Tödlicher Lärm

Schallwellen unter Wasser lassen Wale stranden. Wie Sonargeräte der US Navy die Meere mit Krach verschmutzen

Kenneth Balcomb und seine Frau Diane Claridge fackeln nicht lange. Mit beherzten Schnitten trennen sie den an den Strand der Bahamasinsel Abaco geschwemmten Kadavern die Köpfe ab und transportieren sie zu "Nancy's Seaside Restaurant" gleich um die Ecke. Es kostet sie ihre ganze Überredungskunst, die Lokalbesitzer davon zu überzeugen, die Corpora Delicti in ihrer Gefriertruhe aufzubewahren. Doch für die medizinische Spurensicherung muss das Beweismaterial so frisch wie möglich sein, am besten tiefgefroren. Dieses Mal, so hoffen die beiden, sollen die Täter nicht ungeschoren davonkommen, wie so oft zuvor.

Mit einer Transportmaschine reisen die gefrosteten Schädel ein paar Tage später nach Harvard und weiter zur medizinischen Abteilung der Woods Hole Oceanographic Institution, wo Darlene Ketten eine Autopsie durchführen soll. Bilder aus dem Computertomographen bringen der Expertin für das Hörvermögen von Walen Gewissheit: "Wir haben Blutergüsse und Gewebeschädigungen im Innenohr und im Gehirn festgestellt, die nur von starken Schall- oder Druckwellen stammen können", lautet Kettens Diagnose. "Diese Organschäden führen zwar nicht direkt zum Tod, aber vermutlich konnten sich die Tiere danach nicht mehr orientieren."

Neben Cuvier-, Blainville- und Gervais-Schnabelwalen trieben auch Minkwale sowie Fleckendelfine an; 16 Tiere insgesamt, verteilt über eine Küstenlänge von rund 80 Meilen. Was auch immer diese Katastrophe ausgelöst haben mochte - es war kein lokales Ereignis wie etwa eine einzige große Explosion.

Bei ihrer Suche nach den Ursachen wurden die Biologen schnell fündig. Am 15. März 2001, zeitgleich mit den Strandungen, hatte die US Navy bei einer Übung in der Meeresenge zwischen Great Babaco und Eleutherea ein Sonar zur U-Boot-Jagd eingesetzt. Das Gerät erzeugt Schallwellen in einem Frequenzbereich von 3000 bis 7000 Hertz und mit einer Lautstärke von bis zu 230 Dezibel, was über Wasser dem Lärm eines Flugzeugtriebwerks entspricht. In einem gemeinsamen Untersuchungsbericht bestätigen US-Fischereibehörde und Marine die Koinzidenz von Sonareinsatz und Walstrandung. Alle früheren Beteuerungen der Militärs, die von ihnen freigesetzten tiefen Schallfrequenzen seien für Meeressäuger nicht gefährlich, sind damit Makulatur.

Darlene Ketten ist trotz ihrer Unter-suchungsergebnisse mit einer generellen Verurteilung von Infraschallquellen vorsichtig. "Die Strandung auf den Bahamas war eine unglückliche Verkettung von Umständen. Die Tiere schwammen in einem engen Kanal, der ein außergewöhnlich starkes Geräuschfeld erzeugte. Man kann daraus nicht schließen, dass ein anderes Sonarsystem Tiere auf die gleiche Weise beeinflusst. Sonar wird schon seit Jahrzehnten verwendet." Dennoch hätte das Eingeständnis der US-Marine zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können, kämpft doch die Flotte momentan um öffentliche Zustimmung für ihr neuartiges Meereshorchsystem. Mit dem Low Frequence Active Sonar (LFAS) wollen die Militärs U-Boote und andere gegnerische Schiffe ausfindig machen, die nahezu lautlos dahingleiten und ihnen bislang durch die Lappen gingen. Dazu senden die militärischen Horchposten sehr laute Schallwellen aus und registrieren deren Echo.

