Unter Segeln ins Höllenfeuer

Mit denkbar friedlichen Mitteln widersetzte sich seit Mitte der 1950er-Jahre eine Gruppe von Seglern aus aller Welt den ­Atombombentests der Großmächte. Die schlugen hart zurück

Albert Bigelow hatte gegen kein Gesetz verstoßen. Nicht, als er im Dezember 1957 eine Petition mit mehr als 17 000 Unterschriften bei der US-Regierung ein­reicht. Auch nicht, als er dem damaligen Präsidenten Eisenhower ein Ultimatum stellt: Entweder stoppt er seine Pläne, auf den Marshallinseln Atombombentests durchzuführen, oder er, Albert Bigelow, würde mit seiner Yacht, der „Golden Rule“, in die Testzone hineinsegeln, um die Zündung der Bombe zu verhindern. Das war gesetzlich nicht verboten, denn auf die Idee war bislang noch keiner gekommen.

Trotzdem werden Bigelow und seine vierköpfige Crew am 1. Mai 1958 von der Küstenwache gestoppt und verhaftet, nachdem sie, wie angekündigt, mit der „Golden Rule“ den Hafen von Honolulu in Richtung Marshallinseln verlassen haben. Denn die US-Atomenergiebehörde hat kurz zuvor eilig ein Verbot erlassen, in das Testgelände auf dem Eniwetok-Atoll der Marshallinseln einzudringen. 

Einen Monat später, die Mannschaft hat die verhängte zweitägige Haftstrafe längst abgesessen, versuchen sie es erneut. Wieder werden sie nach wenigen Seemeilen gestoppt, diesmal landen sie für 60 Tage im Knast.

Albert Bigelow war während des Zweiten Weltkriegs Kapitän eines Kriegsschiffs. Er lief gerade in den Marinestützpunkt auf Pearl Harbor ein, als er auf der Kommandobrücke vom Abwurf der Atombombe auf Hiroshima erfuhr. Es war ein Erweckungserlebnis, schreibt er in seinen Memoiren. „Ich begriff, dass ein moralisch richtiger Krieg nicht möglich ist.“ Er quittierte seinen Dienst bei der Marine, einen Monat bevor er in den Ruhestand getreten wäre, und verzichtete damit auf einen Teil seiner Pensionsansprüche. Stattdessen trat er den Quäkern bei, einer in den USA verbreiteten christlichen Strömung. Er war zum Pazifisten geworden.

Es gelingt Bigelow und der „Golden Rule“ zwar nicht, die Zündung der Bombe auf dem Eniwetok-Atoll zu verhindern. Aber eine neue Protestform ist geboren. Mit einem Segelboot gegen Atombombentests anzusegeln, das ist etwas völlig Neues. Und die Idee findet Nachahmer.
„Wir waren zutiefst beeindruckt von der Crew der ‚Golden Rule‘“, sagt Jessica Renshaw. Sie war damals 14 Jahre alt, als ihr Vater Earle Reynolds von Bigelows Plänen erfuhr. Die Reynolds hatten 
damals gerade eine dreijährige Weltreise mit ihrem eigenen Boot, der „Phoenix of Hiroshima“, beendet und lebten auf Hawaii. Sie luden die Mannschaft der „Golden Rule“ zum Abendessen ein. „Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden“, erinnert sich die heute 81-jährige Jessica Renshaw. „Es waren aufrechte Burschen, und sie hatten überhaupt keine Angst.“

1951 wurde Earle Reynolds, promovierter Anthropologe, von der US-Atom­energiebehörde mit einer heiklen Mission betraut. Er sollte nach Japan reisen und die Auswirkungen radioaktiver Strahlung auf Menschen, vor allem auf Kinder, untersuchen. Was er dort zu sehen bekam, erschütterte ihn bis ins Mark, erinnert sich seine Tochter Jessica. 

Irgendwann im Juni 1958, während Bigelow und seine Crew noch im Gefängnis in Honolulu schmorten, fassten Earle Reynolds, seine Frau Barbara sowie die Kinder Jessica und der damals 19-jährige Ted den Entschluss, die Mission der „Golden Rule“ fortzusetzen und mit ihrer „Phoenix of Hiroshima“ zu den Marshall­inseln zu segeln. 

Bis zu ihrer Unabhängigkeit 1986 waren die Marshallinseln ein Treuhand­gebiet der Vereinigten Staaten. 66 Atombomben zündeten die USA dort. Die Testreihe, die sie 1958 durchführten, um-
fasste 35 Atombomben, 33 davon wurden oberirdisch gezündet.

Der erste Atombombentest der Geschichte fand am 16. Juli 1945 im US-Bundesstaat New Mexico statt. Drei Wochen später warfen die Amerikaner zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und beendeten damit den Zweiten Weltkrieg. 1946 setzten sie ihre Tests fort, 1949 zog die Sowjetunion nach – das Wettrüsten mit nuklearen Massenvernichtungswaffen war eröffnet.

Bis heute wurden weltweit 2058 Atombombentests durchgeführt, die meis­ten davon mit einem Vielfachen der Sprengkraft der Bomben, die auf Japan niedergingen. Anfangs wurden sie vor allem oberirdisch gezündet. Wegen der verheerenden Wirkung auf die lokale Bevölkerung und der großen internatio­nalen Proteste einigten sich die USA, die Sowjetunion und Großbritannien 1963 auf ein Verbot atmosphärischer Tests, dem in der Folge auch andere Staaten beitraten. Seitdem finden Atombombentests vor allem unterirdisch statt.

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mare No. 172

mare No. 172Oktober / November 2025

Von Frank Odenthal

Frank Odenthal, 1971 in Köln geboren, wohnhaft in Lörrach, arbeitet als freischaffender Journalist und Autor. Als Student nahm er selbst an Demonstra­tionen auf dem Universitätscampus gegen französische Nukleartests teil. Die Vorstellung, malerische Südseeinseln mit Atombomben zu zerstören, findet er auch heute noch unerträglich.

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Vita Frank Odenthal, 1971 in Köln geboren, wohnhaft in Lörrach, arbeitet als freischaffender Journalist und Autor. Als Student nahm er selbst an Demonstra­tionen auf dem Universitätscampus gegen französische Nukleartests teil. Die Vorstellung, malerische Südseeinseln mit Atombomben zu zerstören, findet er auch heute noch unerträglich.
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Vita Frank Odenthal, 1971 in Köln geboren, wohnhaft in Lörrach, arbeitet als freischaffender Journalist und Autor. Als Student nahm er selbst an Demonstra­tionen auf dem Universitätscampus gegen französische Nukleartests teil. Die Vorstellung, malerische Südseeinseln mit Atombomben zu zerstören, findet er auch heute noch unerträglich.
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