Von Leichtmatrosen und City-Sailors

Eine kleine Kulturgeschichte des Matrosenanzugs

Das Kinn hoch und die Beine gestreckt zu halten verordnete mir mein Großvater. Mit Stilfragen setzte er sich allerdings nicht theoretisch auseinander. Das blieb später mir, seinem Enkel, überlassen. Professionell, versteht sich. Für meinen Großvater stellten sich gesellschaftliche Fragen nicht. Sein selbst entworfener Kosmos war überschaubar, und nur zwei Kategorien von Menschen imponierten ihm: Bauern und Soldaten. Er verkörperte beide. „Weißt du, Wolfgang, die einen ernähren das Volk, die anderen verteidigen es."

Einfachheit hat ihre Größe. Und voller Stolz zeigte er mir Bilder, als er hoch zu Ross, mit weißem Beinkleid und Gold besetzter Jacke, Husar beim Reitergeneral von Ziethen war. So blieb auch in mir ein Stolz, „Preuße" zu sein. Obgleich, oder gerade weil ich immun war gegenüber jeglichen Interpretationsversuchen des Begriffes „Preußentum". Was man da in meiner Heimatstadt Potsdam von Kadettengehorsam erzählte, blieb mir unverständlich, fühlte ich mich doch in meinem Anspruch auf Freiheit und Individualität von meiner preußischen Familie unterstützt. Für „Beamtenmief" war die „Fremdherrschaft" der SED verantwortlich. Mein Kinderherz wärmte sich an den Geschichten von Preußens Glanz und Gloria.

Mein Großvater wollte seinen Kaiser Wilhelm wiederhaben. Auch mir gefielen die Reliquien und Bauten der „imperialistischen Ausbeuter" natürlich besser als die ästhetischen Errungenschaften des Sozialismus. Mein Blick auf die Welt blieb „blau". Preußisch blau! Kritiker meiner Arbeit formulierten einmal: „Was immer der Joop entwirft, es kommt zum Schluss ein preußischer Offiziersmantel heraus."

Das erste Kleidungsstück, an das ich mich erinnere (außer dunkelblauen Trainingshosen), war mein Anzug, den ich zur Taufe trug. Das mag man mir jetzt genauso wenig glauben, wie es mir meine Mutter glaubt. Doch zu meiner Taufe war ich schon fünf Jahre alt. Das Ereignis hatte man bis dahin verschoben, in der Hoffnung, mein Vater könnte dabei sein. Aber ich lernte ihn erst mit acht Jahren kennen, als man ihn endlich aus der Gefangenschaft entlassen hatte.

Am Tag meiner Taufe also trug ich einen marineblauen Kapitänsanzug! Mit langen Hosen und Goldknöpfen. Ich fühlte mich durch dieses Kleidungsstück nicht aufgenommen in die christliche Gemeinde, sondern wie ein kleiner Prinz. Und wie man sich fühlt, so ist man auch in dem Moment. Mein Kinn hielt ich hoch - und fing doch plötzlich an zu heulen, als mir der Pfarrer kaltes Wasser auf die Stirn spritzte. Ich fühlte mich „entweiht"! Und schämte mich.

Blaue Kleidung „hat was", wie man in Hamburg sagt, will man etwas Großartiges beschreiben. In „Blau" oder besser „Marine" hat man etwas Kühles, Forsches, Sportives, Positives, Weltmännisches. Goldknöpfe geben einem dazu etwas wie Zugehörigkeit zu einem Rang, einem Club. Besonders in Hansestädten „verkleidet" man sich gern „maritim". Die Verkleidung verdeckt so manches: soziale Unterschiede, modische und stilistische Unsicherheit oder auch das „kleine Karo", das vor dem persönlichen Horizont steht.

Karl Lagerfeld erzählte einst, seine Mutter habe immer gesagt: „Hamburg ist das Tor zur Welt, aber eben nur das Tor!" Wie Recht sie gehabt hat. Als mich das Schicksal 1971 in die Hafenstadt verwünschte, brauchte ich lange, mich mit dem reduzierten Charme ihrer Bewohner anzufreunden. Sind Hafenstadtbewohner doch keineswegs weltoffen, sondern von Natur und Historie aus eher misstrauisch. Gegen die Möglichkeit, per Schiff abzulegen, steht die Gefahr, was da so alles anlegen könnte: Von Piraten bis zur Pest ist man vor gar nichts sicher.

Jedenfalls beherrscht eine gewisse merkantile Kühle die Emotionen der Hanseaten. Steht die Hamburgerin vor der Wahl, sich ein Outfit in einer Modefarbe oder in Marineblau zu kaufen, greift sie instinktiv zu Marine. Denn: Den Preis für das „modische Zeugs", den „trägt man nicht ab" - ersparen Sie mir bitte die Interpretation dieser Ausdrucksweise. Der Hamburger Geschäftsmann hat mindestens einen blauen Clubblazer mit Goldknopf im Schrank. Tradition und Diskretion sind ungeschriebene Gesetze.

Die maritime Welle rollte in Deutschland nach der Reichsgründung 1871 an. Mit der Industrialisierung der Gründerzeit kam der Schiffbau richtig in Gang. Die Reeder waren jetzt auch in der Lage, große, ganz große Schiffe zu bauen.

Und Kaiser Wilhelm II., der eigentlich auf dem Militärgelände des Bornstedter Feldes zu Hause war, ließ sich von seinem Marineoffizier und Staatssekretär von Tirpitz eine Flotte aufschwatzen. Die Kriegsmarine hatte gegenüber anderen militä-rischen Einheiten Elite-Status. An den märkischen Seen um Berlin und Potsdam entstanden so genannte „Matrosenstationen". Die Jugend übte sich in Kutter und Regatta rudern und „Knoten machen". Mädchen und Jungen trugen sonntags voller Stolz Kleider und Hemden mit Matrosenkragen und Mützen mit flatternden Bändern.


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mare No. 26

No. 26Juni / Juli 2001

Von Wolfgang Joop

Wolfgang Joop, Jahrgang 1944, gehört zu den bekanntesten deutschen Modemachern. Er lebt in New York und seiner Heimatstadt Potsdam. Joop schreibt hier erstmals für mare

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Vita Wolfgang Joop, Jahrgang 1944, gehört zu den bekanntesten deutschen Modemachern. Er lebt in New York und seiner Heimatstadt Potsdam. Joop schreibt hier erstmals für mare
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