Walhaut gegen Seepocken

Forscher suchen bei den Meeressäugern nach Ideen, wie sie Schiffe ohne Gift vor Bewuchs schützen können

Am ersten Forschungstag auf den Färöer-Inseln kam für Christoph Baum gleich der große Schock: „Obwohl ich wusste, was mich erwarten würde, stockte mir beim Anblick der abgeschlachteten Wale und Delfine das Herz." Trotz internationaler Proteste halten die Bewohner der zu Dänemark gehörenden Inselgruppe weiter an ihrer archaisch anmutenden Jagd auf Meeressäuger fest. Alljährlich zwischen Juni und September werden Tausende von Tieren getötet. Besonders häufig erwischt es dabei Pilotwale. Noch lebend werden sie in den Hafen geschleppt und sterben qualvoll an ihren Verletzungen.

Wissenschaftler aus anderen Ländern sind hier nicht gerne gesehen, sorgten sie doch in der Vergangenheit für negative Berichte weltweit. Christoph Baum, Meeresbiologe am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, erhielt auf Vermittlung der Universität der Färöer-Inseln die Gelegenheit, von erlegten Tieren Hautproben zu nehmen. Er will einem Phänomen auf die Spur kommen, das schon viele Walforscher fasziniert hat: Warum zeigen beispielsweise Buckel- und Grauwale einen ausgeprägten Bewuchs mit Seepocken, während die meisten anderen Walarten und Delfine eine makellos glatte Haut haben? Damit Baum die Körperoberfläche von Pilotwalen unter die Lupe nehmen kann, braucht er möglichst frische Hautproben. Und die bekommt er nur auf den Färöer-Inseln - dank des Walfangs.

Der Blick durchs Elektronenmikroskop bestätigt den äußeren Anschein. Abgesehen von einigen Bakterien und Kieselalgen ist auf der Walhaut kein Bewuchs erkennbar. Anders als die Haut des Menschen hat die der Wale eine schwammartige Struktur; abgestorbene Zellen sind mit einem besonderen Gel getränkt. So entsteht eine stark Wasser abweisende Schicht, die einerseits eine schnellere Fortbewegung ermöglicht, andererseits verhindert, dass sich Larven von Seepocken, Muscheln und anderen festsitzenden Organismen auf der Haut niederlassen können. Noch ist wenig über die Zusammensetzung dieser natürlichen Antihaft-Substanz bekannt. Baum will die einzelnen Gel-Komponenten entschlüsseln und daraus eine neue Generation von ungiftigen Schiffsfarben entwickeln.

Er ist nur einer von vielen Forschern, die weltweit nach neuen Beschichtungen für Schiffe suchen. Jahrzehntelang diente der Zusatz von Tributylzinn (TBT) in Bootsanstrichen dazu, den Kraftstoff zehrenden Bewuchs mit Seepocken, Muscheln und Algen auf Schiffsrümpfen zu verhindern. Doch der Giftstoff im Lack wirkt ähnlich wie ein Hormon, weshalb er schon in geringsten Konzentrationen das Hormonsystem von Meeresorganismen durcheinander bringen kann.

Eine Folge sind Missbildungen an den Geschlechtsorganen, wie sie unter anderem bei 140 Schneckenarten festgestellt wurden. Einige Arten sind dadurch sogar vom Aussterben bedroht. TBT schwächt außerdem das Immunsystem und sammelt sich über die Nahrungskette in Fischen, Vögeln und Meeressäugern an. Erst Anfang des Jahres wurde das Gift in eingelegten Rollmöpsen entdeckt. Dass es auch das menschliche Hormonsystem stören kann, haben Bonner Wissenschaftler durch Experimente an Zellkulturen gezeigt (siehe mare No. 17, Seite 115).

Mittlerweile lagert TBT in so hohen Konzentrationen im Sediment, dass Wissenschaftler und Umweltorganisationen rund um den Globus Alarm schlagen. Auf Segelyachten und Sportbooten sind Organozinn-Verbindungen, zu denen TBT zählt, schon seit mehr als zehn Jahren verboten. Doch die Berufsschifffahrt setzt noch immer fast ausschließlich auf TBT. Damit soll nach dem Willen der Bundesregierung, die sich der Forderung der Internationalen Schifffahrtsorganisation IMO angeschlossen hat, ab dem Jahr 2003 Schluss sein.

Die Suche nach unbedenklichen Alternativen führt viele Forscher zu den Meeresorganismen, die sich schon seit Millionen von Jahren vor dem lästigen Bewuchs zu schützen wissen. Martin Wahl, Meeresbiologe an der Universität Kiel, hat zahlreiche Nordseebewohner auf ihre Antibewuchs-Strategien untersucht. Wie vielfältig die sein können, zeigt das Beispiel der Miesmuschel. Als Jungmuscheln reinigen sie ihre Schalen regelmäßig mit ihrem muskulösen Fuß. Außerdem ist die Außenseite der Schalen fein gerippelt, was es Seepockenlarven erschwert, sich darauf festzusetzen. Die dritte und effektivste Strategie ist jedoch das Leben in der Gruppe: Große Muschelbänke erzeugen einen enormen Wassersog, mit dem sie die meisten Larven einfach einsaugen und als Nahrung verdauen. Bei allen Tieren und Pflanzen, die Wahl untersuchte, fand er eine Gemeinsamkeit: „Sie verlassen sich auf mehrere Abwehrmechanismen statt auf eine hochgiftige Substanz, gegen die sie sich ja selbst schützen müssten."


Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 26. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 26

No. 26Juni / Juli 2001

Von Helmut Broeg

Helmut Broeg, geboren 1966, hat nicht nur Biologie studiert, sondern interessiert sich auch für technische und medizinische Themen, kurzum für alles was den Mensch und seine Umgebung vereint. Nach seiner Ausbildung zum Fachzeitschriften-Redakteur arbeitete er zunächst als Redakteur für die Zeitschrift tauchen und seit 2000 als freier Wissenschafts-Journalist u.a. für GEO, Financial Times Deutschland und Bild der Wissenschaft.

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Vita Helmut Broeg, geboren 1966, hat nicht nur Biologie studiert, sondern interessiert sich auch für technische und medizinische Themen, kurzum für alles was den Mensch und seine Umgebung vereint. Nach seiner Ausbildung zum Fachzeitschriften-Redakteur arbeitete er zunächst als Redakteur für die Zeitschrift tauchen und seit 2000 als freier Wissenschafts-Journalist u.a. für GEO, Financial Times Deutschland und Bild der Wissenschaft.
Person Von Helmut Broeg
Vita Helmut Broeg, geboren 1966, hat nicht nur Biologie studiert, sondern interessiert sich auch für technische und medizinische Themen, kurzum für alles was den Mensch und seine Umgebung vereint. Nach seiner Ausbildung zum Fachzeitschriften-Redakteur arbeitete er zunächst als Redakteur für die Zeitschrift tauchen und seit 2000 als freier Wissenschafts-Journalist u.a. für GEO, Financial Times Deutschland und Bild der Wissenschaft.
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