Sonarsysteme standen schon zwei Mal unter Verdacht, Massenstrandungen verursacht zu haben. Im Mai 1996 trieben innerhalb von anderthalb Tagen zwölf Cuvier-Schnabelwale im Golf von Kyparissiakos am griechischen Westpeloponnes an Land. "Die toten Tiere waren über eine Strecke von fast 40 Kilometern verteilt. Das ist sehr ungewöhnlich, denn normalerweise landen Wale bei Massenstrandung meist an einer bestimmten Stelle und nahezu zeitgleich", wunderte sich der grie-chische Walforscher Alexandros Frantzis in einem Artikel für das Wissenschaftsmagazin "Nature". Für ihn bestand ganz klar ein Zusammenhang zwischen der Strandung und den Infraschalltests von in der Nähe operierenden Nato-Schiffen.

Die starken Indizien für eine tödliche Bedrohung von Walen durch Schallgeräte haben sich jüngst auch in zwei Gerichtsurteilen niedergeschlagen. Am 27. Oktober 2002 stoppte ein Bundesgericht in San Francisco laufende Versuche der National Science Foundation zur Vermessung des Meeresbodens im Golf von Kalifornien. Die Tests, bei denen "air guns" kurze Druckwellen ins Wasser abgaben, waren mit dem Tod von zwei Walen in Verbindung gebracht worden, die an der mexikanischen Küste gestrandet waren. Nur vier Tage später verordnete die US-Bundesrichterin Elizabeth Laporte auch der Navy eine vorläufige Sendepause. Die von der Fischereibehörde für die Tests des LFAS erteilte Genehmigung verstoße gegen eine Reihe von Bundesgesetzen zum Schutz von Meeressäugern und gefährdeten Arten. "Es steht außer Zweifel, dass Meeressäuger, von denen viele bei der Nahrungsaufnahme und der Partnerfindung auf ihr Gehör angewiesen sind, durch das weit reichende LFA-Sonar zumindest beunruhigt werden."

Ende August dieses Jahres untersagte die Richterin endgültig neue Tests der Navy. Lediglich in ausgewiesenen fischarmen Pazifikteilen dürfen die Militärs demnach ihre lautstarken Einsätze weiterhin durchführen. Die Navy, zum Leisetreter verdammt, drängt nun auf eine Änderung der Tierschutzgesetze - die breite Anwendung der Sonarsysteme sei für sie unverzichtbar.


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mare No. 40

No. 40Oktober / November 2003

Von Helmut Broeg

Helmut Broeg, geboren 1966, hat nicht nur Biologie studiert, sondern interessiert sich auch für technische und medizinische Themen, kurzum für alles was den Mensch und seine Umgebung vereint. Nach seiner Ausbildung zum Fachzeitschriften-Redakteur arbeitete er zunächst als Redakteur für die Zeitschrift tauchen und seit 2000 als freier Wissenschafts-Journalist u.a. für GEO, Financial Times Deutschland und Bild der Wissenschaft.

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Vita Helmut Broeg, geboren 1966, hat nicht nur Biologie studiert, sondern interessiert sich auch für technische und medizinische Themen, kurzum für alles was den Mensch und seine Umgebung vereint. Nach seiner Ausbildung zum Fachzeitschriften-Redakteur arbeitete er zunächst als Redakteur für die Zeitschrift tauchen und seit 2000 als freier Wissenschafts-Journalist u.a. für GEO, Financial Times Deutschland und Bild der Wissenschaft.
Person Von Helmut Broeg
Vita Helmut Broeg, geboren 1966, hat nicht nur Biologie studiert, sondern interessiert sich auch für technische und medizinische Themen, kurzum für alles was den Mensch und seine Umgebung vereint. Nach seiner Ausbildung zum Fachzeitschriften-Redakteur arbeitete er zunächst als Redakteur für die Zeitschrift tauchen und seit 2000 als freier Wissenschafts-Journalist u.a. für GEO, Financial Times Deutschland und Bild der Wissenschaft.
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