Über 2891 Brücken mußt Du gehen

Venedig, Amsterdam oder Hamburg? Vielleicht New York oder Sankt Petersburg? Oder sogar Berlin? Etliche Städte in aller Welt konkurrieren in einem albernen Wettbewerb der Superlative: Welche von ihnen hat die meisten Brücken?

Brücken bedeuten eigentlich nichts als Ärger. In Dresden wird gerade die Waldschlösschenbrücke über die Elbe geschlagen, was die Kulturschützer der Unesco so sauer macht, dass sie dem Elbtal geradewegs den Status des Weltkulturerbes aberkannten.

Ähnlich wird an der Mosel gestritten. Dort soll bald ein 160 Meter langes Konstrukt namens Hochmoselübergang das gesamte Moseltal überspannen – und damit einige der besten Weinlagen Deutschlands. Schon beklagen internationale Weinkenner, der neue Verkehrsweg würde das feine Terroir des Rieslings ruinieren.

Unmut gibt es auch über die fränkische Itztalbrücke sowie über die Geratalbrücke und die Ilmtalbrücke in Thüringen. Über diese Monumente soll einmal der ICE von Erfurt nach Nürnberg rasen. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ regt sich über das „sinnlose“ Projekt auf, von „Großmannssucht“ ist die Rede. Doch das alles ist nichts im Vergleich zu den Streitereien in Städten, die am Meer liegen. Denn dort, am Wasser, gibt es in der Regel die meisten Brücken und somit auch den größten Zoff.

Ach Brücken, die standen mal für Freundschaft, Verbundenheit, Zukunft. Die DDR-Band Karat sang „Über sieben Brücken musst du gehen“, und Simon & Garfunkel schmachteten von einer „Bridge Over Troubled Water“. Wer würde heute solche Texte noch verstehen? Brücken stehen nicht mehr für Freundschaft, Austausch und unaufhaltsamen Fortschritt, der Gräben überwindet. Brücken machen niemanden mehr euphorisch.

Nicht einmal ganz kleine Brücken können heute noch gebaut werden, ohne dass es Ärger gibt. In Berlin soll eine Fußgängerbrücke zwischen zwei Parks den Landwehrkanal überqueren. Und eine Lokalzeitung titelt: „Berlin baut für Millionenbetrag nutzlose Brücke“. Man ärgert sich in der Stadt schon genug über die Brücken, die es gibt. Etwa über die Admiralbrücke in Kreuzberg, die mittlerweile als Partybrücke sogar in diversen Reiseführern empfohlen wird. Was im Sommer der gesamten Anwohnerschaft den letzten Nerv kostet.

Dabei könnten die Berliner stolz darauf sein, dass ihre Stadt wenigstens in einer Disziplin eine Führungsrolle innehat. Berlin ist nämlich eine der brückenreichsten Städte Europas. Mehr als 2000 dieser Bauwerke zählt die Stadt innerhalb ihrer Gemarkungen – und nennt sich daher gerne mal „Brückenhauptstadt“. Weshalb der Stadttourist auch auf jeder Dampferfahrt entlang der Kanäle unterrichtet wird: Berlin hat mehr Brücken als Venedig!

Wenn die Brücke nicht mehr zur Poesie taugt, dann doch zum Superlativ. Und den wollen sich gerne viele anhängen. Nicht nur Berlin, auch Hamburg nennt sich „Stadt der Brücken“, ganz genau wie Amsterdam. Und überall verweist man darauf, dass man brückenmäßig die Lagunenstadt Venedig hinter sich gelassen habe. Und also wahlweise als Venedig an der Spree, Venedig des Nordens oder Grachtenvenedig gelten möchte.

Nun muss zu Venedig gesagt werden, dass die Stadt gerade mal 270 000 Einwohner hat und nur 61 000 davon in der von Kanälen durchzogenen Altstadt wohnen. Entsprechend gering ist das Brückenaufkommen, es gibt gerade 426 Stück. Sogar Duisburg hat mehr, nämlich 650.

In einer deutschen Millionenstadt gibt es von fast allem mehr als in Venedig. Sicherlich hat Hamburg auch mehr Mülltonnen, Hunde und Sparkassenfilialen. Hamburg würde sich aber nie „Stadt der Sparkassenfilialen“ nennen. Man fährt auf die Brücken ab. Je mehr Brücken eine Stadt aufweisen kann, desto mehr „O sole mio“ vermutet sie in ihrer Seele.

Dabei sind Städte mit vielen Brücken in Wirklichkeit meist nicht Orte der Romantik, sondern des Frachtverkehrs, wo es Häfen und Kanäle gibt, über die sich Eisenbahntrassen und Straßenzüge winden. Durch Städte mit vielen Brücken tuckern die Kohlelastkähne, und es riecht nach altem Fisch.

Wer aber nun hat die meisten Brücken? Hamburg behauptet, die meisten solcher Bauten in Europa zu haben, nämlich knapp 2500. Berlin reklamiert den zweiten Platz für sich mit 2100 Brücken, noch vor Amsterdam mit 1539 Brücken und London mit 850.


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mare No. 85

No. 85April / Mai 2011

Von Tillmann Prüfer und Walther-Maria Scheid

Tillmann Prüfer, geboren 1974, ist Redakteur beim Zeit Magazin in Berlin. Seine Lieblingsbrücke dort ist die Modersohnbrücke, die über Bahnanlagen führt. Im Sonnenuntergang glitzern die Gleise so schön. Walther-Maria Scheid, Jahrgang 1969, aus Berlin, schlägt immer wieder Brücken zwischen seiner freien künstlerischen und der eher wissenschaftlich orientierten illustrativen Tätigkeit.

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Vita Tillmann Prüfer, geboren 1974, ist Redakteur beim Zeit Magazin in Berlin. Seine Lieblingsbrücke dort ist die Modersohnbrücke, die über Bahnanlagen führt. Im Sonnenuntergang glitzern die Gleise so schön. Walther-Maria Scheid, Jahrgang 1969, aus Berlin, schlägt immer wieder Brücken zwischen seiner freien künstlerischen und der eher wissenschaftlich orientierten illustrativen Tätigkeit.
Person Von Tillmann Prüfer und Walther-Maria Scheid
Vita Tillmann Prüfer, geboren 1974, ist Redakteur beim Zeit Magazin in Berlin. Seine Lieblingsbrücke dort ist die Modersohnbrücke, die über Bahnanlagen führt. Im Sonnenuntergang glitzern die Gleise so schön. Walther-Maria Scheid, Jahrgang 1969, aus Berlin, schlägt immer wieder Brücken zwischen seiner freien künstlerischen und der eher wissenschaftlich orientierten illustrativen Tätigkeit.
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