Tito und die großen Tiere

Die Insel Brioni heißt nicht wie die feinen italienischen Anzüge, sondern andersherum. Jugoslawiens Präsident feierte dort mit Staatsgästen. Geblieben ist sein Privatzoo

Das Büro, in dem Anton Vitasovic arbeitet, ist kein Büro, sondern ein Museum. Allerdings, eigentlich ist es nicht aufgeräumt genug, um tatsächlich ein Museum sein zu können. Das Büro von Anton Vitasovic ist ein Ort, an dem Epochen sich begegnen, Zeiten sich berühren, Relikte nebeneinander liegen. Das Büro von Anton Vitasovic ist wie die Insel, auf der er lebt.

Die Schränke: dunkles Holz. Sie sehen nach Politbüro aus und riechen nach Kommunismus. Die Landkarten an der Wand so ausgeblichen von der Sonne, dass man Flüsse und Grenzen nicht mehr erkennen kann. Die Vasenscherben auf dem Boden stammen aus der Römerzeit. Sogar die Plastikschachtel auf dem kleinen Tisch, in der er Krimskrams aufbewahrt, wirkt wie eine Antiquität, so vergilbt, so verstaubt, und erst wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass Philadelphia-Käse daraufsteht. Philadelphia-Käse ist ein eindeutig zeitgemäßes Produkt. Es wirkt, als sei die kleine Schachtel die belastbarste Brücke zur Gegenwart.

Anton Vitasovic. Silberhaar, Hemd ohne Krawatte, Knautschgesicht, der ganze Mann ist ein bisschen ungebügelt. Wenn man auf Brioni jemanden fragt, den Kellner im Hotel „Neptun“, den Kapitän der Fähre, die Verkäuferin im Souvenirladen, „Wer kennt sich hier am besten aus?“, dann sagen der Kellner, der Fährmann, die Verkäuferin: „Anton.“ Anton Vitasovic, 61, ist Historiker, er war dabei, als auf der Insel Relikte aus der Römerzeit freigelegt wurden, Brunnen, Befestigungen, Vasen. Er kennt die Geschichte der Insel, und er kennt seine eigene Geschichte auf der Insel. „Heute bin ich genau 39 Jahre und einen Tag im Dienst.“ Er ist ein Mann der Zahl. „Wir haben auf der Insel 1700 Delegationen begrüßt und 90 Staatschefs.“ Er spricht, wenn er von sich spricht, manchmal im Plural, denn eigentlich ist er Stellvertreter eines anderen: Josip Broz, genannt Tito, jugoslawischer Präsident. „Er war ein großer Mann“, sagt Vitasovic. „Er war ein großer Mann, weil er die kleinen Leute geachtet hat.“

Vitasovic ist Titos Stellvertreter auf Erden. Er bewahrt sein Andenken. Einmal, sie gruben gerade auf Brioni Vasen aus der Römerzeit aus, sei Tito zu ihnen gekommen, es war Sommer, die Arbeiter schwitzten, und er drückte einem der Arbeiter einen Geldschein in die Hand. Welchen Nennwert die Banknote hatte, ist Vitasovic inzwischen entfallen; es ist die einzige Zahl aus der Geschichte Brionis, die er nicht gleich parat hat. Aber an der Art, in der er die Brauen hebt, lässt sich ab-lesen, dass Tito nicht knickrig gewesen ist in diesem Moment.

