Süßwasser Marsch!

Es ist ein Naturphänomen, das bisher von der Forschung kaum beachtet wurde – Süßwasserquellen im Meer. Nun gibt es erste Ideen, sie kommerziell für die Trinkwassergewinnung zu nutzen

Wenn die Bewohner von Kanigoro Durst haben, gehen sie ins Meer. Sie nehmen Eimer und Teekessel mit, setzen sich auf die Felsen am Strand und warten bis zur Ebbe. Wenn der Meeresboden langsam trockenfällt, machen sie sich auf die Suche nach den kleinen Quellen im Schlick. Je weiter sich das Meer zurückzieht, desto mehr Wasser quillt aus dem Boden hervor; erst sachte, dann stärker, bis es zu Bächlein anschwillt, in denen die Dorfbewohner ihre Eimer und Kessel füllen – mit Süßwasser.

So wie in Kanigoro auf der indonesischen Insel Java machen es viele Menschen an den Küsten der Welt. Auch auf Fidschi oder in Mosambik holt man Süßwasser aus dem Meer, um es zu trinken, um Gärten zu bewässern oder Wäsche zu waschen. Und im Wüstenstaat Bahrain gab es noch vor einem halben Jahrhundert Taucher, die zu Quellen hinabschwammen, um dort Lederbeutel mit Trinkwasser zu füllen. Das war ein gutes Geschäft, bevor man in Bahrain Brunnen bohrte und Wasserleitungen verlegte.

„Süßwasserquellen im Meer, das klingt für viele Menschen total exotisch“, sagt Nils Moosdorf vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen. Dabei gebe es für die Quellen eine ganz profane Erklärung. Der Regen versickert und sammelt sich im Boden in Grundwasserspeichern, in den Aquiferen. Diese liegen über dichten Gesteinsschichten, die das Wasser nicht mehr durchdringt. An vielen Küsten fließt das Grundwasser in den Aquiferen Richtung Ozean – und an manchen tief gelegenen Stellen unter Wasser ins Meer.

Wenn der Untergrund porös oder zerklüftet ist, wie auf den Vulkaninseln von Hawaii oder in den karstigen Felsen Kroatiens, dann rauscht das Wasser mancherorts wie ein reißender Gebirgsbach durch den Untergrund. In Kroatien, in der Vruljabucht, schießt ein solcher Strom in 30 Meter Tiefe ins Meer. Wer dort taucht, muss vorsichtig sein, damit er nicht wie in einem Lift emporgerissen wird. Sogar an der Wasseroberfläche macht sich der tosende Süßwasserstrom aus der Tiefe bemerkbar. Das Wasser wallt dort wie in einem riesigen Kochtopf. Die Vruljabucht hat den Süßwasserquellen ihren Namen gegeben – Vruljen.

Schon Alexander von Humboldt berichtete von ähnlichen Phänomenen in der Karibik. Konnten die Segelschiffe den Hafen von Jagua auf Kuba nicht anlaufen, schöpften die Matrosen vom Schiff aus Süßwasser aus den wallenden Quellen in der Nähe der Hafeneinfahrt. Die „Quellen“ seien stark und hätten die Kraft, Kanus umzuwerfen, schrieb Humboldt.

Heute sprechen Forscher meist von Submarine Groundwater Discharge, dem SGD, dem untermeerischen Grundwasserabfluss. Gemessen an der Menge Süßwasser, die Flüsse ins Meer spülen, ist der Beitrag des SGD klein. Er liegt bei etwa einem Prozent. „An vielen Küsten aber sind sie wirklich wichtig“, sagt Moosdorf, „als Trinkwasserquelle oder für das Leben im Meer, weil das Süßwasser oft reich an Nährstoffen und Mineralien ist.“

SGD sei lange ein Nischenthema für eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern gewesen, die sich mit dem Wasserhaushalt von Karstküsten oder mit Spurenelementen im Grundwasser befassten. „Was das Süßwasser im Meer macht, interessierte kaum jemanden.“ In den vergangenen Jahren aber ist Schwung in die Sache gekommen. Dazu haben auch Moosdorf und seine Kollegen beigetragen. Sie waren die ersten, die für einen Fachartikel Fakten über Vruljen auf der ganzen Welt zusammengetragen haben.

Inzwischen gibt es Ideen, die Quellen kommerziell für die Trinkwassergewinnung zu nutzen. So fing die französische Firma Marine Tech vor einigen Jahren in einem Pilotprojekt an der Côte d’Azur Süßwasser ein. Die Ingenieure setzten einen Stahltrichter von der Größe eines Traktorreifens über die Quelle am Meeresboden und leiteten das Wasser über ein Rohr nach oben. Das Wasser sprudelte, doch bislang hat Marine Tech noch keine einzige Anlage verkauft.

Die Ingenieure der niederländischen Seebaggerfirma Boskalis gehen noch weiter. Sie entwickelten ein Konzept, wonach neue Küstenstädte an Süßwasserquellen im Meer errichtet werden könnten. Diese sea-spring cities sollen auf einem Halbkreis aus aufgespültem Sand entstehen, der die Quelle umschließt. Damit würde ein großer See entstehen, aus dem sich die Stadt versorgen ließe. Konkrete Pläne gibt es allerdings auch hier nicht.


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mare No. 129

August / September 2018

Von Tim Schröder

Tim Schröder, geboren 1970, Wissenschaftsjournalist in Oldenburg, war schon öfter zum Schnorcheln in Kroatien. Das Ziel für den nächsten Besuch steht jetzt fest: die Süßwasserquelle in der Vruljabucht.

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Vita Tim Schröder, geboren 1970, Wissenschaftsjournalist in Oldenburg, war schon öfter zum Schnorcheln in Kroatien. Das Ziel für den nächsten Besuch steht jetzt fest: die Süßwasserquelle in der Vruljabucht.
Person Von Tim Schröder
Vita Tim Schröder, geboren 1970, Wissenschaftsjournalist in Oldenburg, war schon öfter zum Schnorcheln in Kroatien. Das Ziel für den nächsten Besuch steht jetzt fest: die Süßwasserquelle in der Vruljabucht.
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