Wenn aus Wasser Blau entsteht

Anna Atkins schuf das erste Fotobuch der Welt. Als Motiv wählte sie Algen

Blasse, blaue Gesichter, die direkt in die Kamera blicken, Menschen mit ausgesprochen ungesundem, fahlem Aussehen? Nein, dieses fotografische Verfahren war für Porträts nicht sonderlich geeignet. Dabei wäre sie damals eine billige und einfach zu praktizierende Technik gewesen, die Cyanotypie; erfunden von einem Mann namens John Herschel, in die Praxis umgesetzt von einer Frau, der Engländerin Anna Atkins.

Anna Atkins verstand es, diese Fotografie dort einzusetzen, wo die blaue Farbe nicht störte, wo sie vielmehr sogar eine eigene ästhetische Qualität entwickeln konnte: in der Wissenschaftsdarstellung. Von ihr stammt ein Buch mit Abbildungen von Algen. Nicht irgendein Buch, sondern das allererste Buch, das überhaupt Fotografien verwendete: „British Algae“ aus dem Jahr 1843.

Vier Jahre zuvor hatte eine spektakuläre Neuigkeit London erreicht. Einem französischen Künstler namens Daguerre war es angeblich gelungen, in der Camera obscura Bilder festzuhalten, ohne selbst künstlerische Hand anzulegen. Auch William Henry Fox Talbot aus Wiltshire las diese Meldung. Er wusste nun, dass er schnell handeln musste, hatte er doch ein paar Jahre zuvor eine ähnliche Erfindung gemacht, sie jedoch ad acta gelegt. Fox Talbot suchte die Abzüge zusammen und stellte eine Woche später seine Arbeiten der Royal Society in London vor. Die Unterschiede zwischen seiner Fotografie und der Daguerres waren deutlich.

Zwar folgten beide dem Grundprinzip, dass einige Substanzen – vor allem Silbersalze – lichtempfindlich sind und bei Einwirkung von Licht ihre chemischen Eigenschaften sichtbar verändern. Die Bildträger jedoch waren ganz andere. Daguerres Bilder waren auf Metallplatten festgehalten, Fox Talbot arbeitete schlicht mit Papier.

Als er seine Erfindung dem Londoner Ausschuss präsentierte, saß in dem Saal auch der angesehene Wissenschaftler und spätere Leiter des British Museums, John Children, der Vater von Anna Atkins. Children arbeitete schon seit Jahren eng mit seiner Tochter zusammen.

Anders als die meisten seiner Zeitgenossen war er keineswegs davon überzeugt, dass Bildung für Mädchen überflüssig sei, sondern hatte ganz im Gegenteil die wissenschaftliche Ausbildung seiner 1799 geborenen Tochter selbst in die Hand genommen und sie zu seiner engsten Mitarbeiterin gemacht. Mit 23 Jahren hatte sie bereits ein Buch über Muscheln illustriert. Als er Anna von der aufregenden neuen Technik erzählte, war sie begeistert. Sie begann sofort zu fotografieren.

John Children und Anna Atkins freundeten sich mit Fox Talbot an und lernten einen weiteren Mann kennen, der durch die Erfindung des Fixiersalzes eine in der Geschichte der Fotografie entscheidende Rolle spielt. Seine nebenbei entwickelte Methode der Cyanotypie ist heute noch in den Blaupausen von Architekturplänen zu finden: Sir John Herschel.

Die Cyanotypie ist ein ebenso einfacher wie eleganter Prozess. Eine Mischung aus Eisenammoniumcitrat und rotem Blutlaugensalz wird mit einem Schwamm auf ein Blatt Papier aufgetragen und im Dunkeln getrocknet. Danach kann das behandelte Papier entweder unter ein Negativ gelegt oder – und dies ist nun die Möglichkeit, die Anna Atkins so faszinierte – ein flaches Objekt auf das Papier gepresst werden. Nach einer Belichtungszeit von fünf bis 15 Minuten wird das Objekt vom Papier abgelöst. Die für die Cyanotypie so signifikante blaue Farbe entsteht durch das Auftragen des dritten Mittels, nämlich Wasser. Was nun tiefblau vor einem liegt, ist ein sogenanntes Fotogramm, ein Foto, hergestellt ohne Kamera und ohne Film.


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mare No. 15

No. 15August / September 1999

Von Zora del Buono

Zora del Buono ist mare-Kulturredakteurin. Zuletzt schrieb sie über die Krabbenpulerinnen von Tétuan (in Heft 13)

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