Wellenreiten für die Wissenschaft

Wer vor Katastrophen warnen will, muss sie aushalten können – wie die Messbojen der US-Wetterbehörde

Das letzte Lebenszeichen von „46035“ erreichte das Festland am 8. Februar 2001 um 18 Uhr UTC. „Signifikante Wellenhöhe: 14,45 Meter.“ Was dann passierte, darüber kann man nur spekulieren. Wahrscheinlich war es schließlich eine dieser Monsterwellen, die die Messboje „46035“ aus der Verankerung riss und wie ein Spielzeug durch die Luft wirbelte. Einen Monat später entdeckten Piloten der US-Küstenwache die Überreste von „46035“, gekentert, haltlos im Ozean treibend. Hartgesottene können sich das letzte Foto im Internet ansehen: www.ndbc.noaa.gov/Seaworthy/2001/capsize.shtml#capsize

Dieser Wintersturm war, sagte das National Data Buoy Center (NDBC) später, einer der zehn schlimmsten Stürme, die in den vergangenen 40 Jahren zwischen Beringsee und Südpazifik registriert wurden. „46035“ gehörte zur Kategorie der Zwölf-Meter-Messbojen, den größten des NDBC. Aus Stahl, gelb gestrichen, mit einer runden Plattform, darauf die Messaufbauten bis in zehn Meter Höhe. Fest verankert in der Beringsee – auf Position 56°09' Nord, 177°08' West –, galt „46035“ bis zu diesem Tag als unkenterbar. Noch nie hatten die Wind- und Wellenforscher, die der großen US-Behörde NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) unterstehen, eine Boje dieser Größe verloren. Doch spätestens seit Sebastian Jungers Buch „Der Sturm“ weiß auch ein breiteres Publikum, dass Kaventsmänner mehr sind als Seemannsgarn.

Der Begriff „signifikante Wellenhöhe“ verharmlost nämlich die Situation vor Ort. Er ist lediglich ein Durchschnittswert, gebildet aus dem arithmetischen Mittel der 33 höchsten von 100 aufeinander folgenden Wellen. Forscher haben ermittelt, dass in einem lange anhaltenden Sturm regelmäßig so genannte „freak waves“ vorkommen, die doppelt so hoch sind wie die signifikante Wellenhöhe. „46035“ könnte al- so einer 30-Meter-Welle zum Opfer gefallen sein.

Zwischen 3000 und 4000 Datenbojen schaukeln, schwanken und schlingern auf den Ozeanen, Meeren und Flüssen. Die kleinsten dieser Dateninseln haben einen Durchmesser von 90 Zentimetern und liegen zum Beispiel in der Ostsee. Sie dienen der Wetterbeobachtung und der Meeresforschung und funken ihre Messdaten an Küstenstationen, wo diese via Telefon abgerufen oder auf Festplatten abgelegt werden können. Solche Bojen, die mit Ketten in der relativ flachen Ostsee verankert sind, haben einen Wert von rund 50000 Euro und landen gern einmal in einem Fischernetz. Wer eine verloren gegangene Boje findet, erhält in der Regel einen Finderlohn in vierstelliger Höhe, was dazu führt, dass schlechte Menschen gelegentlich etwas nachhelfen.

Die unzuverlässigsten Inselchen dagegen sind solche, die sogar verschwinden sollen: „Tiefendrifter“ heißen diese Bojen, sie erforschen Temperatur- und Strömungsverhältnisse in den Weltmeeren. Einmal zu Wasser gelassen, folgen sie den Befehlen eines Computerprogramms, sinken auf 1000 Meter Tiefe oder mehr hinab, lassen sich dort treiben und sammeln Messwerte. Nach einiger Zeit steigen sie auf und funken ihre Daten an einen Satelliten. Dann gehen sie wieder auf Tauchstation.

Wertvolle Daten über den globalen Wassertransport, etwa über die eigenwilligen Wege des Golfstroms, lieferte mit Hilfe dieser U-Bojen das World Ocean Circulation Experiment (WOCE), ein großes internationales Projekt, an dem sich 30 Nationen beteiligten.

Die weltweit größte Dichte an Bojen, die solche Ausmaße besitzen, dass man sich zur Not darauf ausbreiten könnte, findet man im Westatlantik, im Golf von Mexiko und besonders im Ostpazifik in Äquatornähe. Allein 70 NOAA-Messbojen sind dort stationiert, das heißt: mit bis zu 6000 Meter langen Seilen vertäut. Die Ankerseile, meist aus geflochtenem Nylon, auf den ersten 700 Metern gegen Fischbiss mit Stahl ummantelt, halten sich mit tonnenschweren Stücken von ausrangierten Eisenbahnrädern am Meeresboden fest. Je nach zu erwartendem Seegang sind drei, zehn oder zwölf Meter große Bojen im Einsatz.

Besonders robust sind offenbar die sechs Meter langen Nomad-Bojen, deren Form einem Schiffsrumpf nachempfunden ist. Nomad-Bojen in Diensten der US-Ozeanbehörde sind bis heute noch nie gekentert. Dass gerade in der pazifischen Äquatorregion so viele Daten gesammelt wer- den, hat mit der Erforschung des katastrophenträchtigen Klimaphänomens El Niño zu tun.


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mare No. 34

No. 34Oktober / November 2002

Von Burkhard Strassmann und Jochen Bertholdt

Burkhard Strassmann ist Redakteur im Ressort „Wissen“ der Hamburger Wochenzeitschrift Die Zeit.

Der in Rostock lebende Grafiker Jochen Bertholdt, geboren 1936, zeichnete zuletzt in mare No. 20 moderne Segelfrachtschiffe.

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