Wanderer zwischen den Welten

Die Kunst, die Natur zu schützen: Julian Charrière ist zugleich Land-Art-Künstler und Umweltaktivist. Dafür klettert er auch auf Eisberge

 Anthropozän – unter diesem Begriff wird immer häufiger das gegenwärtige Erdzeitalter diskutiert, das sich durch den Eingriff des Menschen in seine eigenen Lebensgrundlagen und die daraus erwachsenden irreversiblen Folgen auszeichnet. Erstmals bereits 1873 vom italienischen Geologen Antonio Stoppani formuliert, umfasst das Konzept all jene Erscheinungen, die inzwischen täglich daran erinnern, welche Konsequenzen unsere Handlungen – und Unterlassungen – auf unsere Umwelt haben. So war nach Angaben des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung im Sommer des Jahres 2020 aufgrund der globalen Erwärmung ein dramatischer Rückgang des arktischen Meereises zu verzeichnen. Manch Kollateralprodukt menschlicher Existenz ist dabei groß und unübersehbar, anderes ist klein wie Mikroplastik, aber in seiner weltweiten Verbreitung ebenfalls dramatisch. Und unabhängig davon, ob man den Beginn dieser neuen Epoche um 1800 oder, wie von der Anthropocene Working Group vorgeschlagen, auf die Mitte des 20. Jahrhunderts datiert, ist die Spur menschlicher Existenz tief in die Erde eingeschrieben.

Der in Berlin lebende Schweizer Künstler Julian Charrière, Jahrgang 1987, sieht es so: „Das Anthropozän würde ich als den Moment bezeichnen, in dem der Mensch die größte Kraft der Weltveränderung auf der Erde geworden ist. Der Moment, in dem der Mensch mehr Einfluss hat als Tektonik, Wind und Wasser und somit zum größten geoklimatischen Akteur geworden ist. Der Moment, in dem sich der Mensch als größter geoklimatischer Akteur verwirklicht hat. Natürlich kann man diesen Moment nicht genau benennen, und er wird seit einigen Jahren auf verschiedenen Kolloquien diskutiert. Aber eine Theorie ist, dass es der Moment war, als die Prägung der Erde durch den Menschen so tief war, dass sie für immer sichtbar sein wird – wie zum Beispiel durch die Schaffung künstlicher radioaktiver Isotope bei Atomtests. Diese Spuren werden noch in Hunderten Millionen von Jahren sichtbar sein – sofern der Mensch dann noch existiert.“

Charrière selbst hat ein besonders aussagekräftiges Bild für diese neue Ära geschaffen. „The Blue Fossil Entropic Stories“, eine Serie von Fotografien aus dem Jahr 2013, zeigen ihn auf einem Eisberg im Arktischen Ozean mit einem Gasbrenner in der Hand.

So etwas wirkt auf den ersten Blick wie eine radikale Kritik an unserer gegenwärtigen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, doch Julian Charrières Kunst findet trotzdem oder vielleicht sogar deswegen Anklang in bedeutenden Sammlungen wie der des Unternehmers Heiner Wemhöner: „Als ich seine Arbeit ‚The Blue Fossil Entropic Stories‘ 2013 das erste Mal sah, war ich sofort begeistert. Ein Mann steht mit einem Schneidbrenner auf einem Eisberg im Arktischen Ozean und sägt, bildlich gesprochen, an dem Ast, auf dem er sitzt. An Julian Charrières Arbeit fasziniert mich sein Entdeckergeist und seine Risikobereitschaft, körperliche Extremsituationen einzugehen, um Bilder zu finden und mitzubringen, die aufrühren und beeindrucken.“ 

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mare No. 144

mare No. 144Februar / März 2021

Von Gunnar Lützow

Gunnar Lützow, geboren 1970, schreibt für die Zeit, art und taz über Kultur und Gesellschaft. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Berliner Kunstszene, wo er im Mai 2010 im Rahmen einer Ausstellung von Ólafur Elíassons „Institut für Raumexperimente“ erstmals auf eine Arbeit Julian Charrières stieß. Die universelle Neugier des Künstlers, der Wagemut und die Akribie, mit der dieser seine komplexen Projekte realisiert, beeindrucken ihn nach wie vor.

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Vita Gunnar Lützow, geboren 1970, schreibt für die Zeit, art und taz über Kultur und Gesellschaft. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Berliner Kunstszene, wo er im Mai 2010 im Rahmen einer Ausstellung von Ólafur Elíassons „Institut für Raumexperimente“ erstmals auf eine Arbeit Julian Charrières stieß. Die universelle Neugier des Künstlers, der Wagemut und die Akribie, mit der dieser seine komplexen Projekte realisiert, beeindrucken ihn nach wie vor.
Person Von Gunnar Lützow
Vita Gunnar Lützow, geboren 1970, schreibt für die Zeit, art und taz über Kultur und Gesellschaft. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Berliner Kunstszene, wo er im Mai 2010 im Rahmen einer Ausstellung von Ólafur Elíassons „Institut für Raumexperimente“ erstmals auf eine Arbeit Julian Charrières stieß. Die universelle Neugier des Künstlers, der Wagemut und die Akribie, mit der dieser seine komplexen Projekte realisiert, beeindrucken ihn nach wie vor.
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