Vom Tun und Nichtstun

Wenn die Fischer im spanischen Barbate ihre Netze auslegen, sind auch die Aufkäufer aus Japan gleich zur Stelle. Dann heißt es warten. Denn der Tunfisch ist rar geworden

Es geht in diesem Moment nur um Ja oder Nein. Das Gespräch ist deswegen sehr kurz. Und für Anzai Yasutoshi, 39, vom Fischgroßhandel Tokyo Seafoods Limited äußerst unerfreulich. Es ist noch nicht einmal zehn Uhr vormittags, aber der Tag ist im Grunde gelaufen. Yasutoshi beendet das Telefonat, lässt das Handy an einem bunten Band um den Hals baumeln und sagt nur das eine Wort, das alle nicht mehr hören können: „Zero.“ Yasutoshi lächelt, ein wenig gequält. Null. Nein. No. Die schlechte Nachricht. Nicht die gute.

Das bedeutet: Ein weiterer Tag des Nichtstuns. 24 Stunden warten. Und hoffen. Wie gestern. Und vorgestern. „Zero“ bedeutet: auf das Meer hinaus gucken, Wellen zählen. Ein bisschen über die Mannschaft lästern, über das ferne Japan und die Frauen zu Hause, über die Kinder, Fußball und Golf reden. Oder in der Bibliothek des Schiffes Manga-Comics lesen. Was einem Japaner in der Fremde auch immer einfällt, der Langeweile zu trotzen. Im Hinterkopf dabei immer die quälende Frage: Wie viel Geld wird Tokyo Seafoods dieses Jahr wohl in Spanien verlieren?

Fünf Japaner befinden sich an diesem Vormittag auf der Brücke der „Reina Christina“ in einem Zustand nervösen Wartens, und der Höhepunkt der nächsten Stunden werden die Mühen eines vietnamesischen Matrosen sein, mit Wasserschlauch und Schwamm die Fenster von außen zu reinigen. Takeshi Noguchi, Yasutoshis Vorgesetzter, verzichtet darauf, das „Zero“ an diesem Morgen zu kommentieren, und auch Kapitän Masaaki Kanno, ansonsten Dampfplauderer, entscheidet sich dafür, den Mund zu halten. Von den beiden Assistenten Yasutoshis ist ohnehin keine Bemerkung zu erwarten. Sie schweigen meistens – die Hierarchie gebietet es, dass die Ranghöheren die Geschichten erzählen und Witze machen, während die Rangniederen Aufmerksamkeit schenken und höflich lachen.

Barbate, ein spanischer Fischerort an der Atlantikküste. Hier ziehen die Schwärme des Blauflossentunfischs vorbei, wenn sie im Frühsommer durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer wandern, um dort zu laichen. Im Hafen des 23 000-Seelen-Ortes liegt dann die „Reina Christina“ vor Anker. Das Schiff ist 68,54 Meter lang und 10,70 Meter breit, schafft 15 Knoten, wenn der 2000-PS-Diesel auf Hochtouren läuft. Doch im Moment läuft gar nichts. An Bord: Japaner, Koreaner und Vietnamesen, insgesamt 32 Mann. Außerdem rund 70 Tonnen gefrorene Tunfischfilets, die sich im minus 65 Grad Celsius kalten Frachtraum befinden. Das ist zu wenig. Yasutoshi hatte mit einem Vielfachen kalkuliert. Und die Saison, die jedes Jahr nur von Mitte Mai bis Anfang Juli geht, ist bald vorbei. „Aber letztes Jahr“, sagt er, „war es ähnlich, da hatten wir erst 100 Tonnen Tunfisch zu diesem Zeitpunkt. Zum Schluss waren es dann 300.“ Es war das Jahr der abgewendeten Katastrophe, doch das mit Abstand schlechteste Jahr überhaupt für Tokyo Seafoods Limited in Barbate. „Ein furchtbares Jahr“, stöhnt Yasutoshi. Und dieses scheint noch schlechter zu werden.

Rund eine Million Tonnen Tunfisch werden nach Angaben der Welternährungsorganisation (FAO) jedes Jahr in Japan verzehrt, das ist ein Viertel des weltweiten Fangs, und Nippons Sushi-und-Sashimi-Kultur verlangt ständig nach Nachschub. Für die Europäer kommt Tunfisch vom Grill oder ölig aus der Dose und dann auf den italienischen Salat. Die Japaner halten den Tun hingegen für den feinsten Fisch überhaupt, essen ihn fast ausschließlich roh, und je fetter, je öliger das Bauchfleisch, umso besser. Allein im Mittelmeer, berichtet Yasutoshi, sind jeden Frühsommer acht, neun japanische Unternehmen unterwegs, um den wegen seines Fettgehalts und seiner Fleischfarbe besonders begehrten Blauflossentun zu erstehen und ihn dann tiefgefroren oder frisch per Flugzeug in die Heimat zu schaffen. 80 Prozent des europäischen Tunfischfangs gehen nach Japan, wo der Großhandel 25 bis 40 Euro je Kilogramm zahlt. Besonders prächtige Exemplare werden auf dem berühmten Tokioter Fischmarkt sogar für etliche hundert Euro das Kilo versteigert.

Mit einem Tunfisch kann man in Japan jede Menge Geld verdienen. Man kann aber auch jede Menge Geld verlieren. „Das Geschäft ist ungefähr so sicher wie Roulette“, witzelt Yasutoshi. Diesmal scheint er Pech zu haben. Die spanischen Fischer in Barbate fangen nichts. Schon seit Tagen. Jeden Morgen schicken sie Taucher zu den fest verankerten Netzen draußen im Meer, und jeden Morgen kommt spätestens um zehn Uhr vormittags der Anruf vom Kapitän der spanischen Fischerboote: kein Tun weit und breit.


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mare No. 61

No. 61April / Mai 2007

Von Asmus Heß und Russell Liebman

Autor Asmus Heß, Jahrgang 1968, und Fotograf Russell Liebman, Jahrgang 1966, beide aus Berlin, verbrachten zusammen eine Woche an Bord der „Reina Christina“, ohne dass irgendetwas passierte. Beide kennen jetzt jeden Quadratmeter des Schiffes und wissen nun, wie anstrengend ein erzwungener Müßiggang sein kann.

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Vita Autor Asmus Heß, Jahrgang 1968, und Fotograf Russell Liebman, Jahrgang 1966, beide aus Berlin, verbrachten zusammen eine Woche an Bord der „Reina Christina“, ohne dass irgendetwas passierte. Beide kennen jetzt jeden Quadratmeter des Schiffes und wissen nun, wie anstrengend ein erzwungener Müßiggang sein kann.
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Vita Autor Asmus Heß, Jahrgang 1968, und Fotograf Russell Liebman, Jahrgang 1966, beide aus Berlin, verbrachten zusammen eine Woche an Bord der „Reina Christina“, ohne dass irgendetwas passierte. Beide kennen jetzt jeden Quadratmeter des Schiffes und wissen nun, wie anstrengend ein erzwungener Müßiggang sein kann.
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