Vom Ozean ins Wohnzimmer

Wer zur Gemeinde der Salzwasser-Aquarianer gehört, frönt einem ganz besonderen Hobby

Eine blitzsaubere, kleine Wohnung, eine handliche Aquaristik-Bibliothek in der Wohnzimmerschrankwand und ein beinahe nach Minimal-Art-Kriterien gestaltetes Aquarium, so lebt Christian Schirrmeister, der erste Vorsitzende des Vereins für Meeresaquaristik in Berlin.

Herr Schirrmeister vereinigt ästhetisches Wollen, Lust am Forschen und kritisches Bewusstsein. Für ihn ist die Meerwasseraquaristik eine „Grauzone, in der man sich als Nicht-Akademiker entfalten kann“. Das Hobby habe sich gesellschaftlich gewandelt, von einem „reinen Prestigeobjekt hin zu einem semiprofessionellen Forschungsobjekt“, sagt er, und so habe die Meeresbiologie von den Beobachtungen der Meeresaquarianer profitiert. Wenig wusste man beispielsweise über Wachstumsraten von Steinkorallen, dank der Hobbyaquarianer wisse man heute mehr. In der überregionalen Vereinszeitung „Meernachrichten. MarinLife“ veröffentlichen Herr Schirrmeister und andere Vereinsmitglieder regelmäßig ihr am Becken gewonnenes Erfahrungswissen. Mit den neuen Möglichkeiten des Internet zirkuliert dieses dann sogar weltweit.

Der Verein versteht sich als Ort des Austauschs von Erfahrungen und Informationen, sonst, so Herr Schirrmeister, stünde man doch auf weiter Flur allein und wäre ziemlich schnell verraten und nicht zuletzt auch an die Industrie verkauft.

An den Marktmechanismen, die dazu führen, dass Fische, bis sie vom Ursprungsland in die Hände eines Aquarianers der westlichen Welt gelangen, x Stationen durchlaufen haben, lässt Herr Schirrmeister kein gutes Haar. Dabei werden die Tiere, um den stressigen Transport überleben zu können, mit Antibiotika aufgepeppt. Er plädiert für die Eigenzucht oder die Einführung einer Eignungsprüfung wenigstens für die Haltung bestimmter Fische. Da könne man überprüfen, ob überhaupt ein vernünftig funktionierendes Aquarium vorhanden sei und auch das notwendige Grundwissen, um die Fische angemessen zu pflegen.

Er weiß selbstverständlich, dass dies eine irreale Forderung ist. Doch Wissen sei das A und O in der Meerwasseraquaristik, und da trenne sich schnell die Spreu vom Weizen, diejenigen, die nur nach dem „kindlichen Schema unserer Gesellschaft, diesem Muss-ich-haben funktionieren, von denen, die bereit sind, sich wirklich mit der Materie zu beschäftigen. Denn nur so kann man das auch dauerhaft betreiben“, sagt er. Er selbst hat manche Fische schon sechs, sieben Jahre lang, die Grünlinge beispielsweise, die er liebevoll seine Methusalems nennt. Die Doktor- oder Kaninchenfische sollen sogar so alt wie Hunde werden. Natürlich baue er eine Beziehung zu den Fischen auf, und wenn so ein Fisch sterbe, trauere er auch.

Herr Schirrmeister kennt seine Fische. Da ist der Palettendoktorfisch, von dem er sagt, dass er eine Chefposition im Becken innehabe, dort sind die beiden Seeigel, die als Störenfriede agieren. Eine Grundel gebe es auch, die sei aber so scheu, dass er sie nur alle drei bis vier Wochen überhaupt zu Gesicht bekomme.

Im Becken lassen sich offensichtlich Beziehungsmuster beobachten, die man aus dem eigenen Leben kennt. Das Aquarium ist für Herrn Schirrmeister in erster Linie ein sich ständig verändernder Raum, und wenn es nicht immer wieder was Neues zu entdecken gäbe, würde er dieses Hobby nicht ausüben: „Denn dann wäre es genauso langweilig wie eine Modelleisenbahn.“

Hans-Joachim Hauck ist stolz auf sein 1100-Liter-Becken, in dem er hundert Korallenfische hält. In der Regel rechnet man zweieinhalb Zentimeter Fisch auf neun Liter Wasser. Dass sich in seinem Becken ein so ungewöhnliches Verhältnis von relativ viel Fisch auf relativ wenig Wasser aufrechterhalten lässt, sei seiner außerordentlich aufmerksamen Pflege geschuldet.

„Eine Versammlung des ganzen Erdballs“ habe er hier beisammen. Seine Fische kommen aus dem Ozean, dem Atlantik, der Karibik und dem Roten Meer. „Das Becken der 100 Korallenfische, das ist ein tolles Motiv“, sagt er und freut sich. Die Kunst besteht im Zusammenfügen der Fische – wer lässt sich mit wem vergesellschaften? – und darin, sie vom Meer auf das Aquarium umzugewöhnen.

Ein reines Fischbecken wie das von Herrn Hauck ist inzwischen selten zu finden, weil viele Fische seit dem Washingtoner Artenschutz-Abkommen nicht mehr importiert werden dürfen. Statt dessen ist heute das Wirbellosenbecken mit verschiedenen Korallen, Anemonen, Seesternen, Seeigeln, höheren Algen und meist kleinen, wenigen Fischen üblich. Herr Hauck jedoch besitzt alles, was das Herz begehrt: Drückerfische, Doktorfische, Anemonenfische, Schmetterlingsfische und Kaiserfische. „Solch ein Becken ist ein Traum, eigentlich müsste man davor knien.“ Er meint es so, wie er es sagt. Dass ihn sein Hobby in den letzten dreißig Jahren etwa eine halbe Million Mark gekostet hat, bemerkt er nebenbei.


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mare No. 15

No. 15August / September 1999

Von Barbara Eisenmann und Stefan Pielow

Dr. Barbara Eisenmann, Jahrgang 1960, ist Linguistin und lebt in Berlin. Sie verfasst vor allem Rundfunk-Features. In mare No. 10 besprach sie die Biografie der exzentrischen Millionärin Marion Barbara Carstairs.

Stefan Pielow, Jahrgang 1959, ist freier Fotograf in Hamburg. Für mare porträtierte er zuletzt den Haifischfensterputzer von Fehmarn (in Heft 14).

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Vita Dr. Barbara Eisenmann, Jahrgang 1960, ist Linguistin und lebt in Berlin. Sie verfasst vor allem Rundfunk-Features. In mare No. 10 besprach sie die Biografie der exzentrischen Millionärin Marion Barbara Carstairs.

Stefan Pielow, Jahrgang 1959, ist freier Fotograf in Hamburg. Für mare porträtierte er zuletzt den Haifischfensterputzer von Fehmarn (in Heft 14).
Person Von Barbara Eisenmann und Stefan Pielow
Vita Dr. Barbara Eisenmann, Jahrgang 1960, ist Linguistin und lebt in Berlin. Sie verfasst vor allem Rundfunk-Features. In mare No. 10 besprach sie die Biografie der exzentrischen Millionärin Marion Barbara Carstairs.

Stefan Pielow, Jahrgang 1959, ist freier Fotograf in Hamburg. Für mare porträtierte er zuletzt den Haifischfensterputzer von Fehmarn (in Heft 14).
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