Untergrundorganisation

Ein Wirrwarr von Pipelines, Röhren und Kabeln überzieht die Böden von Nord- und Ostsee. Wer hat hier noch Überblick?

Nutzt die Nordsee, aber lasst die Trottellumme in Ruhe! Das klingt vernünftig, ist aber leichter gesagt als getan. Denn auf der Nordsee wird es eng. Die globalisierte Warenwirtschaft wird heute im Wesentlichen über Seewege abgewickelt. Deutschland und die anderen Anrainer nehmen als wichtige Außenhandelspartner an diesem stetig wachsenden Austausch von Industriegütern und Rohstoffen über See in hohem Maß teil. Das macht die Nordsee zum meistbefahrenen Randmeer des Atlantiks.

Aber wie sieht es unter ihr aus? Bei all den Gasleitungen, Stromkabeln, Ölpipelines und Kommunikationsdrähten – wer schaut denn da noch durch?

Ein beträchtlicher Teil des Massengutverkehrs, vor allem der mit flüssigen und gasförmigen Kohlenwasserstoffen, ist heute unter die Meeresoberfläche verlagert. Die Pipelines befördern Öl und Erdgas von den norwegischen und britischen Förderfeldern weitgehend unauffällig an die Küste. Erst der jüngste politische Streit um die geplante Ostseepipeline Nord Stream – sie soll Erdgas des russischen Monopolisten Gasprom von Wyborg bis Greifswald bringen – hat den submarinen Aorten größere Aufmerksamkeit verliehen.

Gasrohrleitungen zum Beispiel bestehen aus tonnenschweren Stahlrohren von einem Meter Durchmesser und 2,5 Zentimeter Wandstärke; ein Betonmantel verhindert Beschädigungen und Aufschwemmen. In den schon in Betrieb befindlichen Gasleitungen unter der Nordsee herrscht ein Druck von etwa 100 bar. Für Norpipe I, die erste, 1975 verlegte Leitung vom norwegischen Ekofisk-Feld nach Emden, wurden noch Verdichterstationen auf eigens errichteten Plattformen benötigt, auf die bei späteren Leitungen verzichtet wurde. So oder so: Es sind Vermögen, die da in die Meere versenkt werden. Ein Kilometer Nord-Stream-Leitung durch die Ostsee kostet mehr als fünf Millionen Euro.

Aber auch andere, vergleichsweise junge Nutzungen verkomplizieren die Unterseeorganisation. Offshorewindparks sollen für Alternativen zur Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen oder Kernspaltung sorgen. 18 dieser Anlagen sind in der Nordsee in Betrieb, weitere sind im Bau oder im Genehmigungsverfahren – und zwar immer schön der Reihenfolge nach, denn hier gilt das alte Gesetz der Landnahme im Wilden Westen: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Auf die Genehmigung eines Windparks besteht nämlich innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) von 200 Seemeilen der Bundesrepublik ein Rechtsanspruch.

Die Energiegewinnung aus Windkraftanlagen im Meer ist ausdrücklich politisch erwünscht, und die Einspeisung der durch Wind gewonnenen Energie ins Stromnetz wird gefördert. Das internatio-nale und das deutsche Seerecht lassen eine Ablehnung von Offshorewindparks nur zu, wenn die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigt beziehungsweise die Meeresumwelt einschließlich des Vogelzugs gefährdet sind.

Die einzelnen Windkraftanlagen innerhalb eines Parks sind durch Wechselstromkabel miteinander verbunden. Diese sind relativ unproblematisch für die Umwelt. Aber die in den Windparks gewonnene Energie muss durch leistungsfähigere Stromkabel an die Küste abgeführt werden. Dafür werden aus physikalischen Gründen bei Entfernungen von mehr als 50 Kilometern Gleichstromkabel benötigt, die – und das ist der Haken – kräftig störende Magnetfelder erzeugen.

Das bedeutendste dieser Kabel verbindet demnächst über 800 Kilometer Norwegen mit der niederländischen Küste nahe der Emsmündung. Dort wird die saubere elektrische Energie aus Wasserkraft ins mitteleuropäische Stromnetz eingespeist. Das Kabel verläuft in Nord-Süd-Richtung und quert die deutsche AWZ.

Früher wurden einpolige Leitungen verlegt, in denen Strom bei einer Spannung von bis zu 600 Kilovolt fließt. Schon seit 1995 ist das Baltic--Cable unter der Ostsee zwischen dem schwedischen Trelleborg und Lübeck am Netz. Die für den Elektrizitätsfluss nötige Stromrückführung erfolgt bei dieser Technik kabellos über dem Meeresboden. Um das mit Gleichstrom umflossene Kabel entsteht ein Magnetfeld, das sechsmal stärker ist als das der Erde. Dadurch beträgt die Ablenkung eines Magnetkompasses bis 70 Grad, nimmt aber bei größerer Wasserdichte schnell ab – immerhin genug, um den Kompass eines Sportboots beim Überqueren des Kabels Karussell fahren zu lassen.

Problematisch und bislang ungeklärt sind die Auswirkungen der Magnetfelder auf manche Fischarten. Wenn sie doch nur reden könnten! Aale und Lachse orientieren sich bei ihren Wanderungen vielleicht nicht ausschließlich, aber wenigstens auch über das Magnetfeld. Möglicherweise könnten sie von dessen Ablenkungen im Bereich der Kabel beeinflusst werden. Genau wissen wir es bis heute nicht. Daher werden seit einiger Zeit nur noch bipolare Gleichstromleitungen zugelassen, bei denen sich die Magnetfelder um die beiden stromführenden Kabel jedenfalls dann aufheben, wenn sie in unmittelbarer Nähe voneinander verlegt sind.

Alle diese Kabel werden etwa ein bis 1,5 Meter tief in den in der Nordsee meist sandigen Meeresboden eingespült. Sie könnten sonst von den Grundschleppnetzen der Fischer zerstört werden – dann drohen Millionenschäden. Gefahr bedeuten auch abgerissene Anker oder Container, die ins Meer fallen. In der Ostsee soll sich vor Jahren ein U-Boot auf das weitgehend nicht eingegrabene Baltic-Cable gelegt haben, das war dann einfach platt.


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mare No. 69

No. 69August / September 2008

Von Harald Loch

Der Berliner Autor Harald Loch, Jahrgang 1941, Jurist, Historiker, erlebte seine Salzwassertaufe mit zwei Jahren in Ahlbeck; sie endete fast mit dem Seemannstod. Weitere Karten und Informationen zum Thema finden Sie auf der Website des BSH unter www.bsh.de.

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Vita Der Berliner Autor Harald Loch, Jahrgang 1941, Jurist, Historiker, erlebte seine Salzwassertaufe mit zwei Jahren in Ahlbeck; sie endete fast mit dem Seemannstod. Weitere Karten und Informationen zum Thema finden Sie auf der Website des BSH unter www.bsh.de.
Person Von Harald Loch
Vita Der Berliner Autor Harald Loch, Jahrgang 1941, Jurist, Historiker, erlebte seine Salzwassertaufe mit zwei Jahren in Ahlbeck; sie endete fast mit dem Seemannstod. Weitere Karten und Informationen zum Thema finden Sie auf der Website des BSH unter www.bsh.de.
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