Vitamin C, C wie Cook

Wie James Cook die Geißel der Seefahrt bezwang – den Skorbut

Er hatte Klippen umschifft und Untiefen durchmessen. Er hatte Stürme gemeistert und Flauten getrotzt. Diesen Sieg aber stellte er über jeden zuvor, indem er ihm die letzte Zeile seines Logbuchs widmete. „Drei Jahre und 18 Tage fort von England“, schrieb Cook am 29. Juli 1775, die „Resolution“ hatte Anker geworfen in Plymouth, „in welcher Zeit ich nicht mehr als vier Mann verloren, und nur einen von ihnen durch Krankheit“. Nichts weniger als das Schreckgespenst der damaligen Seefahrt war niedergerungen: der Skorbut.

Meist begann es nach ungefähr vier Monaten auf dem Meer, meist mit allgemeiner körperlicher Schwäche. Das Zahnfleisch schwoll an, bald fielen die Zähne aus. Wenig später entzündeten sich Gelenke und Knochen. Die Muskeln schwanden rapide, es kam zu inneren Blutungen. Krepierte der Betroffene nicht zuvor an Ruhr, Diphterie oder Cholera, einer Folge der desolaten körperlichen Beschaffenheit, versagte ihm schließlich das Herz.

Nicht der Teufel, der Skorbut machte Schiffe zu Fliegenden Holländern. Und er schlug jeden: Vasco da Gama verlor während seiner zweijährigen Reise nach Ostindien fast seine gesamte Mannschaft an die Immunschwäche, zwei Drittel fraß der Skorbut aus Magellans Crew. Jacob Roggeveen, der Entdecker der Osterinseln, musste weitere Erkundungen abbrechen, nachdem ihm die „Geißel der Seefahrt“ die Kojen fast vollends geleert hatte. Selbst Kanonen wüteten nicht so verheerend wie Skorbut: Zu Cooks Zeiten beklagte die englische Marine mehr Verluste durch „scurvy“ als bei allen Seeschlachten zusammen.

Auch an Land forderte der Skorbut seine Seelen, selbst unter Seeleuten. Eine Crew, auf kargen Strand geworfen, konnte leicht von der Meeresseuche gemartert werden. Vitus Bering rettete sich nach wuchtigem Sturm auf braches Eiland bei Kamtschatka. Wenig später, im Dezember 1741, raffte der Skorbut den „Kolumbus des Zaren“ doch noch dahin.

Bering hatte vergeblich nach rettendem Gewächs gesucht, nach Feigwurz etwa, dem Scharbockskraut der Volksmedizin. Seit alters galt die bittere Blüte als wirksamste Waffe gegen die Krankheit.

Skorbut ist die latinisierte Form von Scharbock. Dessen Etymologie ist umstritten. Das altholländische „scheurbut“ etwa heißt so viel wie „gereizte Knochen“ und weist auf die Symptome. Ähnlich ist es in einer russischen Erklärung, dort soll das lästige „skrjabatj“, das „Kratzen“, Wortpate sein. Auch die portugiesische Variante ist vertreten: eine Kreuzung aus „escara“ und „boca“, also aus „Schorf“ und „Mund“. Doch vielleicht sind alle Ableitungen letztlich dem frühen Norwegisch entlehnt: dem „skyrbjugr“, was im zehnten Jahrhundert etwa „Dickmilchschwellung“ bedeutete. Dickmilch war wesentlicher Teil der Schiffskost der Nordmannen, zu viel davon sollte fatale Wirkungen zeitigen.

Nicht nur Scharbockskraut, auch Kresse, Rettich und das winterharte Löffelkraut fanden den Weg in die Töpfe vor allem wegen ihrer Schlagkraft gegen den Skorbut. Wikinger brachen nie ohne schützende Zwiebeln auf, die christliche Seefahrt glaubte an den Knoblauch – eher freilich des Aromas wegen. Es sollte ein markantes Übel des Skorbuts überdünsten: den Gestank aus Mund und Geschwüren.

Überhaupt war längst der Zusammenhang zwischen Ernährung und Skorbut offenbar. Kein Seemann glaubte mehr dem Nürnberger Arzt Caspar Horn, der Anfang des 17. Jahrhunderts die „feuchte, trübe und grobe Luft“ des Meeres der Täterschaft bezichtigte. Kein Matrose auch mied zwielichtige Häuser, obwohl ein anderes Traktat „vieles Küssen“ oder das gemeinsame Nutzen von Trinkgeschirr als Ursache erkannt hatte.

Allerdings gab man zumeist „absonderlichen Giften“ in Lebensmitteln Schuld und vertraute auf die drei unfehlbaren A der damaligen Heilkunde: Aderlass, Abführmittel, Allmächtiger. Dabei kehrten bereits Mitte des 16. Jahrhunderts sämtliche Janmaats eines holländischen Schiffes heil aus Amerika zurück. Der Grund war die Ladung – Zitrusfrüchte, von der die Mannschaft reichlich genossen hatte. Der bemerkenswerte Vorgang erregte dennoch kaum medizinisches Interesse, er ging schlicht unter in unzähligen Versuchen, der Krankheit Herr zu werden. Bis anno 1795 die britische Admiralität ihren Subalternen die tägliche Ration Zitrussaft verordnete, sollte noch einige Zeit vergehen.

Bis Vitamin C als die rettende Substanz erkannt wurde, fällte Skorbut noch etliche Besatzungen. 20 Milligramm täglich, so fanden Wissenschaftler Anfang des 20. Jahrhunderts heraus, reichen, um jeden Matrosen vor Skorbut zu feien. Eine schäbige Posse Poseidons: Tonnen an Nahrung fassten die Schiffe seinerzeit, genug, um Jahre davon zu zehren. Am Ende fehlte doch stets eine winzige Prise.


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mare No. 55

No. 55April / Mai 2006

Von Maik Brandenburg und Hans Hansen

Maik Brandenburg, Jahrgang 1962, mare-Autor, wurde früh vom Nutzen des Sauerkrauts überzeugt. Seine Großmutter servierte zu entsprechenden Mahlzeiten stets den Spruch: „Sauerkraut / stärkt die Haut / macht tolle Beine / und hält den Hintern reine.“

Professor Hans Hansen, Jahrgang 1940, zählt zu den bedeutendsten Fotografen der Sachfotografie. Hansen arbeitet in Hamburg.

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