Vom Glück, ein Grieche zu sein

Die Bilder des Fotografen Jan Windszus für den neuen mare-Bildband „Griechenland“ zeigen ein Land, das trotz aller Fährnisse seine Gelassenheit nicht verloren hat

Gönnen Sie sich eine kleine Pause. Für ein Spielchen, einen Tagtraum. Schließen Sie Ihre Augen, kommen Sie zur Ruhe, und dann denken Sie an Griechenland. Spüren Sie Ihren Fantasien nach.

Vorausgesetzt, Sie kennen das Land ein wenig, werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Bilder wie diese sehen: die harten Schatten in den Gassen von Santorin, die ehrfürchtig machenden Überreste Mykenes, den wilden, stolzen Jäger in den Bergen Kretas. Vielleicht sehen Sie die schwarz gekleidete Bäuerin hinter der Kirchhofmauer auf Lesbos, die ernsten Mienen der Männer beim Backgammon vor dem Kafenio in Patras, , die Gleichmut eines peloponnesischen Esels im Schatten eines Olivenbaums. Träumen Sie ein wenig länger, erfühlen Sie womöglich die melancholische Feierlichkeit des Sirtaki beim Dorffest, die Fröhlichkeit beim Abend-essen einer Großfamilie in einer Taverne, die ent-rückende Metaphysik des Osterfests in einer Kirche auf Korfu, die Herzlichkeit der Einladung eines fremden Spaziergängers zu einer Erfrischung. Bald werden Sie eingetaucht sein in sinnliche, warme Wahrnehmungen von urwüchsiger Kraft und tiefer Menschlichkeit, leuchtend, dunkel, archaisch. Die Bilder wollen nicht weichen.

Aber dann erwischt Sie kalt der Gedanke: Diese Bilder sind doch bloß Klischees! Dann zwingen Sie sich dazu, statt ihrer die wütenden Protestierer auf dem Syntagmaplatz in Athen hervorzurufen, die steuervergessene Schickeria auf ihren Luxusyachten im Hafen von Hydra, die Leergut sammelnde Lehrerin in Thessaloniki, das Elend der nichtshabenden Flüchtlinge an den Stränden der wenig-habenden Griechen von Samos.

Aber merkwürdigerweise drängen die schönen Bilder mit Macht zurück. Sie siegen in Ihrem Kopf über die unschönen.

Sie schlagen die Augen auf, und Sie werden sich fragen: Wieso nur ist das heutige Bild Griechenlands und der Griechen so romantisch, so bukolisch wie das weniger anderer Länder? Wie kann es sein, dass dieses Land, seit zehn Jahren traumatisiert von den Folgen der Schuldenkrise, gedemütigt von den Bedingungen zur Rettung und den auferlegten Schuldgefühlen, trotz allem so merkwürdig wider-standsfähig und so ungebrochen hoffnungsvoll wirkt und es mit seiner stillen Stärke Mal um Mal beeindruckt?

Goethe, der nie in Griechenland war, sich mit dem Land aber inniger beschäftigt hatte als die meisten Griechenlandreisenden, schrieb vor knapp 200 Jahren apodiktisch, unter allen Völkern hätten die Griechen „den Traum des Lebens am schönsten geträumt“. Wie ist, wenn Sie die verallgemeinernde Frage gestatten, die griechische Seele beschaffen, dass sie alle Widersprüchlichkeiten scheinbar mühelos in eine Lebensweise zusammenfließen lässt, die ihr die Kraft gibt, sich in einem Gleichgewichtszustand zwischen Wünschen und Enttäuschungen zu halten, ein Zustand, den sie seit Sokrates „Glück“ nennen?

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 124. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 124

No.124Oktober / November 2017

Von Karl Spurzem und Jan Windszus

Karl Spurzem, mare-Redakteur und Jahrgang 1959, sucht seit Anfang der 1980er-Jahre regelmäßig an verschiedenen Orten nach den Kraftquellen der Griechen.

Jan Windszus, geboren 1976, studierte Fotografie in Hildesheim. Seither publiziert er als freier Foto-graf in renommierten Magazinen. Der erste mare-Auftrag führte ihn 2007 nach Kalifornien. 2013 erschien sein Bildband „Lissabon“ im mareverlag.

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Vita Karl Spurzem, mare-Redakteur und Jahrgang 1959, sucht seit Anfang der 1980er-Jahre regelmäßig an verschiedenen Orten nach den Kraftquellen der Griechen.

Jan Windszus, geboren 1976, studierte Fotografie in Hildesheim. Seither publiziert er als freier Foto-graf in renommierten Magazinen. Der erste mare-Auftrag führte ihn 2007 nach Kalifornien. 2013 erschien sein Bildband „Lissabon“ im mareverlag.
Person Von Karl Spurzem und Jan Windszus
Vita Karl Spurzem, mare-Redakteur und Jahrgang 1959, sucht seit Anfang der 1980er-Jahre regelmäßig an verschiedenen Orten nach den Kraftquellen der Griechen.

Jan Windszus, geboren 1976, studierte Fotografie in Hildesheim. Seither publiziert er als freier Foto-graf in renommierten Magazinen. Der erste mare-Auftrag führte ihn 2007 nach Kalifornien. 2013 erschien sein Bildband „Lissabon“ im mareverlag.
Person Von Karl Spurzem und Jan Windszus