Über die Unfreiheit der Meere

Erst Notlösung, schließlich kühles Kalkül – seit dem 18. Jahrhundert werden Delinquenten auf Gefängnisschiffen untergebracht

Die Lady war nicht erfreut von dem, was sie sah. Die Unterbringung war unzumutbar. Es gab zu wenig Luft und Bewegung. Sie hielt es einfach für einen „teuren Container“. Ihre Entscheidung war eindeutig: Diese Zustände mussten ein Ende haben.

Die Lady hieß Anne Owers, sie war die Oberaufseherin über die britischen Gefängnisse der Regierung Blair im Jahr 2004, und das Objekt ihres Missmuts hieß HMP „Weare“, das letzte Gefängnisschiff Ihrer Königlichen Majestät Elizabeth II. Erst 1997 angeschafft, wurde es 2005 schon wieder außer Dienst gestellt und verkauft – zum Leidwesen der lokalen Geschäftswelt, da es sich als Touristenattraktion herausgestellt hatte. So endete vorerst im Vereinigten Königreich eine jahrhundertealte, aber wenig ruhmreiche nautische Tradition.

Dass Schiffe und Gefängnisse eine solch enge Verbindung eingehen könnten, kommt uns in der heutigen Zeit kurios vor. Man assoziiert mit Seefahrt eher das Gegenteil, nämlich Freiheit und Ungebundenheit. Aber diese landläufige Vorstellung entsprach nicht immer der Realität.

Samuel Johnson, ein englischer Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, hat das Verhältnis zwischen Seefahrt und Gefängnis auf den Punkt gebracht: „Niemand wird Seemann, wenn er geschickt genug ist, dafür zu sorgen, dass er ins Gefängnis kommt. Denn auf einem Schiff ist man wie im Gefängnis, nur dass auch die Chance besteht, dass man ertrinkt. Ein Mann im Gefängnis hat mehr Platz, besseres Essen und meist auch bessere Gesellschaft.“

Allerdings herrschten in den Anfängen der europäischen Hochseeschifffahrt im zwölften und 13. Jahrhundert an Bord noch Verhältnisse ohne Zwang. Erst im Lauf der folgenden Jahrhunderte wurden die Rechte der Seeleute immer weiter eingeschränkt, bis schließlich der Kapitän als „Master next to God“ über seine Besatzung das von Samuel Johnson umschriebene „besondere Gewaltverhältnis“ ausüben konnte. Den Weg dahin bahnte die zunehmende Militarisierung der Seefahrt. Bis ins 16. Jahrhundert gab es im nördlichen Europa weder spezielle Kriegsschiffe noch ständige Kriegsflotten; bei Bedarf charterte ein Herrscher eine Anzahl Handelsschiffe und rüstete sie für den militärischen Einsatz um. Erst zu Beginn der Neuzeit entstanden Kriegsflotten, auf deren Schiffen die militärische Disziplin auch das Verhältnis von Schiffsführung und Besatzung durchdrang und sich schließlich auch auf die zivile Schifffahrt ausbreitete.

Neben den gefängnisähnlichen Lebensbedingungen der Seeleute früherer Jahrhunderte – gleich ob sie von einer pressgang, wie die Schlägertrupps zum Einfangen von Matrosen in Kriegs-zeiten hießen, an Bord von Kriegsschiffen gebracht oder sich freiwillig an Bord begeben hatten – gab es aber eine noch dunklere Seite der Seefahrt: Jahrhundertelang wurden Schiffe nämlich auch als Gefängnis und für Strafsysteme genutzt.

Galeerenstrafe

Ist die Rede von „Strafe“ und „Schiffen“, fallen uns zuerst die Stichworte „Galeerensklave“ und „Galeerenstrafe“ ein, die es in den Mittelmeerländern seit den Griechen und Römern gegeben haben soll, wie im Film „Ben Hur“ zu sehen ist. Dabei war die Galeerenstrafe keine Spezialität der Mittelmeerländer, und im Altertum gab es sie überhaupt nicht. Sie ist vielmehr ein Produkt der beginnenden Neuzeit. Die Ruderkriegsschiffe der Athener waren nämlich weder mit Verurteilten noch mit Kriegsgefangenen bemannt, sondern mit ärmeren Bürgern des Stadtstaats oder angeworbenen Söldnern. Auch die römischen Biremen und Triremen wurden stets von Freien gerudert.

Das änderte sich erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts, als sich die schon von Thomas Morus in seiner „Utopia“ verfochtene Idee durchsetzte, dass „Verbrecher“ zumindest in diesem Sinn nützliche Mitglieder der Gesellschaft sein könnten, als man ihre Arbeitskraft in den Dienst der Gesellschaft stellen konnte – was profitabler war, als sie umzubringen. So kam es, dass seit dem Ende des 15. Jahrhunderts statt armer, aber freier Untertanen der Mittelmeeranrainer Delinquenten auf den Ruderbänken saßen.

Allerdings blieb die Galeerenstrafe keineswegs auf die Mittelmeerländer beschränkt. Bereits 1554 erließ Karl V. in Brüssel ein die Galeerenstrafe betreffendes Edikt. Sein Nachfolger Philipp II. benachrichtigte dann im Jahr 1561 die Statthalterin der Niederlande, er beabsichtige, eine Reihe von Galeeren auszurüsten, und fragte, ob sich in den niederländischen Provinzen zum Ruderdienst geeignete Übeltäter finden ließen. Die Statthalterin sah darin eine willkommene Gelegenheit, ihre Provinzen von „Gesindel“ zu säubern, und wies ihre Behörden an, „schleunigst die Strolche in ihren Schlupfwinkeln aufzugreifen und zu gerichtlichem Gewahrsam zu bringen“, um sie „zur Verschickung auf die Galeeren zu verurteilen“.


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mare No. 107

No. 107Dezember 2014 / Januar 2015

Von Wolfgang Köberer

Wolfgang Köberer, Jahrgang 1949, arbeitet seit 30 Jahren als Strafverteidiger in Frankfurt und beschäftigt sich ebenso lange mit der Geschichte der Navigation. Daraus sind einige Arbeiten entstanden, zuletzt eine Bibliografie zur Geschichte der Navigation in deutscher Sprache. Außerdem hat er das älteste in Deutschland gedruckte Handbuch der Navigation aus dem Jahr 1578 entdeckt und in einer Faksimileausgabe herausgegeben.

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Vita Wolfgang Köberer, Jahrgang 1949, arbeitet seit 30 Jahren als Strafverteidiger in Frankfurt und beschäftigt sich ebenso lange mit der Geschichte der Navigation. Daraus sind einige Arbeiten entstanden, zuletzt eine Bibliografie zur Geschichte der Navigation in deutscher Sprache. Außerdem hat er das älteste in Deutschland gedruckte Handbuch der Navigation aus dem Jahr 1578 entdeckt und in einer Faksimileausgabe herausgegeben.
Person Von Wolfgang Köberer
Vita Wolfgang Köberer, Jahrgang 1949, arbeitet seit 30 Jahren als Strafverteidiger in Frankfurt und beschäftigt sich ebenso lange mit der Geschichte der Navigation. Daraus sind einige Arbeiten entstanden, zuletzt eine Bibliografie zur Geschichte der Navigation in deutscher Sprache. Außerdem hat er das älteste in Deutschland gedruckte Handbuch der Navigation aus dem Jahr 1578 entdeckt und in einer Faksimileausgabe herausgegeben.
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