Träumen von Schäumen

Am Anfang stand ein Experiment: etwas Natron, etwas Weinsäure, Wasser. Und dann wurde der Sturm im Glas die ganz große Mode bei Kindern. „Ahoj“ heißt das Brausen bis heute

Ahoj-Brause gehört zum kulinarischen Erbe der Westdeutschen wie Kröver Nacktarsch, Caro-Kaffee und der „Negerkuss“. Wiederbelebt vom Retrokult und von einem geschickten Marketing, schäumt sie unsere Erinnerung auf – an unbeschwerte Kindertage auf selbst gebauten Hochsitzen, als wir kleine Tüten aufrissen, den Inhalt in die hohle Hand schütteten, das grüne, gelbe oder rosarote Versprechen mit der Zungenspitze berührten und unter dem Säurekick die Augen zusammenkniffen. Die Ahoj-Brause von Frigeo mit dem fähnchenschwenkenden Matrosen steht für das Prickeln der 1950er und 1960er Jahre, ein Pfennigvergnügen der Adenauerzeit, als es noch richtige Verkäufer gab in vollgestellten Läden mit Tante Emmas, die Witze machten und uns manchmal eine Pulvertüte schenkten.

Das eigentlich Erstaunliche ist, dass sich das eigentümliche Produkt seit seiner Erfindung im Jahr 1925 bis heute weitgehend unversehrt gehalten hat, dass es seit 84 Jahren ununterbrochen vor sich hin zischt. Noch immer laufen im baden-württembergischen Geradstetten bei Remshalden jährlich 100 Millionen Tüten vom Band. Der Markt ist auf „Deutschland und ein bisschen Österreich“ begrenzt, sagt Firmensprecher Jan Liebmann. Während die Firma Katjes, die 2002 den Brausepulverhersteller Frigeo samt seiner Marke Ahoj übernommen hat, ihre Bonbons, Fruchtgummis und Lakritze bis nach Asien und Australien exportiert, muss die Ahoj-Brause zu Hause bleiben. Sie ist ein zutiefst deutsches Produkt.

Großschriftsteller Günter Grass hat ihr ein literarisches Denkmal gesetzt. Die Szene in der „Blechtrommel“, als der kleine Oskar das himbeerfarbene Brausepulver in die Bauchnabelkuhle von Maria sickern lässt, große Portionen Speichel dazugibt, seine Zunge in den aufbrausenden Krater versenkt, um die ganze Köstlichkeit bis zum letzten Molekül so lange aufzulecken, bis er sich in einer weiten Himbeerplantage verliert, ist tatsächlich ein grandioses Stück Literatur.

Aber irgendwann sollte es ja mal gut sein mit dem künstlichen Geschmack nach Waldmeister, Himbeere, Zitrone und Orange. Denn in Wahrheit ist das Brausepulver und das daraus entstehende Getränk alles andere als ein geschmacklicher Höhenflug. Den eher furchterregenden Mix aus Farbstoff, Aroma, Säuerungsmittel und Zucker würde man bei kaum einem anderen Getränk tolerieren. Aber Ahoj-Brause ist unauslöschbar, sie scheint tief in unserer emotionalen Festplatte verankert.


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mare No. 74

No. 74Juni / Juli 2009

Von Manfred Kriener

Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist Journalist in Berlin und einer der beiden Chefredakteure des neuen Umweltmagazins zeo2. Er trinkt heute lieber Weißwein als Ahoj-Brause. Der sollte zwar eine knackige Säure haben, muss aber nicht unbedingt aus dem Bauchnabel geschlürft werden.

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Vita Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist Journalist in Berlin und einer der beiden Chefredakteure des neuen Umweltmagazins zeo2. Er trinkt heute lieber Weißwein als Ahoj-Brause. Der sollte zwar eine knackige Säure haben, muss aber nicht unbedingt aus dem Bauchnabel geschlürft werden.
Person Von Manfred Kriener
Vita Manfred Kriener, Jahrgang 1953, ist Journalist in Berlin und einer der beiden Chefredakteure des neuen Umweltmagazins zeo2. Er trinkt heute lieber Weißwein als Ahoj-Brause. Der sollte zwar eine knackige Säure haben, muss aber nicht unbedingt aus dem Bauchnabel geschlürft werden.
Person Von Manfred Kriener