Der Brioni-Arechipel besteht aus 14 Inseln vor der Küste Istriens; von Pula braucht man mit der Fähre eine Viertelstunde, dann ist man auf Groß-Brioni, der Hauptinsel, ein Quadratkilometer Fläche, als einzige ist sie bewohnt. In der Antike wohnten die Römer hier, später kamen die Venezianer, dann die Österreicher. Paul Kupelwieser, ein Industrieller, reich geworden im Stahlgeschäft, kaufte 1893 die Insel und engagierte den befreundeten Bakteriologen Robert Koch, der sie von Malariamücken befreite. Kupelwieser ließ Hotels und einen Yachthafen bauen, bald kamen Könige und Schauspieler und andere Menschen, die die Enden des Schnauzbarts nach oben gezwirbelt hatten. Vor dem Ersten Weltkrieg war Brioni das, was später Saint-Tropez war und im Moment vielleicht Dubai ist: ein Rückzugsort für jene, die sich Blattgold in den Schokopudding mischen. Und dann wurde Brioni zum ersten Mal Teil der Weltpolitik. Franz Ferdinand, der österreichisch-ungarische Erzherzog, machte ein paar Tage Urlaub auf Brioni, bevor er mit der Fähre übersetzte, um nach Sarajevo weiterzureisen, wo er ermordet wurde. Das Attentat gilt als Funke, der alles in Brand steckte: als Auslöser des Ersten Weltkriegs, in dem auch dieser Josip Broz kämpfte, als Unteroffizier, bevor er nach zahlreichen Häutungen den Künstlernamen Tito annahm und Marschall wurde und schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg Ministerpräsident Jugoslawiens.

1947 reiste er zum ersten Mal nach Brioni; die Insel war inzwischen ein bisschen heruntergekommen, aber schön war sie immer noch, und ruhig, und gut abschirmbar. Sie war wie geschaffen, um hier eine Sommerresidenz zu bauen. Tito nahm das gesamte Groß-Brioni in Beschlag und ließ sich wenig später von seinem Volk auch noch die kleine Nachbarinsel Vanga schenken, sozusagen die Sommerresidenz seiner Sommerresidenz.

Die Insel hatte den Reichen gehört, und jetzt gehörte sie ihm. Tito war zwar Kommunist, und die Idee des Kommunismus sagt, dass alle Menschen gleich sind, aber auf seine Insel durften die vielen gleichen Menschen nicht. Er verbrachte sechs Monate im Jahr hier, Brioni war für ihn, was Wandlitz für Honecker war, nur schöner, das Klima so mild. Tito rauchte und trank und aß, und wenn die Staatsgäste aus aller Welt hierherkamen, rauchten und tranken und aßen sie mit ihm, Che Guevara, Breschnew, Ulbricht. Er empfing sie an der Mole, immer trug er einen weißen Anzug, und wenn sie wieder abreisten, stand er in seinem weißen Anzug am Fähranleger und winkte ihnen mit einem weißen Taschentuch hinterher.


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mare No. 63

No. 63August / September 2007

Von Holger Gertz

Holger Gertz, Jahrgang 1968, ist Reporter bei der Süddeutschen Zeitung und gilt als heimlicher Chef des Ressorts „Elefanten“. Er hat über Elefantenflüsterer geschrieben, über Elefantenwärter und über Elefantenspitzmäuse. Sein Büro zieren 200 Stoffelefanten. Dass er auf Brioni zwei Elefanten traf, war für ihn eine Bestätigung dafür, am richtigen Ort zu sein.

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Vita Holger Gertz, Jahrgang 1968, ist Reporter bei der Süddeutschen Zeitung und gilt als heimlicher Chef des Ressorts „Elefanten“. Er hat über Elefantenflüsterer geschrieben, über Elefantenwärter und über Elefantenspitzmäuse. Sein Büro zieren 200 Stoffelefanten. Dass er auf Brioni zwei Elefanten traf, war für ihn eine Bestätigung dafür, am richtigen Ort zu sein.
Person Von Holger Gertz
Vita Holger Gertz, Jahrgang 1968, ist Reporter bei der Süddeutschen Zeitung und gilt als heimlicher Chef des Ressorts „Elefanten“. Er hat über Elefantenflüsterer geschrieben, über Elefantenwärter und über Elefantenspitzmäuse. Sein Büro zieren 200 Stoffelefanten. Dass er auf Brioni zwei Elefanten traf, war für ihn eine Bestätigung dafür, am richtigen Ort zu sein.
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