Verbinden, was Gott getrennt hat

Die Geschichte der Atlantikkabel ist eine Geschichte der Rückschläge

Es war unerhört, was da in der zweiten Hälfte der 1850er Jahre geschah: Da schickte sich jemand an, das weite und gefährliche Meer, das die Alte von der Neuen Welt trennte, durch ein mehr als 3000 Kilometer langes Kabel zu verbinden, um – in des Wortes wirklicher Bedeutung – blitzschnell Nachrichten auszutauschen.

Wochen, nicht selten Monate dauerte es, bis ein Schiff von einer Transatlantikreise zurückkehrte, und allzu oft blieb es für immer in den Weiten des Meeres verschollen. Und nun wollte jemand den Ozean überbrücken und zwischen den beiden Erdteilen ein von Zeit und Raum, von Wind und Wellen unabhängiges Band herstellen! Das war vermessen, so meinten nicht wenige. Das hieße den Zorn des Himmels herausfordern, denn, so folgerten sie: „Der Mensch soll nicht verbinden, was Gott getrennt hat!“ Selbst viele fortschrittsgläubige Amerikaner hielten wegen der technischen und finanziellen Probleme das Projekt für undurchführbar. Andere kümmerte dies wenig. Sie entbehrten die Möglichkeiten einer schnellen Nachrichtenverbindung und waren bereit, dafür hohe Geldsummen zu investieren.

Die elektromagnetische Telegrafie war, obwohl nach der Erfindung Samuel Morses erst seit 1843 einsatzbereit, damals schon sehr verbreitet. Bei Seekabeln allerdings verfügte man kaum über praktische Erfahrungen. Man wusste damals noch nicht einmal, wie tief der Atlantik war. Das konnte jedoch einen risikofreudigen Unternehmer wie Cyrus W. Field, der als Kaufmann und Fabrikant bereits in jungen Jahren zu ansehnlichem Wohlstand gelangt war, nicht abschrecken.

Anlass hatte das wegen finanzieller Schwierigkeiten ins Stocken geratene Projekt gegeben, die Hauptstadt von Neufundland mit Neu-Braunschweig telegrafisch zu verbinden und von Neufundland aus eine Dampferlinie nach Irland einzurichten, um so den Nachrichtenverkehr zu beschleunigen.

Morse versicherte ihm, dass Zeichen über mehrere 1000 Kilometer hinweg übermittelt werden könnten; und Lieutenant Maury von der US-Marine, der 1853 damit begonnen hatte, in mühseliger Kleinarbeit den Atlantikboden zu ertasten, hatte auf dem Meeresgrund einen flachen Höhenrücken ermittelt, der sich, auch für alle späteren Kabel, als optimale Trasse erwies: das sogenannte Telegrafenplateau, eine mit Ausnahme beider Küstenbereiche gleichmäßige sandige Ebene in 3700 bis höchsten 5000 Meter Tiefe.

Der Grund besteht hauptsächlich aus Globigerinenschlamm, der sich im Laufe vieler Jahrhunderte aus Kalkschalen kleinster Meereslebewesen gebildet hat. Bei sachgerechter Verlegung sinkt das Kabel darin tief ein und ruht dort, wenn der Mensch nicht eingreift, für die Ewigkeit.

Field sicherte sich die ausschließlichen Landerechte diesseits und jenseits des Atlantiks und verband zunächst Neufundland mit dem amerikanischen Festland, was im zweiten Versuch gelang. Für die von ihm gegründete Atlantische Telegrafen-Gesellschaft war bereits nach einem Monat das Kapital in Höhe von 350 000 Pfund gesichert, umgerechnet sieben Millionen Mark.

Das in England in Auftrag gegebene Kabel bestand aus sieben Kupferdrähten, die zu einer Litze verdrillt waren. Diese wurden mit Guttapercha (einem tropischen Baumharz) überzogen, dann mit einer Lage geteerten Hanfes und darüber mit einer Eisendrahtbewehrung umgeben. Die Fertigung wurde zwei Fabriken zu gleichen Teilen übertragen. Dabei ergab sich das merkwürdige Versehen, dass man die Bewehrung aus Draht bei dem einen Stück links, beim anderen rechts herum ausführte, was die Verlegung erschwerte und die Stabilität der Verbindung schwächte. Die Teilung des Kabels verkürzte jedoch die Herstellung. Es befuhr damals aber auch noch kein Schiff die Meere, das das Kabel in seiner ganzen Länge hätte aufnehmen können.

Bereits Ende Juni 1857 konnte das Kabel auf die Verlegeschiffe verladen werden. Es waren dies mit der Agamemnon und der Niagara die jeweils größten Schiffe der britischen und der amerikanischen Marine.

Als ob ein Fluch über der Arbeit gelegen hätte, gab es von Anfang an Schwierigkeiten. Die gewaltigen Mengen an Eisen auf den Schiffen störten die Kompasssteuerung. Am fünften Tage, inzwischen waren 334 Meilen zurückgelegt, riss das Kabel und ging verloren.

Mit einem neuen Kabel und einer verbesserten Verlegevorrichtung wurde Mitte des Jahres 1858 ein zweiter Versuch unternommen und nach mehr als anderthalb Monaten mit der Einführung der beiden Kabelenden in die Telegrafenhäuser an der irischen Küste und auf Neufundland erfolgreich abgeschlossen. Am 7. August 1858 wurde dann der Schritt vollzogen, den der Schriftsteller Stefan Zweig wegen seiner außergewöhnlichen Wirkung in seinen „Sternstunden der Menschheit“ festgehalten hat: die Inbetriebnahme des Atlantikkabels. In ihrer ersten Kabelbotschaft an die Kollegen in der anderen Hemisphäre fanden die Direktoren der Telegrafengesellschaft in Großbritannien große Worte: „Europa und Amerika sind telegrafisch verbunden. Ehre sei Gott in der Höhe; Friede auf Erden, den Menschen ein Wohlgefallen.“ Queen Viktoria telegrafierte an den Präsidenten der USA, James Bucha­nan: „Der Queen ist es ein Vergnügen, Gedanken mit dem Präsidenten auszutauschen und den Vereinigten Staaten alles Gute zu wünschen.“ Die Botschaft umfasste 102 Worte, und die Übermittlung dauerte 67 Minuten. Buchanan antwortete, dass das Überseekabel ein Instrument sei, „Religion, Zivilisation, Freiheit und Recht in der ganzen Welt zu verbreiten“.

Am 31. August 1858 hatte das Kabel zählbaren Nutzwert. Das britische Oberkommando in London widerrief per Telegramm an die britischen Truppen in Nova Scotia und in Kanada den durch Schiffspost übermittelten Befehl, zwei Regimenter nach Indien in Marsch zu setzen. So sparte die britische Regierung die Kosten zweier Truppentransporte in Höhe von 50 000 Pfund, rund einer Million Mark.


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mare No. 1

No. 1April / Mai 1997

Von Horst A. Wessel

Horst A. Wessel, Jahrgang 1943, ist Historiker und Unternehmensarchivar. Er war von 1983 bis 2008 Leiter des Mannesmann-Archivs.

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Vita Horst A. Wessel, Jahrgang 1943, ist Historiker und Unternehmensarchivar. Er war von 1983 bis 2008 Leiter des Mannesmann-Archivs.
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