Untergangsstimmung

Die Marschen des Mississippideltas, fünfmal so groß wie das Saarland, sinken jedes Jahr um 1,5 Zentimeter. Sind sie noch zu retten?

Sie gelten als die ersten Klimaflüchtlinge der USA, die Bewohner der Isle de Jean Charles, einer schmalen, drei Kilometer langen Insel, die weit draußen in den Sümpfen an der Küste von Louisiana liegt. Bis zum Horizont erstreckt sich hier das saftig-grüne Röhricht. In der Ferne glitzert das Wasser des Golfs von Mexiko. Wie eh und je fahren die Menschen hier hinaus aufs Meer, um Shrimps zu fischen. Doch ihre Tage auf der Isle de Jean Charles sind gezählt, weil ihre Heimatinsel immer weiter schrumpft.

Die Isle de Jean Charles liegt inmitten des riesigen Mississippideltas – eines Naturparadieses, in dem Reiher und Pelikane auf die Jagd gehen, in dem Millionen von Fischen und Krebsen leben. Das Delta zieht sich 50 Kilometer und mehr in den Golf von Mexiko hinaus. Es ist über Jahrhunderte gewachsen. Das Wasser des Mississippi trug ungeheure Mengen feinen Sediments aus dem Hinterland ins Meer vor Louisiana, wo die Ablagerungen nach und nach zu mächtigen Sandbänken und Inseln heranwuchsen.

Doch das Wachstum ist schon lange vorbei. Im Gegenteil, das Mississippi­delta versinkt. Seit den 1930er-Jahren hat der Golf von Mexiko Marschen, Sumpfland und Inseln überspült, die der sechs­fachen Fläche der Insel Rügen entsprechen. Auch die Isle de Jean Charles wird in den nächs­ten Jahren untergehen. Der US-Bundesstaat Louisiana hat damit begonnen, die Bewohner umzusiedeln – in ein höher gelegenes Gebiet ein gutes Stück landeinwärts. Viele aber wollen bleiben, so lange es geht. „Das ist unser Land, seit Genera­tionen unsere Heimat. Uns als Klimaflüchtlinge zu bezeichnen ist einfach respektlos“, sagen die Insulaner.

Doch das Delta sinkt unaufhörlich, jedes Jahr um eineinhalb Zentimeter. „Das können wir nicht verhindern“, sagt Tor­björn Törnqvist, Geologe an der Tulane University in New Orleans. Schuld sei der Mensch. „Einer der größten Fehler war es, die Sümpfe trockenzulegen: Wenn der Boden austrocknet, sinkt das Land rapide. Um Trinkwasser zu gewinnen, wurden die Grundwasserspeicher angezapft, dadurch sackte der Boden noch stärker ab.“

Die Liste der Fehler ist lang. Am Grund des Meers vor Louisiana und dem Nachbarstaat Mississippi liegen große Erdgas- und Erdöllagerstätten. Die Mineralölkonzerne zogen im Lauf der Jahrzehnte Hunderte Pipelines durch die Marschen und Sümpfe und baggerten Kanäle für die Schifffahrt – in den 1970er-Jahren auch direkt neben der Isle de Jean Charles. Daraufhin drang Meerwasser tief in die Süßwasserarme des Deltas ein. Das Salz vernichtete die stattlichen Sumpfzypressen mit ihren ausladenden Ästen, die büschelweise mit Spanischem Moos behangen waren. Auf der Isle de Jean Charles erinnern heute nur noch graue Baumskelette an die Zypressenwälder, in denen früher die Kinder spielten.

Fatal war es, den für das Delta lebenswichtigen Nachschub an frischen Sedimenten zu kappen. Das geschah nach der Großen Flut von 1927, die ganze Landstriche weit im Binnenland, in Arkansas, Louisiana, Mississippi und den Nachbarstaaten, unter Wasser gesetzt hatte. Tagelange schwere Regenfälle ließen damals den Mississippi und seine Nebenflüsse stark anschwellen. An vielen Stellen brachen die kleinen und viel zu schwachen Dämme. Am Ende überfluteten die Wassermassen eine Fläche von der Größe Bayerns.

Als die Flut überstanden war, rief man die Parole aus: „Levee up the river!“, „Dämmt den Fluss ab!“. Und so zwängte man den Mississippi in den folgenden Jahren in ein Bett, das bis heute von hohen Dämmen flankiert ist. Hinzu kamen viele Staustufen, mit denen sich fortan der Wasserstand des Flusses kontrollieren ließ.

Für das Delta bedeutete dies das Todesurteil. Denn die Staustufen stoppten den reichen Sedimenttransport zum Golf von Mexiko. Die Folgen hatte bereits im Jahr 1897 Elmer Lawrence Corthell, späterer Präsident der American Society of Civil Engineers, vorausgesehen. Damals schrieb er im Magazin „National Geographic“, dass „ein komplettes System absolut schützender Deiche künftigen Generationen Nachteile durch das Absinken der Golf-Delta-Gebiete unter den Meeresspiegel bringen wird und dass man diese Gebiete allmählich wird aufgeben müssen“. Doch zum Schutz der Ländereien entlang des Mississippi nahm man das in Kauf. Um die Folgen für das Delta kümmerte sich niemand.

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mare No. 147

mare No. 147August / September 2021

Von Tim Schröder und Ben Depp

Überrascht hat den Oldenburger Journalisten Tim Schröder, Jahrgang 1970, dass die Ingenieure schon vor 100 Jahren wussten, welche Konsequenzen die Eindeichung des Mississippi haben würde. Gebaut wurden die Deiche trotzdem.

Um den Süden Louisianas erkunden und Aufnahmen aus der Luft machen zu können, lernte Ben Depp, ­geboren 1983, Fotograf in New Orleans, eigens das Fliegen mit einem Motorgleitschirm. Fünfmal fiel der Motor im Flug aus, was zu ungeplanten Landungen in Bäumen und im Sumpf führte.

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Vita Überrascht hat den Oldenburger Journalisten Tim Schröder, Jahrgang 1970, dass die Ingenieure schon vor 100 Jahren wussten, welche Konsequenzen die Eindeichung des Mississippi haben würde. Gebaut wurden die Deiche trotzdem.

Um den Süden Louisianas erkunden und Aufnahmen aus der Luft machen zu können, lernte Ben Depp, ­geboren 1983, Fotograf in New Orleans, eigens das Fliegen mit einem Motorgleitschirm. Fünfmal fiel der Motor im Flug aus, was zu ungeplanten Landungen in Bäumen und im Sumpf führte.
Person Von Tim Schröder und Ben Depp
Vita Überrascht hat den Oldenburger Journalisten Tim Schröder, Jahrgang 1970, dass die Ingenieure schon vor 100 Jahren wussten, welche Konsequenzen die Eindeichung des Mississippi haben würde. Gebaut wurden die Deiche trotzdem.

Um den Süden Louisianas erkunden und Aufnahmen aus der Luft machen zu können, lernte Ben Depp, ­geboren 1983, Fotograf in New Orleans, eigens das Fliegen mit einem Motorgleitschirm. Fünfmal fiel der Motor im Flug aus, was zu ungeplanten Landungen in Bäumen und im Sumpf führte.
Person Von Tim Schröder und Ben Depp