„Was bewährt läuft, das macht man weiter so“

Wie die deutschen Reeder die Billigflagge Liberia sehen

mare: Welchen Vorteil hat ein deutscher Reeder vom Ausflaggen?

Nöll: Allgemein gesagt, wird man frei von der deutschen Schiffsbesetzungsordnung, die sagt, dass bestimmte Positionen mit Deutschen oder Europäern besetzt werden müssen. Wenn Sie ein Schiff ausflaggen, fahren Sie es mit einem deutschen Kapitän und Ingenieur, vielleicht auch noch mit einem deutschen Elektriker oder Ersten Offizier. Die restlichen Besatzungsmitglieder kommen aus den Philippinen, Polen oder anderen Staaten. Die Heuer dieser Seeleute ist natürlich nicht so hoch, sie zahlen nicht die gleiche Pflege- und Arbeitslosenversicherung, und Seeleute ohne Wohnsitz in Deutschland sind auf einem ausgeflaggten Schiff nicht in Deutschland steuerpflichtig.

Was ist das Besondere an der Liberia-Flagge?

Seeleute, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben, bleiben grundsätzlich in Deutschland steuerpflichtig, auch wenn sie auf ausgeflaggten Schiffen arbeiten. Lediglich das Doppelbesteuerungsabkommen mit Liberia enthält diese Klausel nicht. Sie sind frei von der deutschen Steuerpflicht, wenn sie mehr als 183 Tage auf einem Schiff unter Liberias Flagge fahren. Steuerlich gesehen, können Sie mit den Seeleuten praktisch Nettoheuer abschließen. Bei vier Deutschen an Bord beträgt die Steuerlast schon mal an die 50000 Euro, das spielt eine Rolle im Wettbewerb.

Kürzlich verlängerten die Vereinten Nationen ihr Embargo gegen Liberia um ein Jahr. Empfiehlt der VDR seinen Mitgliedern, nicht mehr unter der Flagge Liberias zu fahren?

Die Dokumente der Vereinten Nationen erwähnen nicht das Liberia-Register. Das sitzt in den Vereinigten Staaten, ist eine private Gesellschaft, gründet auf US-Recht und hat einen Vertrag mit Liberia, dass sie dieses Register für Liberia führt. Die Kontrollen für Schiffssicherheit, Meeresumweltschutz und Anforderungen an sicheren Schiffsbetrieb, die auf internationalen Konventionen beruhen, werden nicht von Liberia übernommen. Die internationale Hafenstaatkontrolle, die zuständig ist für die Einhaltung dieser Standards, gibt jedes Jahr eine weiße Liste heraus, auf der diejenigen Flaggen stehen, die unterdurchschnittlich aufgefallen sind. Die Schiffe unter der Liberia-Flagge liegen im weißen Bereich. Aber man kann nicht sagen, dass die Schiffe in unverantwortlicher Weise über See fahren.

Das ist nicht der Vorwurf.

Negativ ist, wenn dieses Register und seine Einnahmen in Verbindung gebracht werden mit Gewaltakten. Aber darauf haben wir unmittelbar keinen Einfluss.

Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Liberia mit den Einnahmen aus dem Register die Rebellen im demokratischen Sierra Leone unterstützt, um sich an dem dortigen Diamantenvorkommen zu bereichern.

Das ist schlüssig dargelegt, das bedauern wir genauso. Wenn Sie mich persönlich fragen: Das sind Beutemacher, brutale Eroberer, Pizarros. Man könnte in der Tat die Frage stellen: Darf man in solch einem Register sein? Wir könnten es uns einfach machen und sagen: Wir gehen aus dem Register, wenn hier politische Nachteile für die Schifffahrt erwachsen. Aber das sehen wir noch nicht so. Die nüchterne Erkenntnis im Sanktionsausschuss der Vereinten Nationen ist es, dass die Registereinnahmen für friedliche Zwecke in Liberia verwandt werden sollen, vor allem, dass sie nicht in Waffen fließen. Dazu soll eine noch nicht gefundene Gesellschaft die Wege des Geldes feststellen und Vorschläge erarbeiten, wie man diese transparent machen kann. Solange dieser Prozess im Fluss ist, ist meiner Meinung nach keine Maßnahme gegen das Register zu erwarten. Das kann sich ändern, wenn überhaupt nichts passiert.

Der norwegische Reederverband ruft seine Mitglieder auf, die Liberia-Flagge zu verlassen.

Das ist eine politische Äußerung. Man hat Angst vor der schlechten Reputation, wenn die norwegische Schifffahrt in einem Register fährt, das in Afrika mit Bürgerkrieg, Gewalt und Ausbeutung der Natur in Verbindung gebracht wird. Ein Wort zur Bundeswehr: Auch sie chartert die Schiffe nach rein kommerziellen Erwägungen zu den günstigsten Konditionen. Auch unter der liberianischen Flagge. Die Bundesregierung hat das Recht, die Ausflaggung zu verweigern, etwa aus politischen Gründen. Der Bundesverkehrsminister muss jedem Antrag auf Ausflaggung zustimmen. Ende vergangenen Jahres wurde bei den Genehmigungen nach Liberia ein Widerrufsvorbehalt aufgenommen für den Fall, dass der UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen Liberia beschließt, die das Register betreffen. In dem Moment kann die Bundesregierung alle Ausflaggungsgenehmigungen widerrufen. Wir haben diesem Vorbehalt zugestimmt. Es ist also Vorsorge getroffen, wir müssen unseren Mitgliedern nichts mehr empfehlen. Außerdem gibt es ein Beharrungsvermögen: Was bewährt läuft, das macht man weiter so.

mare No. 33

No. 33August / September 2002

Ein Interview von Hans Wille

Hans Wille, Jahrgang 1963, lernte nach dem Abitur das Tischlerhandwerk. Nach einigen Gesellen- und Wanderjahren, die ihn durch Südeuropa und Mittelamerika führten, studierte er in Hamburg und Valparaíso (Chile) Geographie, Volkswirtschaft, Journalistik, Lateinamerikanistik und Spanisch. Seit 1991 lebt und arbeitet er als freiberuflicher Autor in Hamburg.

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Vita Hans Wille, Jahrgang 1963, lernte nach dem Abitur das Tischlerhandwerk. Nach einigen Gesellen- und Wanderjahren, die ihn durch Südeuropa und Mittelamerika führten, studierte er in Hamburg und Valparaíso (Chile) Geographie, Volkswirtschaft, Journalistik, Lateinamerikanistik und Spanisch. Seit 1991 lebt und arbeitet er als freiberuflicher Autor in Hamburg.
Person Ein Interview von Hans Wille
Vita Hans Wille, Jahrgang 1963, lernte nach dem Abitur das Tischlerhandwerk. Nach einigen Gesellen- und Wanderjahren, die ihn durch Südeuropa und Mittelamerika führten, studierte er in Hamburg und Valparaíso (Chile) Geographie, Volkswirtschaft, Journalistik, Lateinamerikanistik und Spanisch. Seit 1991 lebt und arbeitet er als freiberuflicher Autor in Hamburg.
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