This is not a Cruise Ship

Wer dazugehören will, braucht Millionen. Miteigentümer der „World“ zu werden heißt, sein Leben auf einer fahrenden Insel der Glückseligkeit zu verbringen. Schöne Aussichten

This Is not a Cruise Ship (Kurze Betrachtung aus der Ferne)
Das ist sie also. Gestern noch auf einer Fähre übernachtet, verspiegelte Buchenholzästhetik aus Plastikguss, bunt gemusterte Teppiche, fleckenresistent und feuchtelnd, Dauermusikberieselung aus Flurlautsprechern auch nach Mitternacht, Lastwagenchauffeure hinter Biergläsern, haarige Passagiere mit Rucksäcken, Kleinfamilien auf Urlaubsreise; der Fährhafen von Marseille war vollgestopft mit wartenden Nordafrikanern gewesen, Männer hatten barfuß in der Halle gesessen, Hitze, ein Hauch von Maghreb, südfranzösischer Alltag. Dann die Nacht auf See, und jetzt also Ajaccio, Korsika, sehr hübsch.

Ich darf sie heute noch nicht betreten, erst morgen, zwei Tage und Nächte werden mir gewährt auf dem Schiff der Schiffe, das, wie ich als Erstes lernen werde, vieles ist, nur kein Kreuzfahrtschiff. Ich darf sie nicht betreten, aber aus der Ferne schauen, das kann ich. Sie liegt draußen in der Bucht auf Reede, ein riesiger Kahn, groß glänzen die Buchstaben: THE WORLD. Am Kai ausgerollt ein roter Teppich, daneben ein schattenspendender Schirm, Erfrischungstücher, Sitzgelegenheiten, eine Abschrankung.

Es gibt die hinter dem Zaun und die vor dem Zaun. Dahinter, das sind ein paar neugierige Einheimische, eine Handvoll Touristen, die Gerüchte gehört haben, rauchende Taxifahrer mit zerknitterten Mittelmeergesichtern und ich. Davor, das sind Crewmitglieder, Champagnereinschenker etwa oder philippinische Matrosen mit Tauen in der Hand, daneben Passagiere, die auf das Tenderboot warten, das sie an Bord bringen wird, und an Bord bedeutet hier: nach Hause. Wir lehnen zwei Meter entfernt von ihnen und schauen sie an. Sie beachten uns nicht, sind es wohl gewohnt, über Zaungäste hinwegzusehen. Viel ist nicht los, drei kommen, zwei gehen, sie werden abgeholt von einem Fahrer, er stand vorhin neben mir am Zaun, rauchte Kette, gelbe Zähne, gelbe Finger, jahrzehntealtes schwarzes Jackett. Ist es nicht langweilig auf „The World“? Doch sehr, sagt der eine Matrose. Gähnende Langeweile. Also ist es still an Bord? Oh ja, totenstill. Sind ja heute nur 130 Bewohner und 250 Crewmitglieder auf einem Schiff, das so groß ist, dass es im normalen Leben 1800 Passagiere und 1200 Menschen Besatzung fassen würde. Aber was heißt schon normales Leben? Das hier ist auch normales Leben. Für die vor dem Zaun. Die hinter dem Zaun freilich flüstern über Prominente, die gesichtet worden seien, was ziemlicher Unfug ist, denn Berühmtheiten gibt es kaum an Bord, abgesehen von einem Mitglied des monegassischen Fürstenhauses. Einer der Matrosen hat schon vor Jahren ins Innerste der fürstlichen Seele geschaut, Dinge habe er da gesehen, die könne er gar nicht benennen, das dürfe er auch nicht, Diskretion gehe über alles. Sagt es und schweigt. Hat schon zu viel geredet, der gute Mann.

Spätabends vom Hotelzimmerfenster aus sehe ich sie hell erleuchtet in der Bucht liegen. Ich steige noch einmal zum Hafen hinunter, buntes Ajaccio, Menschen in Gassen, mediterrane Luft. Zwei Crewmitglieder halten Wache, sie scherzen mit Heimkehrern, ein fast schon intimer Umgang. Ich nicke grüßend ins Leere. Natürlich kennt mich keiner, ich kenne ja auch keinen, warum also sollten sie mich grüßen? Morgen gehe ich an Bord. Morgen wird alles anders.

This Is not a Cruise Ship (Was es ist)
Der Matrose hatte recht, es ist unfassbar still hier, geisterschiffstill. Vorhin auf dem Tender war es nicht so ruhig gewesen, der Motor lärmte, ich saß auf dem Oberdeck des orangefarbenen Bootes, ganz allein, unten der Bootsführer und oben ich, Gischt spritzte, die Fassaden von Ajaccio wurden kleiner, „The World“ immer größer, sie türmte sich vor mir auf, ein elfgeschossiger Riese, wir legten an, schwankend, Koffer an Bord, fertig. Da stand ich. In dieser enormen, menschenleeren, ruhigen Halle. Im teuersten und eigenwilligsten Apartmenthaus der Welt.

