Wanzen im Ozean

Ein weltumspannendes Abhörsystem gegen U-Boote im Dienst der Walforschung

Es quietscht, knarrt, bellt, gluckert und murmelt aus den Lautsprechern, wenn die gewichtigsten Sänger der Erde ihre musikalischen Meisterleistungen zum besten geben. Ein wogendes Rauschen lässt die Ohren eine schier endlose Halle erahnen. Kein Wunder: Der Chor der Walfamilie bedient sich der Weiten der Ozeane als Konzertsaal. Die aufwendigste Anlage, die je für eine Plattenproduktion eingesetzt wurde, steht Buckelwal, Blauwal, Finnwal und Zwergwal für die „live“-Aufnahme ihrer Gesänge, Rufe und Gespräche zur Verfügung. Die CD mit den Greatest Hits aus dem Ozean stammt aus dem Acoustic Laboratory der amerikanischen Cornell Universität, das Aufnahmegerät gehört zum Arsenal der US-Marine.

Sound Surveillance System (Sosus) nannten Amerikas Kalte Krieger die immense Abhöranlage in den Tiefen der Ozeane, die feindliche U-Boote aufspüren – nicht Walen lauschen – sollte. Die Installation des Systems in den fünfziger Jahren verlief unter strengster Geheimhaltung. Über Jahrzehnte wurde nicht einmal die Existenz des Netzwerks von untermeerischen Wanzen bekannt, deren feinem Gehör keine Schiffsschraube entging. Rund tausend Unterwassermikrofone vor beiden amerikanischen Küsten und im Umkreis strategisch günstig gelegener Inseln – Guam und Hawaii im Pazifik, Bermuda im Atlantik, Asunción im Indischen Ozean – bilden die Ohren von Sosus. Die Hydrophone sind in Gruppen von zwanzig bis sechzig wie die Perlen einer Kette entlang eines Kabels aufgereiht, das sie mit Küstenstationen auf dem Festland verbindet.

Die Gesamtlänge der Kabel wird auf 50 000 Kilometer geschätzt. 16 Milliarden Dollar ließ sich das Verteidigungsministerium allein das Verlegen von Sosus kosten. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges entzifferten tagtäglich 2700 Techniker den Informationsfluss, der über die Kabel aus den Meerestiefen in die Computer des Pentagon floss.

Das Geräusch von U-Booten fehlt in der Sammlung der Greatest Hits aus den Ozeanen. Lediglich das dröhnende Rumpeln untermeerischer Vulkanausbrüche übertönt die Stimmen der Wale zuweilen. Die meisten Sosus-Daten hält die Marine auch heute noch streng geheim. Ein Anfang der neunziger Jahre erlassenes Gesetz sieht zwar vor, dass mit dem Ende des Kalten Krieges weite Teile des militärischen Komplexes für zivile Forschung genutzt werden, doch im Fall von Sosus verläuft die Umwandlung von Schwertern zu Pflugscharen zäh. Es gibt einen triftigen Grund für die anhaltende Geheimniskrämerei der Militärs: Heute spürt das ozeanische Abhörsystem in erster Linie amerikanische U-Boote auf. Peinlich wäre es, wenn Daten über den Standort und die Manöver der eigenen Flotte in fremde Hände fielen.

„Über 99 Prozent der Sosus-Informationen gelangen auch heute noch nicht an die Öffentlichkeit“, hat der Biologe Christopher Clark von der Cornell Universität erfahren. Dennoch ist der Walforscher, der zu den wenigen Wissenschaftlern gehört, die direkten Zugang zu dem geheimen System bekommen haben, ein großer Fan des Abhörsystems. Sosus, meint er, werde die Meeresforschung „in vielen Bereichen entschieden vorantreiben“.

Welche Glanzleistungen Sosus im Dienste des Kalten Kriegs erbrachte, bleibt weitgehend in den Archiven des Pentagon verborgen. Sicher ist, dass das Horchsystem nicht nur sowjetischen U-Booten nachspionierte, sondern harten Rüstungsfanatikern dazu diente, das Wettrüsten in den Meeren kräftig anzuheizen.

Anfang des Jahres 1968: Die Verwicklung der Amerikaner in den Vietnamkrieg reißt tiefe Lücken in den Verteidigungsetat. Aus den obersten Rängen des Pentagon kommen Anweisungen, alle nicht mit dem Krieg in Südostasien verbundenen Rüstungsausgaben zu drosseln – eine schlechte Nachricht für Vizeadmiral Hyman Rickover. Der legendäre Herr über die amerikanische U-Boot-Flotte versucht seit einiger Zeit, im Kongress Gelder für den Bau modernster Hochgeschwindigkeits-U-Boote lockerzumachen. Doppelt so viel wie bisherige U-Boote soll der neue Prototyp kosten. Rickover trägt sich mit dem ominösen Gedanken, dass die Sowjets bereits im Besitz der schnelleren U-Boote sind. Allein, wie soll er die Abgeordneten davon überzeugen?

Am Morgen des dritten Januar läuft der Flugzeugträger „USS Enterprise“ unter dem Kommando von Kapitän Kent Lee vom Marinestützpunkt Alameda in Südkalifornien auf dem Weg nach Vietnam aus. Zur gleichen Zeit ertappen die Sosus-Hydrophone vor der Küste Alaskas ein sowjetisches U-Boot der Novemberklasse, das die Beringsee verlässt, die Aleuten durchquert und Kurs Richtung Süden nimmt. Der Weg des U-Boots wird im „Warroom“ in den Kellern des Pentagon aufs Genaueste verfolgt: So weit nach Süden stößt der Feind nur selten in den östlichen Pazifik vor. Als Vizeadmiral Rickover von der Situation unterrichtet wird, zeigt er sich hocherfreut. Er vermutet, dass die Sowjets der Enterprise im geheimen nachspüren wollen. Von den Ohren im Ozean, die jede Bewegungen ihrer U-Boote nach Washington melden, weiß Moskau mit Sicherheit nichts. Rickover sieht seine Chance: Er wird das Spielchen mitspielen, eine Verfolgungsjagd – mit der „Enterprise“ als Köder – inszenieren, und so die Geschwindigkeit des U-Boots testen.

Zwei Tage später erreicht das sowjetische U-Boot die „Enterprise“ und folgt ihr in zehn Kilometer Entfernung. Rickovers Drama auf hoher See kann beginnen. Kapitän Lee bekommt Anordnung, die Geschwindigkeit des Flugzeugträgers von 16 auf 18 Knoten zu erhöhen. Das U-Boot bleibt ihm auf den Fersen. Im Verlauf der nächsten sechs Stunden schraubt Lee seine Geschwindigkeit Schritt für Schritt auf 31 Knoten hoch, die Höchstleistung der „Enterprise“. Der Verfolger lässt sich nicht abschütteln, bricht vielmehr alle Geschwindigkeitsrekorde, die die Amerikaner je bei feindlichen U-Booten gemessen haben.

Die Rechnung des Vizeadmirals ist aufgegangen. Zwei Wochen später unterrichtet Rickover in geheimen Sitzungen die Kongressabgeordneten von der Verfolgungsjagd im Pazifik. Ein Jahr darauf ordnet Präsident Nixon den Bau von zwölf neuen Hochgeschwindigkeits-U-Booten der Los-Angeles-Klasse an.


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mare No. 1

No. 1April / Mai 1997

Von Sophia Wald

Sophia Wald, Jahrgang 1954, lebt als freie Wissenschaftsjournalistin in Washington, D.C.

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Person Von Sophia Wald
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