Training für die Freiheit

Aus der Gefangenschaft entlassene Delphine kommen mit ihrer neuen Situation oft nicht zurecht

Florida – Für manche war der spektakuläre Wiedereinfang der beiden US-Marinedelphine Buck und Luther im Juni 1996 die „Tragödie unserer Paten-Delphine“ und ein von der „Gefangenschaftsindustrie aus politischen Gründen inszenierter Notfall“. Andere erlebten „den schlimmsten Alptraum ihres Lebens“.

Während der Tierschutzbund Zürich lautstark das Abhandenkommen eines Tierpatenprogramms beklagt und eine maritime Dolchstoßlegende schmiedet, freut sich Dana Carnegie über eine gelungene Tierrettungsaktion: „Vierzehn Tage lang arbeiteten wir rund um die Uhr, bis wir sie endlich eingefangen hatten. Wir hatten Glück, viel länger hätten sie da draußen nicht überlebt“, erzählt die Sprecherin des auf halber Strecke nach Key West auf dem kleinen Eiland Grassy Key beheimateten Dolphin Research Centers, einem Altersruhesitz für ausgebrannte Showdelphine.

15 der kleinen Zahnwale leben hier in großzügigen Lagunen mit Meerwasseranschluss und zeigen in etwas chaotisch ablaufenden Vorstellungen kleinen Touristengruppen, was sie noch so alles draufhaben. Wissenschaftler betreuen die Tiere und erforschen die bislang wenig bekannte Kommunikation unter den Meeresjägern.

Buck und Luther gehörten wie 25 weitere der flinken Meeressäuger zu einem streng geheimen Waffenprogramm der US-Marine. Nach dem Ende des Kalten Krieges waren die Kriegstümmler, die mit speziellen Nasenwaffen feindliche Taucher töten oder verlorene Torpedos aufspüren sollten, plötzlich überflüssig.

Ric O’Barry, angeblich ehemaliger Trainer der „Flipper“-Fernsehdelphine, gelingt es, drei der Kriegsveteranen in sein auf dem Sugerloaf Key gelegenes Dolphin Sanctuary zu bringen. Dort versucht er eineinhalb Jahre lang, sie zu Wildtieren umzutrainieren. Schwerpunkt der Ausbildung: das selbständige Fangen lebender Fische. O’Barry, der 1970 aus dem Fernsehgeschäft ausstieg und als vom Saulus zum Paulus Gewandelter nach eigenen Angaben bereits gut ein Dutzend Delphine erfolgreich befreit haben will, wählt eine ungewöhnliche Methode. Hinter Büschen versteckt, wirft er Fische im hohen Bogen in die Salzwasserlagune des Sugerloaf Sanctuary. Ein fataler Irrtum, wie sich später herausstellt. Buck und Luther merken schnell, dass im Golf von Mexiko die Nahrung nicht mehr aus der Luft angeflogen kommt. „Immer wieder bettelten sie Bootsführer in den Yachthäfen bei Key West um Nahrung an. Die Nähe zu den Booten war aber sehr gefährlich. Beide hatten schon nach wenigen Tagen tiefe Schnittwunden von Zusammenstößen mit Schiffsschrauben“, erinnert sich Dana.

Nach vier Tagen gelingt es Experten der nationalen Fischereibehörde erstmals, Luther an ihr Boot zu locken. Die Untersuchung zeigt, dass er stark abgemagert und dehydriert ist. Delphine decken ihren Trinkwasserbedarf ausschließlich aus ihrer Nahrung. Die Behörde ordnet umgehend den Wiedereinfang an. „Buck sah schlimm aus, sein Zustand war kritisch. Er wog nur noch weniger als 150 Kilogramm, eigentlich hätte er über 50 Kilogramm schwerer sein müssen, seine tiefe Rückenwunde war entzündet“, so Dana. Tierärzte bestätigen, dass beide ohne Rettungsaktion innerhalb weniger Tage gestorben wären.

Der Skandal ist perfekt, Behörden und Öffentlichkeit in ganz Florida sind empört. Auf Anordnung der Fischereibehörde wird das Dolphin Sanctuary geschlossen, die beiden dort noch lebenden Tümmler werden beschlagnahmt. O’Barry, der bei der „Flipper“-Serie, so stellt sich jetzt heraus, nur für die Reinigung der Becken verantwortlich gewesen sein soll, weicht nach Finnland aus, wo er ein neues Auswilderungsprojekt vorbereitet.

