Tee Macht Freiheit

Politische Provokation oder Widerstand gegen die Kolonialherren? Die Boston Tea Party war 1773 Auftakt zur Gründung der USA

Der 16. Dezember 1773 ist einer dieser Tage, die eine Wende markieren, eine historische Zäsur. Langsam rundet sich das Bild der Erde. Noch ist James Cook unterwegs. Mit jeder seiner Reisen wächst das britische Empire ins Unermessliche. Der 45-jährige Brite hat gerade die Terra australis incognita entdeckt und das Land New South Wales genannt. Am 16. Dezember 1773 segelt er Richtung Antarktis. Eisberge machen ihm zu schaffen, am 24. Dezember wird er Kurs Nord befehlen. Währenddessen entdeckt Marie Antoinette am französischen Hof die Freuden des Glücksspiels. Die Dauphine ist 17 und seit drei Jahren mit Thronfolger Louis verheiratet. Das Feuerwerk zum Hochzeitsfest hatte eine Massenpanik ausgelöst, bei der 139 Menschen starben. Ein unglückliches Omen.

Aufbruch liegt in der Luft, die Kultur des Abendlands sucht neue Wege. Der junge Goethe hat gerade seinen „Götz von Berlichingen“ vollendet und mit dem Drama Sturm und Drang losgetreten. Dabei geht es ihm gar nicht gut. Der 24-Jährige hat Liebeskummer, ist in die Verlobte eines Freundes verliebt, Erfahrungen, die er bald niederschreibt. „Die Leiden des jungen Werther“ werden in Europa eine Selbstmordwelle auslösen. In der Welt der Musik gibt es neue Töne. Wolfgang Amadeus Mozart, der 17-jährige Konzertmeister der Salzburger Hofkapelle, hat bereits rund 240 Werke komponiert, darunter 26 Symphonien und sieben Opern. Vom jungen Beethoven ist noch nicht viel zu hören. An diesem schicksalhaften 16. Dezember feiert der kleine Ludwig seinen dritten Geburtstag und wird vermutlich von seinem angetrunkenen Vater auf einen Klavierschemel gehoben.

Es ist der Tag, an dem in der Neuen Welt ein Fass überläuft, an dem in Boston, der Hafenstadt in der britischen Kolonie Massachusetts, wütende Siedler drei Schiffe der britischen East India Company stürmen und deren Ladung ins Hafenbecken kippen. Das Ereignis wird als Boston Tea Party in die Geschichte eingehen, als explosive Entladung eines lange schwelenden Streits zwischen den 13 britischen Kolonien in Nordamerika und den britischen Kolonialbehörden. Es geht um Geld, und es geht ums Prinzip.

Wie konnte es dazu kommen? Die Boston Tea Party war das Ende einer zunehmend gestörten Beziehung. Jahrelang hatte England seine Kolonien von oben herab behandelt, ihnen Handelsbeschränkungen auferlegt, den Bau von Industrien untersagt, um den Verkauf eigener Produkte nicht zu stören. Aber das Geschäft stockt. Die Kolonien kosten mehr, als sie der Krone einbringen, vor allem bringen sie Ärger. Obwohl König George III. die Stammesgebiete der Indianer, die ihm geholfen hatten, die Franzosen aus Kanada zu vertreiben, ausdrücklich unter Schutz gestellt hatte, treiben widerborstige Kolonisten den Siedlungsbau am Ohio voran. Es kommt zu blutigen Konflikten mit den Indianern.

Um die Siedler zu beschützen, muss Militär aufgeboten werden. Truppen kosten Geld. Woher nehmen? England ist pleite. Die britischen Staatsfinanzen sind seit dem Siebenjährigen Krieg zerrüttet. In den Kassen des Empire klafft ein Loch von 132 Millionen Pfund. Wer Truppen braucht, soll auch dafür zahlen, findet das Parlament und beschließt für die Kolonien eine Zucker- und Stempelsteuer. Die Kolonisten fühlen sich, wieder einmal, schikaniert und ungerecht behandelt. Mit welchem Recht kann ein Parlament Steuern erheben, in dem die Vertreter der Kolonien nicht gehört werden? Die Rechtsgelehrten in London sehen das anders, trotzdem nimmt der Schatzkanzler die Stempelsteuer zurück, erhebt stattdessen Einfuhrzölle auf Papier, Leder und Tee. Eine schlechte Idee, denn das bringt die Kolonisten in der Neuen Welt erst recht in Rage. Eine Boykottbewegung entsteht. Die Sons of Liberty, Söhne der Freiheit, weigern sich, Zölle zu zahlen. Es kommt zu Händeln mit Soldaten, die das Eintreiben der Zölle überwachen. Schüsse fallen. Das „Massaker von Boston“, wie es später genannt wird, kostet fünf Menschenleben.

Die Zölle erweisen sich als steuerpolitischer Flop. Der Absatz von Tee tendiert gegen null. Für die East India Company wird das zum Problem. Die Kisten stapeln sich in London, wo der Tee verrottet. Die Briten in den Kolonien trinken weiter Tee, aber die niederländische Schmuggelware von den Antillen. Um den Ruin der Ostindiengesellschaft abzuwenden, beschließt das Parlament im Mai 1773 den Tea Act: Der Endpreis für Tee wird gesenkt, die Steuer bleibt. Dafür darf die Ostindiengesellschaft ihren Tee zollfrei und ohne Zwischenhändler in den Kolonien verkaufen, was einer Einladung zum Handelsmonopol gleichkommt.

Mit dem Tea Act hat London die Lunte am Pulverfass gezündet. Der Aufruhr ist da, er bündelt die verschiedenen Interessen. Söhne der Freiheit, Schmuggler, Teeimporteure und lokale Handelsherren schließen sich zusammen, um die Landung und den Verkauf des billigen britischen Tees zu verhindern. Die Lotsen werden aufgefordert, die Schiffe nicht erst in die Häfen zu navigieren. Die Situation eskaliert. Am 28. November 1773 macht die mit Billigtee beladene „Dartmouth“ im Hafen von Boston fest. Die Söhne der Freiheit hindern die Hafenarbeiter, die Ladung zu löschen. Der Kapitän und Miteigentümer des Schiffes würde gern den unwirtlichen Hafen verlassen, aber Bostons Gouverneur beschlagnahmt das Schiff. Er stellt ein Ultimatum und droht mit dem Zwangsverkauf der Ladung, falls die Steuer nicht innerhalb von drei Wochen gezahlt wird. Der Druck wächst. Inzwischen sind zwei weitere Schiffe eingetroffen.


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mare No. 80

No. 80Juni / Juli 2010

Von Emanuel Eckardt

Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, ist auf seiner letzten Reportagereise nach Boston kaum noch Teetrinkern begegnet, findet aber – mit Blick auf die Gründung der Vereinigten Staaten – eindrucksvoll, was alles entstehen kann, wenn jemand zu heftig an der Steuerschraube dreht.

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Vita Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, ist auf seiner letzten Reportagereise nach Boston kaum noch Teetrinkern begegnet, findet aber – mit Blick auf die Gründung der Vereinigten Staaten – eindrucksvoll, was alles entstehen kann, wenn jemand zu heftig an der Steuerschraube dreht.
Person Von Emanuel Eckardt
Vita Emanuel Eckardt, Jahrgang 1942, ist auf seiner letzten Reportagereise nach Boston kaum noch Teetrinkern begegnet, findet aber – mit Blick auf die Gründung der Vereinigten Staaten – eindrucksvoll, was alles entstehen kann, wenn jemand zu heftig an der Steuerschraube dreht.
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