Teurer Ausflug zum Seemannsgrab

Die „Bismarck“ als Touristenziel

Was haben die „Titanic“ und das Schlachtschiff „Bismarck“ gemein? Beide galten als unsinkbar, ihre gewaltigen Rümpfe waren aus zentimeterdickem Stahl und patriotischem Stolz geschmiedet. Dennoch versanken beide Schiffe noch während ihrer Jungfernfahrten im Nordatlantik. Das eine aufgeschlitzt vom Eisberg, das andere manövrierunfähig geschossen und dann versenkt.

Etwas könnte die Schicksale beider Schiffe schon bald noch enger verbinden. Eine Münchner Reiseagentur plant nämlich, Tauchexpeditionen zum Wrack der „Bismarck“ anzubieten. Für 59000 Mark könnten sich dann gut betuchte Touristen in eine kleine Tauchkapsel zwängen, um in 4790 Meter Tiefe exklusive Fotos fürs Familienalbum zu knipsen, so wie im vergangenen Jahr vom Wrack der „Titanic“.

Doch anders als der Passagierdampfer sind die Überreste der „Bismarck“ offiziell ein Seemannsgrab. Einstige Besatzungsmitglieder zeigten sich bei einem Treffen wenig erfreut über den Brief, den ihnen der Veranstalter geschrieben hat. Heinz Steeg, 84, einst Maschinenmaat und späterer Begründer der „Marinekameradschaft Schlachtschiff Bismarck“, der 76jährige Artillerieoffizier Willy Treinies sowie die Maschinisten Heinz Georg Stiegler und Rudi Römer, genannt „Jumbo“ – vier von 115 Menschen, die den Untergang der „Bismarck“ überlebt haben. „Und das nur, weil wir unten in der Maschine waren“, erklärt Willi Steeg. Die Panzerung aus 36 Zentimeter Chrom-Nickel-Stahl hätte ihm und den Kameraden das Leben gerettet. „Bismarck hatte 38 Zentimeter“ korrigiert ihn „Jumbo“. Noch immer klingt unverhohlener Stolz mit, wenn die Veteranen über „Bismarck“ reden, stets in der artikellosen Form. Doch hat sich die Erinnerung an die entsetzlichen Stunden an jenem 27. Mai 1941 unauslöschlich in ihr Gedächtnis gefressen. Vor allem nachts kehren die Bilder zurück.

Es war eine handverlesene Besatzung, die am 18. Mai an Bord der „Bismarck“ in See stach. Das modernste, schnellste und gefährlichste Schlachtschiff der deutschen Flotte, ausgestattet mit 38 Geschützen samt stereoskopischer Entfernungsmessung, sollte im Nordatlantik die Geleitzüge der Alliierten zerstören. Doch die „Bismarck“ wurde vor Norwegen entdeckt. Zwischen Grönland und Island spürte dann die „Hood“, der Stolz der britischen Navy, das feindliche Schiff auf und eröffnete das Feuer. Doch es war ein gravierender Fehler, die ungepanzerte „Hood“ gegen die „Bismarck“ antreten zu lassen. Binnen sechs Minuten war das Flaggschiff der Navy versenkt. Nur drei der 1400 Besatzungsmitglieder überlebten.

Am Abend des 27. Mai machten britische Aufklärungsflugzeuge den Feind, der Kurs auf das besetzte Frankreich genommen hatte, erneut aus. Ein Torpedo hatte die einzige verwundbare Stelle des Schiffs, das Ruder, getroffen. Fast manövrierunfähig dümpelte die „Bismarck“ dem anrückenden Feind direkt in die Arme.

Was dann folgte, können Willi Treinies und seine Kollegen auch heute, mehr als fünfzig Jahre später, kaum in Worte fassen. Unter den Salven der Engländer zerbarsten die Geschütze, explodierten Munitionskammern, flogen Menschen durch die Luft. Nur wenige Seeleute konnten sich ins eisige Wasser retten, 115 wurden herausgefischt. 2371 Menschen fanden den Tod. Und nun sollen Touristen hinuntertauchen können, um sich an diesem Friedhof zu ergötzen? „Zuerst diese Leichenfledderei an der ,Titanic‘, und jetzt wollen sie auch noch aus der ,Bismarck‘ eine Touristenattraktion machen“, klagt Hanni Treinies, die Frau des Überlebenden, erregt. „Das ist doch nicht zu fassen!“

Ihr Mann und auch die anderen drei ehemaligen Besatzungsmitglieder scheinen das Projekt indes nicht grundsätzlich abzulehnen. „Wir werden ohnehin nicht verhindern können, daß jemand da runtertaucht“, meint Heinz Steeg. „Und vielleicht könnte man ja tatsächlich an der Versenkungsstelle einen Gottesdienst abhalten, wie uns die Veranstalter angeboten haben, und am Wrack selber eine Gedenkplatte niederlegen“, räsoniert der Veteran. Doch Willy Treinies ist skeptisch: „Für uns kommt dieses Angebot zu spät. Von uns wird niemand mehr da hinunter können.“

Und noch einmal ist es seine Frau, die das Wort ergreift: „Erinnert Euch doch an die ,Estonia‘“, mahnt Hanni Treinies und ruft die Diskussion um die Bergung der in der Ostsee gesunkenen Fähre in Erinnerung: „Toten soll man ihre Ruhe lassen.“ Aus einem Seegrab eine Touristenattraktion zu machen fände sie „,terrible‘, wie der Engländer sagen würde.

mare No. 13

No. 13April / Mai 1999

Von Sabina Kipfelsberger

Sabina Kipfelsberger, Jahrgang 1965, studierte in Kiel Ozeanographie und ist freie Journalistin in München.

Mehr Informationen
Vita Sabina Kipfelsberger, Jahrgang 1965, studierte in Kiel Ozeanographie und ist freie Journalistin in München.
Person Von Sabina Kipfelsberger
Vita Sabina Kipfelsberger, Jahrgang 1965, studierte in Kiel Ozeanographie und ist freie Journalistin in München.
Person Von Sabina Kipfelsberger