Von Silberlingen und Goldstücken

Auf Bornholm können die Alten noch Rauchzeichen lesen. Deshalb schmeckt der Hering dort so richtig gut

Es ist vier Uhr am morgen, stockfinster und ganz still. Die Insel schläft. Eigentlich wollte Knud Kowsky schon angefangen haben. Aber es ist ja Spätsommer auf Bornholm, da gesellt sich zur Stille auch die Ruhe. Um fünf mahnt ihn das Tuckern eines Fischkutters an die Pflicht. Der Räuchermeister schlüpft in seine Holzpantinen, geht hinüber zum mannshohen Schuppen mit dem doppelt

so langen Schornstein und bereitet sein Tagwerk vor. Holz hacken, Roterle und ein wenig Kirsche – nur das gibt, weil es wenig Harz hat, dem Feuer die richtige Hitze und den Heringen Geschmack und Farbe. Die baumeln jetzt an Spießen, eingehängt im Kamin. Es ist angerichtet. Kowsky setzt sich auf sein weißes Holzstühlchen und liest die Zeichen des Rauches. Weiß streicht er wie Flaum an den Fischleibern entlang.

Weißer Rauch ist guter Rauch. Aber wenn er dunkler wird und Flammen an den Heringsschwänzen zu züngeln beginnen, steht der Räucherer geschwind auf, greift sich einen Wischmob, tunkt ihn in eine Wasserwanne und spritzt damit auf Fisch und Feuer. Nicht zu nass dürfen die Heringe werden, sonst weichen sie auf und fallen herab. Es zischt und pufft, dicker Qualm steht im Raum. Knud Kowsky keucht, er hat genug gelesen, kräftig zieht er an einem Tau und öffnet die Klappen im Kamin. Die weiße Walze zieht nach oben ab in den Morgenhimmel von Årsdale.

Die richtige Mischung aus Rauch, Wasser und Luft: Das ist die Kunst. In diesen Stunden mag der Alte niemanden um sich haben. Schon gar nicht die Behördenfritzen aus Kopenhagen. Was die wieder nur zu schnüffeln haben ... Mäkeln an der Küche, sie entspreche nicht den Vorschriften. Und deshalb könne keine Verkaufserlaubnis mehr erteilt werden für die Fischfrikadellen. Keine Kowsky-Frikadellen! Die Bornholmer waren empört, beinahe hätte es einen Aufstand gegeben. Nun gut, da haben die Kowskys auf ihre alten Tage eben den Küchenboden gefliest. Ihre kleine Räucherei ist von 1929, da kann es eben sein, dass sie es hier und da am Zeitgemäßen fehlen lässt.

In Svaneke, Snogebæk, in Nexø, Hasle – überall an Bornholms Küste gab es früher Räuchereien, 135 an der Zahl. Ganze zehn sind es heute. Längst nicht mehr alle räuchern im Kamin auf traditionelle Weise, bei der man sich stundenlang nicht vom Fleck rühren darf und tonnenweise Holz verbraucht. Mit dem Ofen ist es bequemer und billiger. Aber leckerer? Der Räucherer gerät in Rage: „Neulich, im Supermarkt, da habe ich Heringe gesehen, die waren nicht geräuchert, ha!, die waren gekocht! Eine solche Arbeit würde ich nie abliefern.“

Langsam bekommt der Hering Farbe. Und würzig riecht er. Ansonsten bleibt alles beim Gleichen. Kaminklappen auf, Kaminklappen zu, Wässerchen hier, Wässerchen da. Stunde um Stunde, Morgen für Morgen, jahrein, jahraus. Seit vier Jahrzehnten sitzt Knud Kowsky auf seinem weißen Holzstühlchen vor dem Kamin. Neben der Eingangstür hängt eine Auszeichnung des Gourmetverbands „Slow Food Denmark“.

Kurz vor acht in der Früh. Nun ist es gut. Aus den Silberlingen sind Goldstücke geworden. Der alte Räucherer erhebt sich von seinem Stuhl vor dem Rauch. Stange für Stange holt der Sohn aus dem Kamin, hält sie dem Vater hin. Vorsichtig streift der die Goldfische ab, legt sie in flache Kistchen, zwischen jede Lage eine kräftige Hand voll grobes Salz gestreut – fertig. Der Feierabend naht. Nun wollen nur noch die Heringe von morgen vorbereitet sein: gewaschen, geputzt und draußen, auf dem hölzernen Stativwagen, getrocknet.

Das Trocknen! Wieder eine neue Vorschrift: der Fliegen wegen nur noch drinnen. Dabei weiß jedes Kind auf Bornholm: Sonne, eine leichte Brise Seeluft, das gibt die Würze. Des Räuchermeisters Miene verdunkelt sich, er muss sich setzen. Aber bald schon hat sich der Rauch auch wieder verzogen. Die aus der Hauptstadt kommen doch nur zwei Mal im Jahr zum Kontrollieren. Mit Ankündigung. Und selbst wenn sie es einmal wagen sollten, unangemeldet zu erscheinen: Würden sie wegen eines Heringstrockners den Aufstand der Bornholmer riskieren?


„Sonne über Gudhjem“ – Eigelb leuchtet dem Räucherhering

Zutaten

Frisch geräucherter Hering, möglichst noch warm, dazu Roggenbrot, Schmalz, Radieschen, Schnittlauch, Zwiebelringe, Eigelb, grobes Salz.

Zubereitung

Kopf und Schwanzflosse abtrennen und entgräten. Mit Salz bestreuen, Brot mit Schmalz bestreichen. Nun der Balanceakt: Den Fisch auf dem Brot platzieren, Schnittlauch darüber streuen, Radieschenscheiben ausbreiten und schließlich obenauf das Eigelb im Zwiebelringrahmen einfassen. Nachspülen bitte mit einem dänischen Herrengedeck: kühles Bier, sekundiert von einem Bornholmer Aquavit. „Sonne über Gudhjem“ heißt das Gericht, benannt nach dem Gelb des Eis und dem Ort, wo 1886 Bornholms erste große Räucherei stand.


Heringsräucherei „Kowsky’s“
Gavlegade 11, Årsdale, Bornholm, Dänemark.
Geöffnet von März bis Oktober täglich von 9.30 bis 16 Uhr.

mare No. 33

No. 33August / September 2002

Von Angelika F. Pfalz und Gunter Glücklich

Text: Angelika F. Pfalz

Fotos: Gunter Glücklich

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Vita Text: Angelika F. Pfalz

Fotos: Gunter Glücklich
Person Von Angelika F. Pfalz und Gunter Glücklich
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Fotos: Gunter Glücklich
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