Trotz dieses Rückschlags fasziniert die Freilassung von Delphinen und Walen Menschen und Medien gleichermaßen – zur Freude der Spendenkassen der beteiligten Organisationen. Mehrere Millionen Dollar kamen allein für den Schwertwal Keiko, Star des Kinohits „Free Willy“, zusammen. Seit mehr als einem Jahr genießt Keiko das Leben im eigens für ihn errichteten Becken des Oregon Coast Aquariums. Er hat an Gewicht und Muskelkraft zugelegt, kann schon fast so lange wie seine wilden Artgenossen tauchen, eine schlimme Hautkrankheit ist nahezu abgeheilt und: Keiko spielt wieder. Doch von einem Leben unter Artgenossen ist er noch immer weit entfernt.

Ein Grund hierfür dürfte die schwierige Suche nach seiner Familie sein. Auf sich allein gestellt würde das Familientier Orca kaum eine Chance haben. Dennoch fordern Tierschutzorganisationen wie die österreichischen „Vier Pfoten“ vehement seine sofortige Freilassung.

Und kürzlich präsentierten die „Pfoten“ in Deutschland ein 2,5 Kilometer langes und 1,50 Meter hohes Riesenbanner, mit dem sie die Befreiung des seit 27 Jahren im Showpark Sea World bei San Diego lebenden Orcaweibchens Corcky einfordern. Über 15 000 Kinder aus 15 Ländern hatten dafür kleine Stoffdeckchen bemalt. Dass die Wale nach 19 und 27 Jahren Lebenserfahrung in Gefangenschaft auf die gleichen Probleme wie Buck und Luther stoßen könnten, stört dabei wenig: „Ich bin der Meinung, dass es schwieriger ist, einen Orca in Gefangenschaft am Leben zu halten, als ihn auszuwildern“, so der Standpunkt von Niki Entrup, Delphinreferent der „Vier Pfoten“. „Das kommt erst in Frage, wenn wir ganz sicher sein können, dass Keiko in Freiheit überleben kann. Vor 1999 wird er nicht soweit sein“, entgegnet dem Beverlee Hughes, Präsidentin der „Free Keiko Foundation“.

Weltweit wurden alles in allem, so wird vermutet, mindestens 2700 Große Tümmler für Vergnügungsparks und Zoos gefangen, dazu kommen noch etwa 4500 andere Zahnwale. Die wenigsten von ihnen sind noch am Leben. Daran haben auch Auswilderungen bislang kaum etwas ändern können.

Seit 1967 sind vier Grindwale und wenigstens 25 Große Tümmler aus der Obhut des Menschen wieder in die Weite der Ozeane entlassen worden, ein Delphin floh 1978 kurzerhand in die Freiheit. Außer Buck und Luther mussten noch drei weitere wieder eingefangen werden, und das in Gefangenschaft geborene Weibchen Luka überlebte ihre Aussetzung vor der Westküste Australiens definitiv nicht. Von den restlichen Delphinen dürften nur einige das wohlmeinende Ansinnen ihrer Retter mit heiler Haut überstanden haben.


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mare No. 5

No. 5Dezember / Januar 1997

Von Ulrich Karlowski

Nach dem Studium der Biologie war Ulrich Karlowski bei verschiedenen Tier- und Naturschutzorganisationen als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Pressesprecher tätig. Unter anderem betreute er die Einrichtung des Mgahinga-Gorilla-Nationalparks in Uganda. Seit 1996 lebt er als freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt Arten- und Naturschutz in München.

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Vita Nach dem Studium der Biologie war Ulrich Karlowski bei verschiedenen Tier- und Naturschutzorganisationen als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Pressesprecher tätig. Unter anderem betreute er die Einrichtung des Mgahinga-Gorilla-Nationalparks in Uganda. Seit 1996 lebt er als freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt Arten- und Naturschutz in München.
Person Von Ulrich Karlowski
Vita Nach dem Studium der Biologie war Ulrich Karlowski bei verschiedenen Tier- und Naturschutzorganisationen als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Pressesprecher tätig. Unter anderem betreute er die Einrichtung des Mgahinga-Gorilla-Nationalparks in Uganda. Seit 1996 lebt er als freier Journalist mit dem Themenschwerpunkt Arten- und Naturschutz in München.
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