus, und weil das Fortgetriebene an der Küste ersetzt werden muß, quillt kaltes Wasser aus Tiefen von 200 bis 400 Metern herauf. Es bringt nicht nur Kälte und Nebel, es bringt vor allem neue Nährstoffe wie Nitrat und Phosphat an die Oberfläche, die das Algenwachstum erhöhen, die gesamte Nahrungskette verstärken und Fischen einen reich gedeckten Tisch bescheren – und damit auch den Fischern.

Die Auftriebsgebiete gehören zu den reichsten Fischgründen der Meere. Überall, wo ein stetiger, küstenparalleler Wind das Wasser von der Küste treibt, sind sie zu finden: vor Kalifornien, Peru und Chile, Portugal und Westafrika, Namibia und Südafrika, Westaustralien – also stets an den Osträndern der Ozeane. Nur der nördliche Indische Ozean macht eine Ausnahme. Hier wechseln die auftretenden Monsune zweimal jährlich ihre Richtung. Im Frühjahr weht der Monsun aus Südwest. Über dem Meer lädt er sich mit Luftfeuchte auf, die von mächtigen Wolken beim Aufstieg auf den indischen Subkontinent und den Himalaja als kräftiger Steigungsregen wieder abgegeben wird. Während dieser Zeit erzeugt der Eckman- Transport Auftrieb am afrikanischen Horn vor Somalia. Dreht der Monsun im Spätsommer auf Nordost, bringt die trockene Luft, die vom Himalaja herunterweht, nicht nur große Dürre über den indischen Kontinent, auch die Meeresströmungen kehren sich um, und der somalische Auftrieb erlischt.

In den anderen Meeresgebieten bleiben die großen Strömungen weitgehend unbeeinflußt von den lokalen Winden. Wie auf gigantischen Autobahnen transportieren sie Wasser in riesiger Menge von Nord nach Süd, von West nach Ost. Und mit dem Wasser transportieren sie enorme Mengen an Wärme. Denn für die Erde fungieren die Ozeane nicht nur als Wärmespeicher – Wasser vermag Wärme viel besser zu speichern als Luft –, sondern auch als Wärmeverteiler. Aus den tropischen und subtropischen Regionen mit hoher Sonneneinstrahlung fließt warmes Oberflächenwasser nach Norden und Süden und „beheizt“ die gemäßigten und polaren Gebiete. Eine Besonderheit des Atlantiks ist der auf beiden Halbkugeln nordwärts gerichtete Wärmestrom, dessen bedeutendster Teil auf der Nordhalbkugel der Golfstrom ist. Diese Zentralheizung Europas transportiert rund eine Milliarde Megawatt Wärme nach West- und Nordeuropa – ohne ihn wären Hamburger Winter klirrend kalt wie die in Nordkanada.

Im Norden angekommen, kühlt sich das Wasser des Golfstroms stark ab und wird dadurch dichter und schwerer. In der Grönlandsee versinkt es: In nur 15 Kilometer breiten Säulen „fallen“ bis zu 17 Millionen Kubikmeter pro Sekunde in Tiefen von 2000 Metern. Der dadurch entstehende Sog im Oberflächenwasser wirkt über den gesamten Atlantischen bis in den Indischen und Pazifischen Ozean hinein und treibt den Golfstrom an. Daher liegt auch hier die größte Gefahr durch den Treibhauseffekt. Führt die globale Erwärmung zu einem vermehrten Abschmelzen der Gletscher und Polkappen, so wird der Salzgehalt des Wassers verdünnt, das Wasser der Grönlandsee wird leichter, kann nicht mehr absinken und der Golfstrom wird schwächer. Eine globale Erwärmung führt also – so überraschend es klingt – zu einem kühleren Klima in Europa.

Wie bedeutend die untrennbare Kopplung von Ozean und Atmosphäre für die Gestaltung unseres Klimas ist, zeigt auch das El-Niño-Phänomen: Durch eine Verschiebung der Hoch- und Tiefdruckgebiete im südwestlichen Pazifik schwappt das Oberflächenwasser wie in einer Badewanne zurück nach Osten – Wissenschaftler bezeichnen es als Kelvin-Welle –, so daß die warme Oberflächenschicht vor Peru und Chile mächtiger wird und den Auftrieb des kalten Tiefenwassers praktisch erdrückt. Warmes Wasser und das Ausbleiben der Nährstoffe lassen die Fische abwandern, was zu verheerenden wirtschaftlichen Einbußen der Fischer führt.

