Wenn Wasser zu Schleim wird

Der grüne Glibber der Mucilagine bedroht die Adria und den dortigen Tourismus

Es ist fast windstill an diesem sonnigen Samstagnachmittag im August 1997. Am Strand der Adria bei Fano, einem Badeort südlich von Rimini, spazieren die Badegäste – meist Italiener – am Strand hin und her oder stehen mit verschränkten Armen in kleinen Gruppen zusammen und schauen resigniert aufs Meer. Einige Kinder spielen am Spülsaum, doch es ist ungewöhnlich ruhig an diesem Strand.

Im Wasser ist niemand, denn dort schwimmt Mucilagine, jener grünlich-glibberige Algenschleim, der in diesem Jahr wieder in dicken Schichten die Strände der nördlichen Adria heimsucht. Einige Möwen flattern kreischend dicht über dem Wasser und picken gierig kleine Jungfische auf, die sich nur noch müde zuckend in dem zähen Schleim zur Oberfläche bewegen. An dieser Stelle ist die Schicht etwa 80 Meter breit, weiter draußen treibt ein weißgräulicher, breiiger Schaum, mit Bläschen durchsetzt. In Streifen haben sich allerhand Schmutz und driftender Unrat angereichert. Zwei junge Mädchen hatten sich ins Wasser gewagt und versuchen unter der Stranddusche, mit ihren Handtüchern den klebrigen Glibber abzuschaben, der sich mit Wasser nicht abspülen läßt.

Es scheint so, als ob in diesem Jahr der Algenschleim eher gelassen hingenommen wird. Wohl deshalb, weil er erst spät im Jahr an die Strände trieb, nachdem die Hauptsaison schon fast vorüber war. Vielleicht auch, weil die katastrophalen Jahre 1988, 1989 und 1991, die den Tourismus im nördlichen Adriagebiet zeitweise um weit über die Hälfte schrumpfen ließen, schon fast vergessen sind.

Das Vorkommen von Mucilagine in der Adria, das es in anderen Meeren so nicht gibt, ist indes seit langem bekannt. Die ersten Berichte stammen von Ulisse Aldrovandi aus dem Jahre 1642, der merkwürdige „Zoophyten“ beobachtete. Deutlichere Beschreibungen gibt es von dem sizilianischen Naturalisten Silvio Boccone, der 1697 von den Stränden vor Venedig schreibt: „Gewachsenes, oder marine Reste von verflochtenen und verwobenen Fasern, diese Masse war gefüllt und bedeckt mit Schleim“. Boccone berichtet auch, daß der Schleim die Netze der Fischer füllte. Die Ursache sah er im „zentralen Feuer der Erde“ und in der „natürlichen Fermentation“.

Neuste Untersuchungen zeigen, daß Boccone intuitive Fähigkeiten besessen haben muß, sowohl bezüglich der Fibrillenstruktur, die allerdings nur mit dem Elektronenmikroskop erkennbar ist, als auch wegen des bakteriellen Abbaues. Der Arzt und Naturforscher Giovanni Bianchi aus Rimini berichtet 1744 erstmals über einen großen, 15 bis 20 Seemeilen seewärts vor Rimini treibenden „rio delle sporchezze“, einen „schmutzigen Fluß“, den, wie er berichtet, die Fischer vorsichtig meiden.

In den Jahren 1789, 1790, 1822 und 1885 wurde das Phänomen als „marciore“, als „verfaulte Materie“ bezeichnet. Seine Entstehung wurde mit heißen, trockenen Sommern in Verbindung gebracht, eine Beobachtung, die sich in jüngster Zeit als sehr wichtig erwiesen hat. Seit 1872 wird die Mucilagine als „mare sporco“, als „schmutziges Meer“, ausführlich in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben, und ganz unterschiedliche Hypothesen über die Entstehung hielten hartnäckig bis in die letzten Jahre, in denen die ungeheuren Schleimmassen zum Schreckgespenst des Adriatourismus wurden. Gespenstisch auch deshalb, weil man feststellen mußte, daß die Ursachen der Mucilagine noch immer unbekannt waren.

Nun aber liefen rund um die nördliche Adria zahlreiche Forschungsvorhaben an, die großzügig von der am meisten betroffenen italienischen Provinz Emilia Romagna und von der Europäischen Union finanziert wurden. Auch meereskundliche Institute in Wien, Triest, im slowenischen Piran und im kroatischen Rovinj intensivierten die Arbeit in ihrem traditionellen Untersuchungsgebiet, der nördlichen Adria, um der Mucilagine auf die Schleimspur zu kommen.

Die italienische Regierung hielt sich bei der Förderung der Wissenschaftler zunächst allerdings vornehm zurück. Vielleicht befürchtete sie, daß Mailand, mit über drei Millionen Einwohnern noch immer ohne Kläranlage, als Sündenbock daraus hervorginge. Oder aus der (berechtigten) Annahme, daß die Mucilagine aus der östlichen Adria an Italiens Küsten treibt, und der (unberechtigten) Annahme, daß damit das Problem nicht hausgemacht sei.

Auch die Untersuchungen der letzten Jahre vermochten noch keine endgültigen Beweise für die Ursachen des Auftretens der Mucilagine zu erbringen. Aber sie weisen schlüssig auf die Verursacher der Schleimplage hin: zu hohe Konzentrationen der Algennährsalze Phosphat und Nitrat.

Mehr als 25000 Tonnen Phosphat und 300000 Tonnen Stickstoff werden alljährlich durch die Flüsse in die Adria gespült. Die Hauptschmutzfracht bringt der Po.

Die ungeheuren Mengen an Pflanzennährstoffen verursachen in der nordwestlichen Adria ein übermäßiges Wachstum von Mikroalgen, dem Phytoplankton. Ein Teil dieser Algen dient Kleinkrebsen und anderen tierischen Planktonorganismen – und damit letztlich auch den Fischen – als Futter. Ein anderer Teil sinkt auf den Meeresboden und ist dort Grundlage für die enorme Produktion an Muscheln, Krebsen und anderen kulinarischen Meerestieren. Das in den oberen Wasserschichten verbleibende Phytoplankton hat sehr rasch alles im Wasser verfügbare Phosphat aufgebraucht. Die Algen können sich nun nicht mehr vermehren, aber ihre lichtgesteuerte Photosynthese geht weiter und produziert langkettige Zuckermoleküle, sogenannte Polysaccharide, die schließlich in winzigen Fäden, als Fibrillen bezeichnet, ins Wasser ausgeschieden werden.


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mare No. 9

No. 9August / September 1998

Von Ulrich Horstmann

Ulrich Horstmann ist promovierter Meeresökologe am Kieler Institut für Meereskunde. Seit 1993 erforscht er die Ursachen der Mucilagine in der Adria

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Vita Ulrich Horstmann ist promovierter Meeresökologe am Kieler Institut für Meereskunde. Seit 1993 erforscht er die Ursachen der Mucilagine in der Adria
Person Von Ulrich Horstmann
Vita Ulrich Horstmann ist promovierter Meeresökologe am Kieler Institut für Meereskunde. Seit 1993 erforscht er die Ursachen der Mucilagine in der Adria
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