Was kommt nach dem Öl

Die Vereinigten Arabischen Emirate wissen, dass ihnen das Öl ausgeht. Damit auch in der Zukunft alles wie geschmiert läuft, haben sie eine Alternative entdeckt: das Meer

Alle Hauptstädte der Vereinigten Arabischen Emirate liegen am Meer. Im Westen säumen sie die Küste des Persischen Golfes, im Osten jene des Indischen Ozeans. Das ist bemerkenswert und keineswegs selbstverständlich, denn die Hauptstädte der benachbarten Reiche Saudi-Arabiens, Irans und Iraks liegen tief im Landesinneren.

Die Vereinigten Emirate, die über Jahrhunderte hinweg gar nicht vereinigt waren, sind weder gewachsen noch geworden. Sie sind entworfen und konstruiert. Seit je lebten die Menschen hier, im Nordosten der Arabischen Halbinsel, in der tödlichsten aller Landschaften: 97 Prozent der Fläche sind unfruchtbar. Als Beduinen lebten sie im Vorland der Berge oder in kleinen Siedlungen entlegener Wüsten­oasen. Sie zogen von Ort zu Ort, von Oase zu Oase, lebten streng nach den islamischen Regeln, in starken familiären Bindungen und großer Loyalität gegenüber dem Scheich ihres jeweiligen Stammes. Alles drehte sich um Kamele und Dattelpalmen und war geprägt durch Vermeidung und Bewältigung der Wüstenhitze.

Heute lebt kaum noch jemand in den Wüsten, und an den Küsten des Golfes lassen die Scheichs 1000 Meter hohe Türme bauen, schütten Sand und Steine auf und weiten das Land ins Meer aus. Die Ver- einigten Arabischen Emirate sind ohne  das Meer nicht mehr zu denken. Womöglich gibt es weltweit kein zweites Beispiel  für den derart verblüffenden und rasanten Aufstieg einer Ansammlung beduinischer Stämme zu einer Nation, die nicht nur die Wüste besiegt, sondern sich schließlich auch die Küste untertan gemacht hat. Diese sagenhafte Geburt aus dem Nichts hat viel mit Perlen, sehr viel mit Öl und wesentlich mit Engländern zu tun.


1498 entdeckten zwar Portugiesen den Seeweg nach Indien um Afrika, aber gut ein Jahrhundert später expandierte die  British East India Company mit großer Entschiedenheit ostwärts. Und als Indien 1858  schließlich Kronkolonie des britischen Empire wurde, hatte das erhebliche Konsequenzen für die damals unvereinigten Stammestümer, die seit Jahrtausenden den Persischen Golf als Handelsraum nutzten.

Um den Golf (und also den Handelsweg nach Osten) vor kämpferischen Attacken von Piraten und Schmugglern zu schützen, schloss die englische Regierung einen Friedensvertrag mit den Scheichtümern am Golf ab, die sie von da an Trucial States nannten, Vertragsstaaten. Die Küste hieß jetzt „Vertragsküste“. 1853 wurde der „Ewige Seefrieden“ unterzeichnet, knapp 40 Jahre später folgte der  Treaty of Exclusivity, ein Abkommen, mit  dem die Emire zusicherten, ihr Land ausschließlich an England zu verkaufen oder zu verleihen. Die Engländer sicherten die Kontrolle über den Golf, im Gegenzug  organisierten sie das Ausbildungs- und  Gesundheitswesen in den Emiraten nach englischer Art. So ging das 118 Jahre lang.

1971 kündigte, zur großen Überraschung der Scheichs, die damalige britische Regierung die Verträge auf und entließ die Emirate in die Unabhängigkeit, in die sie, im Gegensatz zu vielen anderen Kolonien des Britischen Empire, gar nicht wollten. Der unter innenpolitischem Druck stehenden Regierung in London waren die Militärausgaben zum Schutz der Seewege nach Indien zu hoch, außerdem wurden auch alle anderen Militärbasen östlich des Sueskanals aufgegeben. In der Not schlug die Stunde des Charismatikers aus der Wüstenoase Al Ain: Scheich Zayid bin Sultan Al Nahyan, der Emir von Abu Dhabi, überzeugte die Scheichs der benachbarten Stammestümer von einer Föderation. Auf so kluge wie volksnahe Art moderierte er Konflikte und wurde 1971 erster Präsident der nun unter ihm Vereinigten Arabischen Emirate. Zur neuen Nation gehörten die sieben Emirate Abu Dhabi, Dubai, Sharjah, Adjman, Umm al-Qaiwain, Ras al-Khaimah und Fujairah. Die Struktur der Vereinigten Emirate hat Ähnlichkeiten mit dem föderalen System der Bundesrepublik, obwohl der Staat am Golf von einer Demokratie westlichen Stiles mit Parlamentarismus, Presse- und Meinungsfreiheit, Rechtsstaatsprinzip und Gewaltenteilung weit entfernt ist. Wie die 16 deutschen Bundesländer sind die Emirate mit je einer Landesregierung und eigenen Ministerien autonom verwaltet; der Emir entspräche dem Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslands, der Präsident der Vereinigten Emirate wäre formal vergleichbar mit der Bundeskanz­lerin als nationaler Regierungschefin.

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mare No. 129

August / September 2018

Von Christian Schüle und Philip Cheung

Christian Schüle, Jahrgang 1970 und freier Autor in Hamburg, hatte schon als Kind eine große Leidenschaft für den Orient und seien Erzählungen. Aus den Emiraten Abu Dhabi, Dubai und Ras al-Khaimah kam er kürzlich mit der Erkenntnis zurück, dass alle Ideen, die dem westlichen Menschenverstand undurchführbar scheinen, letztlich Realität werden, wenn der Wille sich durchsetzt.

Philip Cheung, Jahrgang 1979, ist freier Fotograf in Los Angeles und Toronto. Seine Arbeiten werden in Galerien und Museen ausgestellt. Die Fotoserie über die Vereinigten Arabische Emirate entand über einen Zeitraum von vier Jahren.

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Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970 und freier Autor in Hamburg, hatte schon als Kind eine große Leidenschaft für den Orient und seien Erzählungen. Aus den Emiraten Abu Dhabi, Dubai und Ras al-Khaimah kam er kürzlich mit der Erkenntnis zurück, dass alle Ideen, die dem westlichen Menschenverstand undurchführbar scheinen, letztlich Realität werden, wenn der Wille sich durchsetzt.

Philip Cheung, Jahrgang 1979, ist freier Fotograf in Los Angeles und Toronto. Seine Arbeiten werden in Galerien und Museen ausgestellt. Die Fotoserie über die Vereinigten Arabische Emirate entand über einen Zeitraum von vier Jahren.
Person Von Christian Schüle und Philip Cheung
Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970 und freier Autor in Hamburg, hatte schon als Kind eine große Leidenschaft für den Orient und seien Erzählungen. Aus den Emiraten Abu Dhabi, Dubai und Ras al-Khaimah kam er kürzlich mit der Erkenntnis zurück, dass alle Ideen, die dem westlichen Menschenverstand undurchführbar scheinen, letztlich Realität werden, wenn der Wille sich durchsetzt.

Philip Cheung, Jahrgang 1979, ist freier Fotograf in Los Angeles und Toronto. Seine Arbeiten werden in Galerien und Museen ausgestellt. Die Fotoserie über die Vereinigten Arabische Emirate entand über einen Zeitraum von vier Jahren.
Person Von Christian Schüle und Philip Cheung