Und auch das Wetter steht dann Kopf: Normalerweise führen die kalten, äquatorwärts gerichteten Meeresströmungen zu absinkender Kaltluft an den Küsten, denn kalte Luft ist schwerer als warme. Daher finden sich an den Auftriebsgebieten die trockensten Regionen der Erde, die Atacama-Wüste in Chile und die Namib-Wüste in Namibia. Das durch El Niño erwärmte Wasser erzeugt nun aber in den eigentlichen Trockenregionen entlang der süd-amerikanischen Küste aufsteigende Luftmassen mit sintflutartigen Niederschlägen, im meist fruchtbaren Hinterland dagegen sinkt die Luft ab, wodurch der Regen versiegt und Dürre sich ausbreitet. Auch wenn die Auswirkungen des El Niño 1997/98 gravierender waren als je zuvor, bleibt das Phänomen an sich doch ein natürlicher Klimazyklus, der alle drei bis acht Jahre auftritt. Bis 400 Jahre zurück haben Wissenschaftler die stets um Weihnachten auftretenden El Niños in ihren Daten rekonstruieren können, und zumindest einige davon erreichten die Ausmaße des vorletzten großen El Niños von 1982/83.

Die tropischen Wirbelstürme tragen ebenfalls zum Abtransport von Wärme aus dem aufgeheizten Meer bei. Die in verschiedenen Regionen unterschiedlich benannten Stürme (Hurrikane im Atlantik, Taifune im Pazifik, Tornados über dem nordamerikanischen Kontinent) bilden sich über extrem warmen Meeresgebieten vor allem im Spätsommer – der September ist daher eine denkbar schlechte Zeit für Reisen nach Florida und in die Karibik. Da die zur Ausbildung eines Wirbels nötige Ablenkung der Erdrotation, die Corioliskraft, in Äquatornähe zu gering ist, entstehen Wirbelstürme nur außerhalb einer Zone von 5 Grad nördlich und südlich des Äquators. Von hier ziehen sie auf gekrümmten Bahnen polwärts. Sie durchmischen das Meer, wodurch kühleres Wasser an die Oberfläche gelangt, und hinterlassen so eine „kühle Schleppe“. Sie verhindert, daß mehrere Stürme während einer Saison auf gleicher Bahn reisen, weil jeder neue Sturm das ausgekühlte Wasser meidet.

Nicht nur Energie, auch Stoffe werden zwischen Ozean und Atmosphäre ausgetauscht. Ein klimawirksamer und für das Leben unseres Planeten unerläßlicher Prozeß stellt der globale Wasserkreislauf dar. Im gegenwärtigen Entwicklungsstand der Erde ist das Wasservorkommen mit rund 1,4 Milliarden Kubikkilometer konstant. Gespeist wird der Wasserkreislauf durch die hohe Verdunstung in den warmen subtropischen Meeresregionen, die deshalb auch durch einen hohen Salzgehalt charakterisiert sind. Dem stehen die Meeresgebiete mit hohen Niederschlägen und vermindertem Salzgehalt gegenüber. Der resultierende Wasserkreislauf geht von Ozean zu Ozean, der kleinere kontinentale Kreislauf ist über die Atmosphäre und die Flüsse eingebunden. So kann man, den Kontinenten ähnlich, „aride“ Meere mit überwiegender Verdunstung wie das Mittelmeer von „humiden“ Meeren mit überwiegendem Niederschlag und Flußzuläufen wie Nord- und Ostsee unterscheiden.


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mare No. 11

No. 11Dezember / Januar 1998

Von Frank J. Jochem

Dr. Frank J. Jochem, Jahrgang 1961, ist Meeresökologe und mare-Wissenschaftsredakteur. In Heft No.10 berichtete er über die Farben der Fischhäute

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