Tahitis Zuchtmeister

Robert Wan lebt die polynesische Version der Tellerwäschersaga: vom Erdnussknacker zum Perlenfarmer und Inselpatriarchen

Manchmal ist Monsieur Wan sehr müde. Unter ihm liegt der Boulevard Pomare, doch weder der Verkehrslärm Papeetes dringt zu ihm hoch noch der wilde Straßendunst, der mit dem beginnenden Regen die Süße von Tiare mit der von Urin mischt. Hinter seiner ausladenden Schreibtischpassage sieht er zur Fensterfront: vor ihm der Pazifik und das Wissen um das spezifische Gewicht von Macht. Kommt Monsieur Chirac zu einem Staatsbesuch nach Französisch-Polynesien, wird er Monsieur Wan aufsuchen. Und selbstverständlich ist der polynesische Regierungschef Gaston Flosse seit Jahren sein Freund.

Auch wenn Monsieur Wan sehr müde ist, vergisst er nicht. Nie wird er vergessen, dass er das siebente von 13 Kindern einer lumpenarmen chinesischen Einwandererfamilie ist. Er weiß, was es heißt, Erdnüsse im Akkord zu schälen und Böden zu schrubben. Doch eine Familie, die von der Hand in den Mund lebt, lernt zusammenzuhalten. Kaum erwachsen, macht er Versuche mit dem Im- und Export von Autos, experimentiert mit Hotelprojekten und anderem. 1974 lernt der 29-Jährige einen japanischen Perlengroßhändler kennen – den Enkel Kokichi Mikimotos, jenes Mannes, dem vor über 100 Jahren erstmals die Züchtung einer Perle gelang. Robert Wan kauft eine Perlenfarm und kreiert den Markennamen „Tahiti Perles“.

1977 hat er seine erste Ernte, die er Mikimoto verkauft. Alles, was er von nun an verdient, investiert er in Perlen. Er kauft weitere Farmen, ganze Atolle, er eröffnet Schmuckboutiquen in den teuersten Hotels von Tahiti, Moorea, Bora Bora. Robert Wan, das Emigrantenkind, lernt, was es bedeutet, sehr, sehr reich zu sein.

Jetzt ist er müde. Den ganzen Tag hat ihn ein deutsch-italienisches Fernsehteam begleitet. Er hat die Journalisten durch sein privates Anwesen „Le Village“ geführt. Der Markt für schwarze Perlen bricht täglich weiter ein, auch ihm kann Werbung nicht schaden. Das Team hat die Arte povera seines asiatisch-europäischen Ambientes gefilmt und auch seinen dreijährigen Sohn – staunend, dass er mit 67 Jahren noch einmal Vater geworden ist durch die schöne polynesische Gefährtin, die mit der Anmut einer schwimmenden Blüte durch die Räume glitt. Aber heiraten wird Monsieur Wan nicht mehr. Er ist von der chinesischen Mutter seiner drei erwachsenen Kinder geschieden. Das genügt für sein Leben.

Gleich wird er hinüber in sein „Village“ gehen, zurück in den Schoß der Großfamilie mit der dienstbaren Schleppe ihres Gefolges. Im „Village“ ist er der Dorfälteste, der Patriarch, der sie alle liebt und für alle sorgt.

Doch seine Macht gründet auf einer anderen Familie, auf der Produktivkraft eines unvorstellbar größeren, submarinen Clans. Monsieur Wan ist der Gottvater der Austern. Er herrscht über Millionen schwarzlippiger Pinctada margaritifera, die er züchtet, die er an Fäden hängt, später in schwimmende Kisten bettet, in Netzsäckchen gar, die er regelmäßig putzen lässt, die er immer subtiler kultiviert. Wenn es seinen Austern gut geht, werden sie gut für ihn arbeiten. Die Auster ist das einzige lebende Tier, das Schmuck herstellt. Im Normalfall freilich eher selten. In der Natur produziert nur etwa eine von 15000 Austern eine Perle. Monsieur Wan hat den Ausnahmefall zum nutzbaren Alltag gemacht. In seinen Farmen darf man mit einer Ausbeute von 700 Perlen auf 1000 Austern rechnen. 20 davon sind perfekt und kommen in die höhere Bijouterie. Colliers, in die sie eingehen, können 50000 Euro kosten. Oder, je nach Länge, auch das Doppelte. Robert Wans durchschnittliche Jahresernte liegt bei vier bis fünf Tonnen, das ist ungefähr die Hälfte der Gesamternte der schwarzen Perlen in Polynesien. Der Rest verteilt sich auf rund 500 Produzenten im Raum.

