Walprogramm

Mithilfe der KI wollen Forscherinnen und Forscher in aller Welt die Sprache der Wale dechiffrieren – mit erstaunlichen Erfolgen

Pottwale haben das größte Gehirn in der Natur. Mit rund acht Kilogramm ist es sechsmal gewichtiger als ein Menschenhirn. Aber das eigentlich Beeindruckende an einem Pottwal ist seine Nase. Lang wie ein Mittelklassewagen und circa sechsmal schwerer, enthält sie gut zehn Badewannenfüllungen einer Substanz, die so schmierig ist, dass die frühen Walfänger glaubten, es handele sich um das Sperma des Tiers.

Tatsächlich macht die ölige Masse die Nase des Pottwals zum mächtigsten Akustik­organ der Welt. Wenn Pottwale im Schwarz der Tiefsee jagen, lokalisieren sie ihre Beute, indem sie Schallwellen ausstoßen, die bis zu 230 Dezibel erreichen. Zum Vergleich: Ein Presslufthammer dröhnt mit 100 Dezibel, ab 150 De­zi­bel droht unser Trommelfell zu platzen.

Doch wenn Shane Gero „seine“ Pottwale beobachtet, tummeln sich die Tiere an der Oberfläche, wo sie weit weniger martialisch klingen. Gero, ein Meeresbiologe an der Carleton University im kanadischen Ottawa, studiert seit 20 Jahren die Pottwale, die rund um die Karibik­insel Dominica leben. Häufig schwimmen die Wale dort in kleinen Grüppchen, stupsen sich gegenseitig, reiben sich anein­ander oder beknabbern sich zart. Dabei hört Gero oft Serien von vergleichsweise sanften Klicks, die erkennbar bestimmten Mustern folgen. „Die häufigste Abfolge in der Karibik ist 1+1+3“, sagt Gero. Also klick … klick … klick-klick-klick.

Dazwischen produzieren die Wale längere und kürzere Sequenzen, auch Codas genannt, die sich manchmal überlagern. Aber typischer ist, dass ein Wal klickt, eine kurze Pause folgt und dann ein anderer Wal klickt. Einmal lauschte Gero von seinem Boot, wie zwei Walkälber 45 Minuten lang Codas austauschten. „Da hat man schon schnell das Gefühl, dass das mehr ist als zufällige Geräusche.“ 

Handelt es sich bei dem Knacken um eine Sprache? Gero und andere Forscher  haben beobachtet, dass verschiedene Pottwalgruppen unterschiedliche Klick­repertoires haben. Pottwale verbringen ihre Zeit mit Artgenossen, die ähnliche Knacklaute produzieren wie sie selbst. Und sie gehen jenen aus dem Weg, die andere Codas klicken. Ein Pottwalbaby braucht gut zwei Jahre, bevor es den spezifischen Knackdialekt seiner Gruppe meis­tert. „Vorher brabbelt es“, so Gero.

Er ist der biologische Leiter eines Projekts, das untersucht, ob es sich bei den Codas tatsächlich um eine Sprache handeln könnte. Forscher haben auch früher schon Tierkommunikation studiert, etwa die Rufe von Affen, das Fiepen von Mäusen und den Gesang von Vögeln. Doch nie zuvor haben so viele verschiedene Experten gemeinsam versucht, die Kommunikation einer einzigen Tierart zu entschlüsseln – noch dazu einer Spezies, die bereits Jahrmillionen länger auf der Erde lebt als der Mensch. Aus Israel, Italien, der Karibik, Großbritannien und Nord­amerika haben sich Meeresbiologen, Linguisten, Robotikexperten, Unterwasser­akustiker und – ganz zentral – Fachkundige für Künstliche Intelligenz (KI) zur Wal-Übersetzungsinitiative CETI (Cetacean Translation Initiative) zusammengetan. Kollektiv wollen sie einen Traum erfüllen, den die Menschen schon lange hegen: zu verstehen, was Tiere sagen.

Pottwale leben seit mehr als 20 Milionen Jahren auf der Erde. Oder wie Gero gern sagt: „Pottwale waren schon Pottwale, als der Mensch noch auf allen Vieren ging.“ Was würde es für die Welt bedeuten, könnten wir entschlüsseln, was diese Meeressäuger kommunizieren?

Jahrhundertelang jagten die Menschen Pottwale. Aus ihrem Speck und der öligen Nasensubstanz – bis heute Spermazeti genannt – fertigte man Brennstoff für Straßenlampen und Leuchttürme, aber auch Kerzen, Salben und Maschinenöl. Noch Anfang der 1970er-Jahre nutzten manche US-Autohersteller Spermazeti im Getriebeöl.

Anders als andere Walarten wehren sich Pottwale gelegentlich. So basiert Herman Melvilles Weltroman „Moby Dick“ auf einem Vorfall, bei dem ein Pottwal ein Walfangschiff angriff und versenkte. Dennoch dezimierten die Jäger die Population der Tiere von einst knapp zwei Millionen um mehr als die Hälfte.

Dass Pottwale Laute von sich geben, erkannten Wissenschaftler erst 1957. „Als wir das Klicken hörten, dachten wir, das klingt wie Morsezeichen“, sagt Hal Whitehead, Walforscher an der Dalhousie University in Halifax, Kanada. „Natürlich legte das sofort die Vermutung nahe, dass die Klicklaute eine ähnliche Funktion haben könnten. Dass sie ausdrücken ‚Lass uns tauchen‘ oder ‚Hier entlang‘.“

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 162. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 162

mare No. 162Februar / März 2024

Von Ute Eberle

Ute Eberle, Jahrgang 1971, freie Wissenschaftsjournalistin in Baltimore, USA, staunt über einen Fakt, den sie bei dieser Recherche gelernt hat: Die Menge an Tintenfischen, die Pottwale jedes Jahr gemeinsam fressen, entspricht der gesamten Fangmenge an ­allen Fischen der modernen Fischerei.

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Vita Ute Eberle, Jahrgang 1971, freie Wissenschaftsjournalistin in Baltimore, USA, staunt über einen Fakt, den sie bei dieser Recherche gelernt hat: Die Menge an Tintenfischen, die Pottwale jedes Jahr gemeinsam fressen, entspricht der gesamten Fangmenge an ­allen Fischen der modernen Fischerei.
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