Trockenfisch statt Butterbrot

In der Fischküche lassen sich die Isländer einiges einfallen

Mit der Keule weich geklopft

Trockenfisch, auch Hart- oder Stockfisch genannt, gehört zu den feineren Dingen, die auf den isländischen Tisch kommen. Er wird vorwiegend aus ausgenommenem und geköpftem Schellfisch und Kabeljau hergestellt, in den letzten Jahrzehnten immer öfter auch aus Seewolf oder Heilbutt. Die Trocknung findet während der beginnenden Wintermonate auf großen Holzstellagen statt. Diese stehen im Freien, oft auf flachen Lavafeldern oder in speziellen, offenen Gebäuden, durch die der Wind ziehen kann.

In der keimfreien, sauberen Luft des Nordens trocknen die Fische innerhalb weniger Wochen so weit aus, dass sie geräuschvoll im Wind klappern. Der Stockfisch ist dann so hart, dass er nach alter Tradition vor dem Genuss mit dem Hammer oder einer Keule weichgeklopft werden muss.

Hartfisch für Afrika

Schon seit Anfang des 14. Jahrhunderts exportieren die Isländer ihre Spezialität nach Spanien und Italien. Heute reist isländischer „hardfiskur“, Trockenfisch, bis nach Afrika. In Algerien und Nigeria sitzen die größten Abnehmer.

Als beste Sorte gilt „hardfiskur“ aus Schellfisch, Y´sa genannt. Einige Feinschmecker schwören auf den gelblichen „steinbítur“, den Gefleckten Seewolf, der zum Trocknen mitsamt seiner Haut in vier Zentimeter große Stücke geschnitten wird. Er ist fetter und würziger als der rein weiße Schellfisch. Ein Kilo frischer Fisch schrumpft im Laufe der Herstellung zu 150 Gramm „hardfiskur“. Nicht zuletzt deshalb ist der Snack ziemlich teuer. Hundert Gramm kosten acht bis zehn Mark.

Zäh wie Zehennägel

Zum Essen reißt man Streifen des „hard-fiskur“ in Faserrichtung ab und bestreicht sie mit Butter. Die trockenen Fasern vermengen sich im Mund allmählich mit der Butter und dem Speichel. Daraus ergibt sich eine delikate, protein-, vitamin- und eisenhaltige Mahlzeit.

Nicht so viel Geduld oder Spucke hatte der englische Schriftsteller W.H.Auden. Er befand in seinem 1967 erschienenen Buch „Letters from Iceland“, die zähere Art des Trockenfisches schmecke wie Zehennägel und die weichere wie Hornhaut von den Fußsohlen.

Die Isländer sind wohl die einzige Nation, die selbst aus Fischgräten ein Gericht herzustellen versteht: Sie legen Kabeljaugräten so lange in saure Molke ein, bis diese sich aufgelöst haben. Durch langes Kochen entsteht schließlich ein dicker Brei. So zu finden im „Ny matreidslubók“, dem „Neuen Kochbuch“ von Andrea Nikólina Jónsdóttir aus dem Jahr 1858.

Vergraben und verwest

Einzigartig und nur auf Island bekannt ist fermentierter Eishai, „kæstur hákarl“. Die fingerdicken, milchig weißen Würfelchen aus dem Fleisch des Eishais bieten die Händler in kleinen durchsichtigen Plastikbechern an. Früher machte man aus der Haut des bis zu sieben Meter langen Eishais Schuhe. Gefangen hat man ihn mit großen Angeln; als Köder dienten in Rum getränkte Seehundköpfe. Heute wird der Eishai mit Netzen aus dem Meer geholt.

Für die ausländischen Besucher ist „hákarl“ wegen des strengen, durchdringenden Ammoniakgeruchs und der glitschigen, speckartigen Konsistenz nur schwer konsumierbar. Den Isländern gilt er als ausgesprochene Delikatesse. Die Fischer schneiden aus den Bauchseiten des Hais 60 bis 70 Zentimeter lange faustdicke Stücke heraus, die nach alter Tradition einige Monate gewässert, im feuchten Boden und in Flussbetten vergraben werden, bis sie verwesen.

Der Hai ist giftig und diese Prozedur nötig, um das Ammoniak aus seinem Fleisch herauszubekommen. Wie lange er vergraben bleibt, scheint das Geheimrezept eines jeden Fischers zu sein. Die Angaben schwanken zwischen vier Wochen und mehreren Monaten.

Unvorsichtiger Genuss habe früher nicht wenigen Menschen das Leben gekostet, berichtet der österreichische Regierungsrat Joseph Calasang Poestion in seinem 1885 erschienenen Werk „Island – Das Land und seine Bewohner nach den neuesten Quellen“.

Heute reifen die ausgegrabenen und auf das Maß 30 mal 15 mal 15 Zentimeter geschnittenen „hákarl“-Stücke in großen, geschlossenen Plastikboxen noch einige Zeit vor sich hin. Danach werden sie aufgehängt und getrocknet. Die „beita“ genannten Stücke sollten dann innen eine weiße und außen eine braune Färbung haben. Die Konservierung und Herstellung des „hákarl“ ist eine Arbeit, die heute einzelne Bauern, Fischer und Privatpersonen als Nebenverdienst verrichten. Nicht zuletzt, um eine alte Tradition zu erhalten.

Eine ähnliche Behandlung erfährt auch der Rochen, der edelgefäult zu einer Spezialität namems „skata“ heranreift.


Bezugsadressen für Hartfisch:

Hardfiskverkun Halldór Mikkaelsonar
425 Flateyri, Island
Telefon 00354/4567848

Unnur Ehf Fish, Fjardagata 46
470 Thingeyri, Island
Telefon 00354/4568121

mare No. 17

No. 17Dezember 1999 / Januar 2000

Von Wolfgang Müller

Wolfgang Müller, Jahrgang 1957, lebt als Schriftsteller, Künstler und Musiker in Berlin. 1998 erschien: Blue Tit. Das deutsch-isländische Blaumeisenbuch (M. Schmitz Verlag, Berlin). In mare No. 11 beschrieb Müller das Penismuseum von Reykjavík

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Vita Wolfgang Müller, Jahrgang 1957, lebt als Schriftsteller, Künstler und Musiker in Berlin. 1998 erschien: Blue Tit. Das deutsch-isländische Blaumeisenbuch (M. Schmitz Verlag, Berlin). In mare No. 11 beschrieb Müller das Penismuseum von Reykjavík
Person Von Wolfgang Müller
Vita Wolfgang Müller, Jahrgang 1957, lebt als Schriftsteller, Künstler und Musiker in Berlin. 1998 erschien: Blue Tit. Das deutsch-isländische Blaumeisenbuch (M. Schmitz Verlag, Berlin). In mare No. 11 beschrieb Müller das Penismuseum von Reykjavík
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