Waynes Muschelhaus

Das „Old Pearler“ im westaustralischen Denham serviert nicht nur Muscheln – das ganze Haus besteht daraus

Wayne Viney ist ein bescheidener Mensch. „Ich bin nicht besser als die anderen“, sagt er. „Aber ich koche mit Leidenschaft.“ Viney sitzt an einem großen Holztisch. An den Wänden um ihn herum hängen alte Fotos und Artefakte, die mit dem Meer zu tun haben: Bilder von Fischern, historischen Booten, ein altes Steuerrad. Es ist spät. Die letzten Gäste sind längst gegangen. Das Licht ist gedimmt. Doch erst jetzt will er sprechen. Viney will nicht im Mittelpunkt stehen. Nicht vor seinen Gästen.

Viney ist Besitzer und Koch des „Old Pearler“ in Denham, einer 700-Seelen-Gemeinde an der Westküste Austra­liens. Um die Ortschaft herum Einsamkeit: Sand, einige versprengte Büsche, Emus, Kängurus. Hinter Denhams bescheidener Promenade: aufgewühltes Meer. Doch im „Old Pearler“ ist es heimelig. Aus der Küche trägt Vineys rechte Hand Alei­sha immer neue Teller heran, die herrlich duften: ganze Flusskrebse, gegrillt in Mornay­sauce, Shark-Bay-Wittling mit feinem Zitronendip, würzig gegrillter Tintenfisch, leckere Knoblauchgarnelen.

Für eines der meistbestellten Gerichte reisen die Gäste von weither an, manch einer gar aus dem 800 Kilometer südlich gelegenen Perth: die große Fischplatte. Darauf: frische Austern mit Kilpatricksauce, Jakobsmuscheln mit Zitronenbutter, Languste, hauchzarter Red Snapper, Tintenfisch und Garnelen. Der Gastgeber bringt ausschließlich fangfrische Fisch- und Muschelgerichte aus dem Indischen Ozean auf den Tisch. Und Viney kann sich glücklich schätzen. Sein Restaurant ist meist Tage, ja manchmal Wochen im Voraus ausgebucht.

Der Fisch in Wayne Vineys Restaurant schmeckt nicht nur außerordentlich gut. Serviert wird er auch in passendem Am­biente, denn der „Old Pearler“ ist in einem Gebäude untergebracht, das nicht nur am Meer liegt, sondern auch aus Meer besteht. Am 45 Kilometer entfernten Shell Beach haben Wind und Wetter über einen Zeitraum von 6000 Jahren Myriaden angeschwemmter Herzmuscheln der Art Fragum erugatum zu einer bis zu neun Meter dicken Schicht aus Muschelkalk gepresst.

Bis in die 1950er-Jahre wurde der Zement, auch Coquina genannt, in Blöcken aus dem Strand herausgesägt und als Baumaterial verwendet: für Denhams Kirche, aber auch für einige andere Gebäude in der Gemeinde wie das 1954 gebaute Restaurant. Wayne Viney übernahm das Haus 2010, und dessen alten Charme hat er erhalten. Wenn an der Shark Bay der Wind faucht, ist es drinnen gemütlich warm, denn die durch die Muscheln mit unzähligen Hohlräumen versehenen Steinblöcke haben hervor­ragende Dämmeigenschaften. Allerdings, auch das sagt Viney, „bei solch einem alten Gebäude ist man immer im Renovierungsmodus“.

Es sei das beste Restaurant weit und breit, sagen die Gäste. Vom Essen her und auch vom Flair. Vor Covid kamen gern auch Asiaten, Amerikaner und Europäer. Heute sind 80 Prozent der Besucher Australier. Viney hat nur neun Tische. „Mehr Platz ist einfach nicht da“, sagt der 49-Jährige. Den zehnten hat er ­kürzlich weggeräumt. „Damit jeder Gast mehr Platz hat.“ Im „Old Pearler“ schenkt der Gastgeber nicht einmal Alkohol aus. Oder sagen wir: Trinken darf man ihn, aber man muss ihn selbst mitbringen. „Weil wir keine Lizenz haben“, sagt er. „Aber die Leute kommen ja wegen dem, was auf den Teller kommt, nicht wegen dem, was im Glas ist.“

Was das Geheimnis seines Restaurants ist? „Wir setzen auf Qualität, nicht auf Quantität“, sagt Viney. „Du musst die Tiere, die du auf den Teller bringst, respektieren.“ Die Zutaten kauft Viney bei der Shark Bay Fish Factory in Denham ein. „Denn frischer geht es nicht“, sagt der 49-Jährige. „Die Boote kommen rund um die Uhr rein.“ Aber jeden Abend in der Küche die gleiche hohe Qualität hinzubekommen, das sei das Schwierigste, gesteht er. 365 Tage im Jahr auf hohem Niveau zu kochen erfordere eine Menge  Disziplin. Sein eigentliches Erfolgsrezept aber ist ein ganz anderes. „Für uns ist das keine Arbeit“, sagt Wayne Viney. Für viele andere sei Kochen ein Job, und sie würden dafür bezahlt. „Für mich ist es ein Lebensstil.“ 


Austern à la Kilpatrick

Zutaten und Zubereitung (für vier Personen)

Ofen auf 190 Grad vorheizen. 12 Austern öffnen, 10 EL Meersalz zu einem Teppich auf dem Backblech verstreuen, die Austern darin kippsicher platzieren. 120 g Bacon in Würfel schneiden und Muscheln damit be­legen, dann mit einer Sauce aus 3 EL Ketchup, 2 EL Zitronensaft, 4 Spritzern Worcestersauce und 3 Spritzern Tabasco beträufeln. Austern vier Minuten auf mittlerer Schiene gratinieren und mit Schnittlauchröllchen servieren. 

The Old Pearler
71 Knight Terrace, Denham, WA 6537, Australien, Telefon +61/437/615322.
Vorherige Reservierung ist wegen der großen Nachfrage und der begrenzten Zahl an Plätzen unbedingt angeraten. 
www.facebook.com/TheOldPearler

mare No. 161

mare No. 161Dezember 2023 / Januar 2024

Von Fabian von Poser und Darren Jew

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Person Von Fabian von Poser und Darren Jew
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