Viel Wind um wenig Action

Der Magnum-Fotograf Erich Lessing begleitet 1954 die Dreharbeiten zu John Hustons Verfilmung von „Moby-Dick“. Seine Bilder sind nicht nur Fotografie-, sondern auch Filmgeschichte

Der Auftrag, bei den Dreharbeiten zu „Moby Dick“ zu fotografieren, war einer von vielen, die Magnum von Ernie Anderson vermittelt bekommen hatte. Anderson war Pressesprecher diverser Filmgesellschaften und bei uns Fotografen sehr bekannt, weil er gute Verbindungen zu Künstlern, Filmregisseuren, Theaterregisseuren, Schauspielern hatte. Er war ein hochkultivierter Mensch, nicht so wie heute die PR-Leute, sondern jemand, der von Film und Kunst wirklich viel verstand.

Robert Capa, der mit John Huston und vielen anderen Hollywood-Größen befreundet war, hatte mit Ernie Anderson die Idee entwickelt: Magnum-Fotografen sollten zwei, drei Wochen einen Film begleiten und Reportagen machen, keine Standfotografie, nichts, was den Film selbst abbildet, sondern die Arbeit daran. Das hat sich schnell als sehr gutes PR-Mittel für die damals existierenden Wochen- oder Monatszeitschriften erwiesen.

Also hat man mich irgendwann gefragt, ob es mich interessieren würde, den Anschlussdreh von „Moby Dick“ auf den Kanarischen Inseln fotografisch zu begleiten. Vorher war in Irland gedreht worden, da war mein Kollege Ernst Haas dabei, der hatte Regen genug erlebt und wollte nicht mehr. Ich habe dann erst einmal „Moby-Dick“ gelesen, damit ich vorbereitet bin. Aber ich wusste natürlich nicht im Geringsten, was mich erwartet.

Es war der erste Film von Huston, bei dem ich dabei war; ich kannte niemanden aus dem Team. Ich kam also an auf den Kanaren und tastete mich heran. Gleich am zweiten Tag war schlechtes Wetter, wir konnten nicht hinausfahren, ich habe eines meiner Bücher genommen, mich an den Swimmingpool gelegt, gelesen und gewartet. Filme machen besteht ja zu 99 Prozent der Zeit aus Warten. Nach einer halben Stunde legte sich Gregory Peck dazu, auch mit einem Buch, und fragte nach einer Weile: „Was liest du?“ Ich: „Ich lese gerade ,Le Père Goriot‘ von Balzac.“ Und er sagt: „Sehr lustig, ich lese auch gerade Balzac.“ Das war der Beginn einer, wie das bei solchen Gelegenheiten ist, sehr kurzen, aber doch Freundschaft. Wir haben in Drehpausen, die viel länger waren als die Drehzeiten, viel über Literatur gesprochen, vor allem über französische, das war sehr angenehm und sehr interessant.

Peck war ein eher reservierter Mensch und sehr professionell. Man macht sich ja nur wenig Vorstellung davon, wie diszipliniert Schauspieler arbeiten, vor allem beim Film, wo ständig die Stimmung und die Situation der Rolle wechseln, ganz ohne Chronologie. Und „Moby Dick“ war schließlich kein Kammerspiel, sondern ein Film, der allen physisch eine Menge abverlangt hat. Es wurde viel mit dem Stuntman geprobt, aber bei den echten Aufnahmen war immer Gregory Peck selbst im Einsatz.

Der Dreh auf den Kanaren war genauso mühsam wie die Zeit in Irland, das Meer war nicht so ruhig wie erhofft, und das Wasser war auch nicht so warm. Es war schwierig, auf dem Meer zu drehen, doch Huston bestand darauf, möglichst viel draußen zu filmen und nicht im Studio. Also haben wir viel gewartet und manchmal gedreht; dennoch war es sehr spannend. Weil Huston so viel Wert aufs Detail und auf die Genauigkeit der Aufnahmen legte, es sollte alles so aussehen, als ob es wahr sein könnte. Auf manchen Bildern kann man sehen, wie Oswald Morris, der Kameramann, auf dem Ausleger bis zum Bauch in den Wogen versinkt.

Seamus Kelly, der große irische Schauspieler, der den Flask spielte, war damals schon schwer krank. Friedrich von Ledebur, der österreichische Graf, der im Film der wild tätowierte Südseeinsulaner Queequeg war, wusste anfangs gar nicht, wie ihm geschah, und war wohl sehr überrascht, als ihm Huston die Haare abrasieren ließ. Und Dick Basehart, der Darsteller des Ismael, hat ziemlich viel getrunken, wohl auch, weil der Dreh so anstrengend war. Sie waren fast ständig im Wasser, in gefährlichen Situationen, mussten lange schwimmen, die Szenen wurden ewig oft wiederholt, und damals trug keiner einen Trockenanzug unterm Kostüm. Die schauspielerische Herausforderung hielt sich dabei in Grenzen, es ging im Bild eher um die aufgelösten Haare und die kollektive Verzweiflung der Ertrinkenden. „Moby Dick“ ist ein Film, der von der Dramatik lebt, nicht vom großen Spiel seiner Darsteller.

Wie lange ich vor Ort war, weiß ich nicht mehr genau, ich glaube, drei Wochen, es sollte eigentlich alles schneller gehen. In diesen Wochen ist nicht sehr viel anderes gedreht worden als die Schlussszenen: wie Kapitän Ahab mit den Walfängern auf den Wal zufährt, wie sie ihn harpunieren, und vor allem, wie Ahab mit Moby Dick untergeht. Dabei ist Gregory Peck fast ertrunken, weil die Maschinerie der Walattrappe nicht funktioniert hat. Er sollte untergehen und sofort wieder heraufkommen, er kam aber nicht, weil das Getriebe streikte. Er musste dann sehr schnell per Hand wieder heraufgekurbelt werden. Der Wal sah nicht wirklich spektakulär aus, ein Gerüst aus Holz und Metall, überzogen mit einer sich brüchig anfühlenden Leinwand. Es gab den großen Wal und das Walstück für die Ertrinkungsszene. Aus der Nähe wirkten die Modelle wenig beeindruckend. Aber wir haben ja auf den Mustern gesehen, dass es im Film wirkt.


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mare No. 82

No. 82Oktober / November 2010

Von Martina Wimmer und Erich Lessing

Erich Lessing, 1923 geboren, war seit 1955 Vollmitglied der Agentur Magnum. Er fotografierte für Life, Paris Match und Quick und wurde vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem American Art Editors Award, dem Prix Nadar und dem Großen Österreichischen Staatspreis. 2018 ist er verstorben.

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Vita Erich Lessing, 1923 geboren, war seit 1955 Vollmitglied der Agentur Magnum. Er fotografierte für Life, Paris Match und Quick und wurde vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem American Art Editors Award, dem Prix Nadar und dem Großen Österreichischen Staatspreis. 2018 ist er verstorben.
Person Von Martina Wimmer und Erich Lessing
Vita Erich Lessing, 1923 geboren, war seit 1955 Vollmitglied der Agentur Magnum. Er fotografierte für Life, Paris Match und Quick und wurde vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem American Art Editors Award, dem Prix Nadar und dem Großen Österreichischen Staatspreis. 2018 ist er verstorben.
Person Von Martina Wimmer und Erich Lessing