Weckruf aus dem Morgenland

Schlafbezwinger? Liebesdiener? Der schwarze Trunk ­– ein weißes Blatt. Bis ein Hafen namens Mokka den Kaffee in die Welt verschickte

Die Herkunft des Kaffees liegt im Dunkeln, und das geht natürlich nicht. Wahrhaft wichtige Dinge brauchen einen Anfang. Selbst der Hinweis von Botanikern, das immergrüne Gewächs stamme ursprünglich aus dem Hochland Äthiopiens, reicht da nicht aus. Wer durfte vor allen die wunderbaren Aromen atmen? Wann erklang der unvergleichliche Weckruf des Koffeins zum ersten Mal? Und wie begann der Aufstieg der fabelhaften Kirsche zur Welthandelsware? Mit einer Chronologie, die in grauer Vorzeit ausfranst, geben sich Menschen bekanntlich nur ungern zufrieden. Lieber ist ihnen allemal eine Legende.

Es ist Nacht in den Bergen des Jemen, kühl und sternenklar, doch Hassan kommt nicht zur Ruhe. Unentwegt klappern die Hufe seiner Ziegen über die Felsen. Seit die Tiere von diesen roten Früchten gefressen haben, schlafen sie nicht mehr. Der Hirte trägt Blätter und Früchte zum Imam, doch auch der kennt die Pflanze nicht. Zum Abend versucht der Alte, sich einen Tee daraus zu brauen. Am Herd erhitzt er die Kerne der Frucht und gießt kochendes Wasser darüber. Welch bitterer Sud! Alsbald überkommt ihn ein seltsames Gefühl: als ob das Gewicht der Müdigkeit von ihm gefallen ist. Schnell geht sein Atem, und die Nacht scheint ihm wie der Tag.

(Nach Antonius Faustus Naironi, "De Saluberrima Potione Cahuè seu Cafè nuncupata Discursus", 1671)

Variationen dieser Kaffeeoffenbarung sind weit verbreitet. Der Hirte kaut die Blätter. Verspeist die Kirschen. Kocht Blätter und Früchte. Und so weiter. Jede Version der Legende beschreibt ein Stadium aus dem Lernprozess: Woher soll der Mensch auf Anhieb wissen, wie er der Kaffeebohne ihre magische Kraft entlockt? Der Begriff "Bohne" ist biologisch übrigens ein Unfug, aber er könnte wie die Pflanze tatsächlich aus Äthiopien kommen, wo sie den Kaffee einst "bunn" genannt und zu einer Art Wein vergoren haben. Auch das Rezept für den ersten Energieriegel soll dort entstanden sein: Mahle die Bohne, vermenge sie mit Tierfett und forme sie zu handlichen Kugeln. Wenn aus solchem Rohstoff ein wahrhaft göttliches Elixier wird, muss vielleicht doch höhere Gewalt im Spiel gewesen sein.

Dieses Getränk wurde durch Gabriel erfunden (welcher Gabriel, das bleibe dahingestellt) und gebraut. Um den gütigen Mohammed zu heilen, der nach Verabreichung dieses Tranks ... ohne weiteres vierzig Männer aus dem Sattel heben konnte und im Lager der Venus (mit mehr als herkulischen Kräften) mit vierzig Frauen schlafen konnte.

(Thomas Herbert, "Some Yeares Travels", 1638)

Kann es eine bessere Einführung für ein neues Produkt geben? Bohnentrunk verleiht übernatürliche Kräfte! Kämpfen und lieben wie der Prophet! Auch wenn der Wirkstoff vorerst nur das Interesse der Heilkundigen weckt, so schafft er doch den Sprung in die Geschichtsbücher. Der persische Arzt Al-Razi beschreibt um 940 A.D. als Erster die Eigenschaften des Kaffees. Er nennt ihn "Bunchum" und empfiehlt ihn bei Magenbeschwerden. Ibn Sina, Philosoph und Medikus aus dem samanidischen - heute usbekischen - Bokhara, nimmt ihn wenig später als stimulierendes Mittel bei Kreislaufschwäche in seinen "Kanon der Medizin" auf - ein Werk, das an europäischen Universitäten noch 500 Jahre später als maßgebliches Lehrwerk gelten wird.

Bunchum stärkt die Glieder, er reinigt die Haut und trocknet die Feuchtigkeit darunter, und er gibt dem ganzen Körper einen exzellenten Geruch.

(Ibn Sina, "Al-qanun fi at-tib", 1030)

Ein wichtiger Schritt, aber noch nicht der Durchbruch; zwei weitere Jahrhunderte lang verlieren die Chronisten den Zaubertrank aus den Augen. Bis eine kleine Hafenstadt ganz im Süden des Roten Meeres den Anbau forciert. Die Bauern im Hinterland von Al-Mukha pflü-cken den Bunn nicht mehr von Bäumen im Wald, sie pflanzen ihn auf ihren Terrassenfeldern in den Bergen an und trocknen seine Früchte auf Steinplatten. Haben sie sich die Prozedur von den Sufi-Derwischen abgeschaut? Die islamischen Mystiker jedenfalls schwören auf die obskure Bohne: Bunn verhilft ihnen bei ihren nächtlichen Ritualen mühelos zu einem Zustand der Euphorie.

Von Al-Mukha - die Europäer sagen Mokka - verbreitet sich die Kunde vom Sud, der den Schlaf bezwingt, über ganz Arabien. Handelskarawanen und Frachtschiffe tragen den Kaffee gen Norden, und als das Getränk im 16. Jahrhundert Mekka erreicht, hat sich ein neuer Name dafür eingebürgert: "Qahwa", eigentlich eine altarabische Bezeichnung für Wein. Die Anleihe ist gewagt, denn der Bohnentrunk segelt damit unter einer Flagge mit dem Alkohol und müsste eigentlich dem Bannstrahl des Korans unterliegen.

Ihr Gläubigen! Wein, das Losspiel, Opfersteine und Lospfeile sind ein Gräuel und des Satans Werk! ... Satan will durch Wein und das Losspiel nur Feindschaft und Hass zwischen euch aufkommen lassen und euch vom Gedenken Gottes und vom Gebet abhalten.

(Koran, Sure 5, Vers 90)


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mare No. 40

No. 40Oktober / November 2003

Von Olaf Kanter

Olaf Kanter, Jahrgang 1962, ist mare-Redakteur für Wirtschaft und Wissenschaft.

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