Mein Apartment ist eine Kabine, auch wenn sie Studio genannt wird. Eine geschmackvoll gestaltete Kabine mit Balkon, das Design mutet ein wenig japanisch an. Eine Glaswand zwischen Bad und Zimmer, das ist originell, in der Badewanne liegen und nach draußen schauen können, Hafenlichter sehen oder nachts die Dunkelheit des Meeres ahnen. Die Kabine könnte ich kaufen, aber eine Kabine kaufen ist nicht das, was man sich hier wünscht; wenn, dann müsste es schon größer sein, eine richtige Wohnung, zwei, drei Zimmer mit Küche und allem Drum und Dran. Die Kabine würde 600 000 Euro kosten, das ginge ja noch, so für 30 Quadratmeter. Aber der Unterhalt, der Unterhalt würde mich umbringen, 5000 Euro im Monat.

Man lässt mich in Ruhe, das ist gut. Ich spaziere durch den Deli auf Deck 5, schönes Gemüse und Obst, glänzend und frisch, Wein, Barilla Spaghetti, Tomatensaucen, Crème fraîche, alles da, was man zum Kochen braucht. Aber ich habe ja keine Küche. Also fahre ich im Fahrstuhl ganz nach oben und denke an den 24 000-Euro-Essensgutschein, den man als Bewohner im Lauf eines Jahres verfuttern muss; schwer würde mir das nicht fallen, ich würde Freunde zum Essen einladen, die in Savannah, vielleicht den in New York, die beiden in Kapstadt, man hat ja Freunde auf der ganzen Welt, nicht wahr; ach, die Speisekarten der vier Restaurants sehen gut aus, vor allem das asiatische Fischrestaurant auf Deck 11 gefällt mir, die Glastür ist verschlossen, Ruhetag oder so, also fahre ich wieder nach unten. Ich sehe kaum jemanden. In der Bibliothek hüstelt ein alter Mann. Das Sortiment ist breit, viele Sprachen, ich klappe Bücher auf, klappe Bücher zu, studiere einen Atlas, ja, hier war ich schon und da und dort. Der Mann hüstelt noch immer. Gut, dann schaue ich mir das Pooldeck an, es ist ein Uhr mittags. Schweigsame Crewmitglieder pützeln den Tresen, zwei Menschen in Turnschuhen drehen Runden auf der Laufstrecke, zwei andere Menschen mit Tennisschlägern schauen vorbei. Ich trinke einen Kaffee und dann noch einen, ich muss aufpassen, dass ich keine Herzrhythmusstörungen kriege vor lauter Kaffeetrinken aus Langeweile. Wo sind sie denn alle?


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mare No. 77

No. 77Dezember 2009/ Januar 2010

Von Zora del Buono

Zora del Buono, Jahrgang 1962, gilt in der Redaktion als Kreuzfahrtexpertin. In No. 9 schrieb sie über eine Reise mit 3000 schwulen Männern, in No. 38 über Eintänzer auf der „QE2“, in No. 47 ein Tagebuch von der MS „Bremen“. Ihr Fazit nach zwei Tagen auf „The World“: viel Zeit für Gedanken. Nur über die Kleidung müssen sich die Gäste nicht den Kopf zerbrechen. Es schaut einen eh niemand an.

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Vita Zora del Buono, Jahrgang 1962, gilt in der Redaktion als Kreuzfahrtexpertin. In No. 9 schrieb sie über eine Reise mit 3000 schwulen Männern, in No. 38 über Eintänzer auf der „QE2“, in No. 47 ein Tagebuch von der MS „Bremen“. Ihr Fazit nach zwei Tagen auf „The World“: viel Zeit für Gedanken. Nur über die Kleidung müssen sich die Gäste nicht den Kopf zerbrechen. Es schaut einen eh niemand an.
Person Von Zora del Buono
Vita Zora del Buono, Jahrgang 1962, gilt in der Redaktion als Kreuzfahrtexpertin. In No. 9 schrieb sie über eine Reise mit 3000 schwulen Männern, in No. 38 über Eintänzer auf der „QE2“, in No. 47 ein Tagebuch von der MS „Bremen“. Ihr Fazit nach zwei Tagen auf „The World“: viel Zeit für Gedanken. Nur über die Kleidung müssen sich die Gäste nicht den Kopf zerbrechen. Es schaut einen eh niemand an.
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