Teufelskerl mit grossem Herzen

Der Däne Peter Freuchen widmete sein Abenteurerleben Grönlands Inuit. Aber er war auch Autor, Zoologe, Nazi-Widerständler und Drehbuchautor. Und liebte ein New Yorker Society-Girl

Ein Jahr vor seinem Tod geht der stattlich gewachsene Peter Freuchen, am Arm einer lächelnden Assistentin, die Stufen ins Fernsehstudio des US-Senders CBS hinab. Es ist Juli 1956, das Bild schwarz-weiß, leicht körnig, und die Quizshow, an der Freuchen teilnimmt, ist damals ein TV-Highlight. Er trägt Anzug, Krawatte und ein Holzbein. Der Kopf ist bis auf die Ränder kahl, der Vollbart am Kinn üppig. Freuchen wischt sich mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn, dann steckt er seine Hände in die Manteltaschen.

„Ein bisschen warm hier“, sagt er und wirkt verlegen. Moderator Hal March, ein adretter Dean-Martin-Typ, fragt seinen Gast, ob der angesichts von Bart und Körpergröße sich jemals selbst als Captain Ahab in „Moby-Dick“ gesehen habe. „No, no, Sir“, sagt Freuchen, der eine überraschend hohe Stimme hat, und lächelt. Zur besten Sendezeit erzählt der zwei Meter große Däne dann mit fast heiligem Ernst von der altmodischen Methode des Walfangs in Grönland – nein, keine Pistole, sondern eine geworfene Harpune!

20 oder 30 Wale habe er so erlegt, sagt Freuchen, dessen lakonischer Humor in einer amerikanischen Fernsehsendung fremd wirkt.

Er holt seine Hände aus den Taschen, steckt sie zurück, nimmt sie wieder heraus und lächelt jetzt, man würde sagen: verschmitzt. Dann beantwortet er eine Frage nach der anderen, 500 Dollar, 1000 Dollar, 2000 Dollar. Nach jeder Verdopplung des Gewinns wird die nächste Frage schwieriger, und nach jeder richtigen Antwort jubelt Freuchen mit erhobenem Kämpferarm. Es geht um Polarwissen, Ozeanografie, Seefahrerei, kurzerhand: um alles, was er in seinem im Jahr darauf erschienenen Buch „The Seven Seas“ (Die Sieben Meere) zu Papier gebracht hat.

Dieses Buch ist ein Unikat und bietet bezüglich der Meere alles, was man sich wünschen kann: Kultur-, Wissenschafts- und Erdgeschichte, Fabeln, Träume, Sorgen, Statistiken, Spekulationen, verbürgte Anekdoten, Abhandlungen über Strömungen, Winde, Schiffbau, schwarzes Elfenbein, Seehandel, große Schlachten und Gedanken über die Intelligenz von Fischen. Es ist keine akademische Gelehrtenabhandlung, sondern ein Kompendium unterschiedlicher Genres, und in jeder Zeile spürt man die Ehrfurcht des Autors vor dem Meer. Wer immer sich über Peter Freuchen geäußert hat, beschrieb ihn als warmherzig und selbstironisch und vor allem respektvoll.

Da überragt er also den Moderator um einen Kopf, und um es kurz zu machen: Peter Freuchen ist der fünfte Mensch, der in der Game-Show „Die 64 000-Dollar-Frage“ die 64 000 Dollar gewinnt. Verwunderlich ist das nicht. Dieser Mann scheint zu allem fähig, schließlich hat er einmal einen Wolf mit bloßen Händen getötet. Am Ende seines Lebens wird er neben anderem Polarforscher, Abenteurer, Journalist, Schriftsteller, Chefredakteur, Anthropologe, Zoologe, Widerstandskämpfer, Drehbuchautor, Studiochef und zigfach Überlebender gewesen sein. Menschen nennen ihn bis heute einen „bad ass“, einen knallharten Typen, ja, einen der interessantesten Menschen, die je gelebt haben. Es ist hoch wahrscheinlich, dass dieser Mann mehr als sieben Leben hatte.
 

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mare No. 144

mare No. 144Februar / März 2021

Von Christian Schüle

Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft und ist literarischer Autor und Essayist. Seit 2015 lehrt er Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin. Peter Freuchen gehöre ohne Frage zu den faszinierendsten historischen Persönlichkeiten, mit denen er sich je beschäftigt hat. An diesem Forscher und Menschen lasse sich bestens studieren, dass es in einem erfüllten Leben nicht um Pose und Profit, sondern um Neugier und Lebenslust geht.

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Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft und ist literarischer Autor und Essayist. Seit 2015 lehrt er Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin. Peter Freuchen gehöre ohne Frage zu den faszinierendsten historischen Persönlichkeiten, mit denen er sich je beschäftigt hat. An diesem Forscher und Menschen lasse sich bestens studieren, dass es in einem erfüllten Leben nicht um Pose und Profit, sondern um Neugier und Lebenslust geht.
Person Von Christian Schüle
Vita Christian Schüle, Jahrgang 1970, studierte Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft und ist literarischer Autor und Essayist. Seit 2015 lehrt er Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin. Peter Freuchen gehöre ohne Frage zu den faszinierendsten historischen Persönlichkeiten, mit denen er sich je beschäftigt hat. An diesem Forscher und Menschen lasse sich bestens studieren, dass es in einem erfüllten Leben nicht um Pose und Profit, sondern um Neugier und Lebenslust geht.
Person Von Christian Schüle