Um den heissen Brei

Das traditionelle Seemannsgericht Labskaus erscheint manchen als erklärungsbedürftig.

Auf dem weissen Teller liegt eine zartrosa breiige Masse, zum Teil bedeckt von einem Spiegelei, flankiert von je zwei Scheiben Salzgurke und Roter Bete. „Unser Labskaus-Probierteller als Vorspeise“, verkündet der Kellner mit einem Lächeln. Wir sind im „Old Commercial Room“, der ersten Adresse für echt hanseatische Küche in Hamburg. Labskaus ist die Spezialität des Hauses und die Leidenschaft von Inhaber Reinhard Rauch, der im weißen Hemd am „Captain’s Table“ residiert und sich als Botschafter dieses Gerichts versteht. „Ich kann jeden Tag Labskaus essen“, sagt er und lässt Bedenken angesichts der Optik nicht gelten. Waschechte Hamburger stören sich daran sowieso nicht, aber bei ihm verweigert sich auch die Prominenz nicht. Die Wände des „Old Commercial Room“ sind tapeziert mit signierten Fotos.

Mehr als 500 Portionen Labskaus werden bei Rauch jede Woche serviert – und wohl auch gegessen. Für ihn steht fest, dass das Seemannsgericht schon 1795 auf der Karte stand, als ein englischer Reeder hier das Lokal aufmachte. Aber dass die Hamburger es heute noch (oder wieder) als ihr Nationalgericht betrachten, das sei das Verdienst seines Vaters, der das Restaurant 1970 als Koch übernahm und von einer Kneipe zu dem machte, was es heute ist. „Er hat Labskaus gesellschaftsfähig gemacht. Das stand vorher in den Restaurants links unten auf der Karte, darauf hat keiner Wert gelegt.“

Die rosa Masse besteht im „Old Commercial Room“ nur aus gepökeltem Rindfleisch und Kartoffelbrei. Rote Bete mit durch den Wolf drehen? Rauch schüttelt entschieden den Kopf. Und Matjes? „Da gehört kein Fisch rein“, betont er. Den hätten die Seefahrer sowieso jeden Tag gehabt. Aber: „Spiegelei ist Pflicht!“ Auf den Segelschiffen habe man lebende Hühner an Bord gehabt. Rauch senior tüftelte sein Labskausrezept mit dem Stammtisch der Walfänger und Kap-Hoorn-Fahrer aus.

Doch was ist das Original? Fest steht, dass Labskaus schon vor Jahrhunderten auf Segelschiffen gegessen wurde. Gern wird erzählt, ein einfallsreicher Schiffskoch habe Pökelfleisch durch den Wolf gedreht und mit anderen Zutaten wie Schiffszwieback zu Brei verkocht, weil viele Matrosen an Skorbut erkrankt und deshalb zahnlos waren. Aber der Fleischwolf wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden. Außerdem, wenn man Fleisch lange genug kocht, zerfällt es von selbst; und um die Gebisse der Menschen an Land war es mangels Pflege früher keineswegs besser bestellt als auf See.

Der Ursprung des Gerichts liegt im Dunkeln. Hanseaten waren an der Erfindung aber wohl nicht beteiligt, und bis vor 100 Jahren kam das Armeleuteessen in bürgerlichen Hamburger Familien nie auf den Tisch. Da waren die Liverpooler toleranter: Sie erkoren lobscouse schon damals zu ihrem Nationalgericht. Bei ihnen kommt Corned Beef oder Hammel in den Eintopf. Auch die Norweger kennen lapskaus, ihr brun lapskaus ist ein Resteessen mit einer dicken braunen Soße. Viele Rezepte, ein Name …

Der ist ebenso rätselhaft wie die Entstehung des Gerichts. Weil das Wort 1706 in einem englischen Buch erstmals auftaucht, halten Sprachforscher es für den Jargon englischer Matrosen. Lobscouse soll von lob’s course kommen, was mit „Speisegang für derbe Männer“ übersetzt wird. Wirklich überzeugend ist das nicht. Während lob Slang ist und eigentlich „Trottel“ heißt, gehört course zur gehobenen Sprache und bezeichnet den Gang eines Menüs – so etwas gab es an Bord nicht.

Dabei gibt es zwei baltische Sprachen, in denen das scheinbare Kauderwelsch einen Sinn ergibt: Labs kausis heißt auf Lettisch „gute Schüssel“, auf Litauisch sagt man dazu labas káuszas. Die Balten dominierten Jahrhunderte den Fischfang in der Ostsee. Matrosen anderer Nationen werden den Ausdruck aufgeschnappt haben. In Regionen ohne eigene Salzvorkommen wie das Baltikum war Pökelfleisch mit Graupen, Kartoffeln und Zwiebeln – ein wertvoller Eintopf, der noch heute in Lettland gegessen wird – für Matrosen sicher auch eine „gute Schüssel“.


Labskaus „Old Commercial Room“

Zutaten (für fünf Personen)
1 kg gepökelte Rinderbrust, 300 g Zwiebeln, 500 g mehlige Kartoffeln, 10 Eier, Rote Bete, Salzgurke, Pfeffer.

Zubereitung
Die Rinderbrust mit den geschälten und geviertelten Zwiebeln und etwas Pfeffer in einen Topf mit 2 Liter Wasser geben und rund 2 Stunden kochen. Ist die Rinderbrust weich genug, also kaubar, den gesamten Inhalt aus der Brühe nehmen und warmstellen. Nun die Kartoffeln in die Brühe geben, weichkochen und zu Brei zerstampfen. Überschüssige Brühe abgießen. Jetzt das Rindfleisch mit den Zwiebeln durch einen Fleischwolf drehen und zu den Stampfkartoffeln geben, leicht köcheln lassen. Nach Geschmack mit Worcestersoße oder Brühwürfel abschmecken. Angerichtet wird Labskaus mit je zwei Spiegeleiern und in Scheiben geschnittener Roter Bete und Salzgurke.

Old Commercial Room, Englische Planke 14, Hamburg, Telefon 040/36 63 19, geöffnet täglich von 12 bis 24 Uhr.

mare No. 81

No. 81August / September 2010

Von Petra Foede und Axel Martens

Petra Foede ist Kulturhistorikerin und freie Journalistin. Sie schreibt für Zeitungen und Magazine, am liebsten über Alltagskultur und kulinarische Themen.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.

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Vita Petra Foede ist Kulturhistorikerin und freie Journalistin. Sie schreibt für Zeitungen und Magazine, am liebsten über Alltagskultur und kulinarische Themen.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Person Von Petra Foede und Axel Martens
Vita Petra Foede ist Kulturhistorikerin und freie Journalistin. Sie schreibt für Zeitungen und Magazine, am liebsten über Alltagskultur und kulinarische Themen.

Axel Martens, geboren 1968 in Varel an der Nordseeküste, arbeitet für Magazine und Werbeagenturen im In- und Ausland bevorzugt im Portrait- und Reisebereich. Für mare war er unter anderem auf der Isle of Wight bei dem Royal Yacht Squadron, dem königlichen Yachtclub, in dem vorher kein Journalist je Eintritt hatte und mit Käptn Krüss bei den Pinguinen in der Antarktis.
Person Von Petra Foede und Axel Martens