Monsieur Wan weiß, dass es keinen Sinn machte, die Produktion zu verdoppeln. Intelligenter ist es, die besten Perlen zu den besten Preisen zu verkaufen. Deshalb reist er zu den zwei größten Perlenumschlagplätzen der Welt, nach Hongkong und ins japanische Kobe. Denn er ist nicht nur Produzent, er ist auch Auktionator.

Weil er zudem selbst sein bester Manager ist, wird er am morgigen freien Samstag nicht mit seinem Sohn zum Strand gehen, sondern den Tag mit einer chinesischen Delegation verbringen. Im Perlengeschäft wird China Handelspartner Nummer eins werden. Und morgen kommen nicht irgendwelche Landsleute, sondern einflussreiche Perlenhändler, Vertreter der einschlägigen Schmuckher- steller, Journalisten, Abgesandte der Regierung aus Schanghai, Hongkong, Peking und von Hainan. Mithilfe einer Übersetzerin wird man Hakka, Englisch und Mandarin miteinander sprechen.


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mare No. 42

No. 42Februar / März 2004

Von Angelika Overath und Joachim Ladefoged

Angelika Overath schrieb zur Zeit, als Robert Wan sein erstes Atoll kaufte, ein Buch über die Farbe Blau in der modernen Lyrik – und war dennoch völlig überrascht von dem tiefen Meeresblau beim Anflug auf Nengo Nengo in Wans Maschine. Nebenbei: Den Perlmuttschmuck auf dem Markt von Papeete zieht sie den schwarzen Perlen vor.

Joachim Ladefoged, geboren 1970, ist dänischer Fotograf. Er arbeitet seit 1991 als professioneller Fotograph und wird durch die internationale Fotoagentur VII vertreten. Heute arbeitet er hauptsächlich für Magazine und Zeitschriften wie The New York Times Magazine, The New Yorker, National Geographic, mare, Newsweek und TIME. Er hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, wie den Visa D'Or, den World Press Photo Award, POYi und andere. Er wurde vom Photo District News Magazine als einer der 30 Newcomer Fotografen gewählt und hat an der Joop Swart Master Class des World Press Photo Awards teilgenommen

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Vita Angelika Overath schrieb zur Zeit, als Robert Wan sein erstes Atoll kaufte, ein Buch über die Farbe Blau in der modernen Lyrik – und war dennoch völlig überrascht von dem tiefen Meeresblau beim Anflug auf Nengo Nengo in Wans Maschine. Nebenbei: Den Perlmuttschmuck auf dem Markt von Papeete zieht sie den schwarzen Perlen vor.

Joachim Ladefoged, geboren 1970, ist dänischer Fotograf. Er arbeitet seit 1991 als professioneller Fotograph und wird durch die internationale Fotoagentur VII vertreten. Heute arbeitet er hauptsächlich für Magazine und Zeitschriften wie The New York Times Magazine, The New Yorker, National Geographic, mare, Newsweek und TIME. Er hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, wie den Visa D'Or, den World Press Photo Award, POYi und andere. Er wurde vom Photo District News Magazine als einer der 30 Newcomer Fotografen gewählt und hat an der Joop Swart Master Class des World Press Photo Awards teilgenommen
Person Von Angelika Overath und Joachim Ladefoged
Vita Angelika Overath schrieb zur Zeit, als Robert Wan sein erstes Atoll kaufte, ein Buch über die Farbe Blau in der modernen Lyrik – und war dennoch völlig überrascht von dem tiefen Meeresblau beim Anflug auf Nengo Nengo in Wans Maschine. Nebenbei: Den Perlmuttschmuck auf dem Markt von Papeete zieht sie den schwarzen Perlen vor.

Joachim Ladefoged, geboren 1970, ist dänischer Fotograf. Er arbeitet seit 1991 als professioneller Fotograph und wird durch die internationale Fotoagentur VII vertreten. Heute arbeitet er hauptsächlich für Magazine und Zeitschriften wie The New York Times Magazine, The New Yorker, National Geographic, mare, Newsweek und TIME. Er hat zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, wie den Visa D'Or, den World Press Photo Award, POYi und andere. Er wurde vom Photo District News Magazine als einer der 30 Newcomer Fotografen gewählt und hat an der Joop Swart Master Class des World Press Photo Awards teilgenommen
Person Von Angelika Overath und Joachim Ladefoged