Sturm und Zwang

Egal, wie sehr die Stürme wüten: Seelotsen müssen die Handelsschiffe pünktlich in die Häfen leiten. Nur noch per Hubschrauber kommen sie zu den Riesen – ein Höllenjob für alle Beteiligten

Josef Böchl sitzt im ersten Stock eines einsam gelegenen Gebäudes südlich von Wilhelmshaven, er sitzt in einem nüchtern eingerichteten Büroraum, blickt auf seinen Computer und beißt in eine Salamistulle. Es ist kurz nach Mitternacht des zweiten Weihnachtstags, draußen pfeift ein nasser Wind durch die Nacht über dem Jade-Weser-Airport.

Auf dem kleinen Flughafen ist sonst kein Mensch zu sehen. Blöchl ist allein, bis zum nächsten Morgen um neun hat er Dienst. Keine Weihnachtsgans, keine Kerzen. Nicht einmal aus dem Radio kommt festliche Musik. Neonlicht scheint von der Decke, neben dem Computer stehen zwei Küchenrollen, ein Funkgerät, eine Dose Süßstoff. Im Nebenzimmer wartet ein einfaches Bett, wo er sich kurz ausruhen kann.

Auf Blöchls Bildschirm leuchtet die schematische Darstellung der Nordsee. Kurse, Positionen, Schiffsnamen. Die Signaturen der Verkehrstrennungsgebiete der Deutschen Bucht. Beiläufig schielt er auf eine Liste der Einsätze der letzten Nacht. 19-mal sind seine Kollegen gestern mit den Helikoptern aufs Meer hinausgeflogen, um Seelotsen auf im Sturm schwankenden Schiffen abzusetzen oder um sie von Frachtern abzuholen, die in vier Meter hohen Wellen torkelten. In Bedingungen, die das Versetzen der Lotsen von Schiff zu Schiff unmöglich machen.

„Schöner Heiligabend“, sagt Blöchl. „War einiges los gestern. Jetzt haben wir ein Wetterfenster, aber morgen geht es wieder rund.“

Blöchl blickt auf den Schirm, prüft die aktuellen Wetterdaten. Das letzte Sturmtief liegt über Nordschweden, schwächt sich ab. Südlich von Island jedoch steht schon das nächste, Ostnordost ziehend. Der Seewetterbericht vermeldet für die Deutsche Bucht westliche Winde, zunehmend acht bis neun, See bis sieben Meter. Für die Seegebiete Utsira und Viking sind Orkanböen vorhergesagt, bis zu elf Meter hohe Wellen.

Blöchl, einen Becher Kaffee in der Hand, weiß, was draußen los ist. Jahrelang war er Hubschrauberpilot bei der Bundeswehr, flog danach für Wiking Helikopter Service fast 30 Jahre über der Nordsee. Heute ist er Dispatcher in der Flugleitung der Firma.

Seit über 40 Jahren fliegt Wiking Einsätze über dem Meer, betreibt heute eine Flotte von acht Helikoptern, beschäftigt 29 Piloten und fast 100 Angestellte. 365 Tage im Jahr sind sie im Einsatz oder in Bereitschaft, 24 Stunden am Tag. Die Piloten fliegen Techniker und Ingenieure zu den Offshoreparks in der Nordsee und stehen für Rettungsflüge parat. Am häufigsten jedoch fliegen sie, um Seelotsen zu versetzen.

Größere Tanker und Massengutschiffe, Riesenfrachter und Schiffe mit Gefahrgut müssen schon weit vor der Küste von einem Lotsen besetzt werden. Zu Schiffen, die näher unter der Küste laufen, fahren die Lotsen zwar meist mit Booten, um sich an Bord bringen oder abholen zu lassen. Doch oft ist auch das nicht mehr möglich. Vor allem bei Starkwind steigt die Zahl der Lufteinsätze, denn spätestens ab zweieinhalb Meter Welle sagen die Lotsen: Jetzt ist Schluss, wir brauchen den Heli. Ihr Stationsschiff zieht sich auf eine geschützte Position in der Wesermündung zurück. Die Tanker und Frachter in der Deutschen Bucht dann noch mit den kleinen Lotsenbooten zu erreichen würde zu einer haltlosen Schaukelpartie geraten. Ab sechs, sieben Windstärken wird das Meer zu rau, das Klettern über die Lotsenleiter zu riskant. Das Versetzen mit Helikoptern ist dann schneller, sicherer und am Ende sogar günstiger.

Der Hauptgrund für die Flüge über See aber ist noch ein anderer: Die Schifffahrt kennt kein Innehalten. Tag und Nacht steuern Frachter und Tanker die Häfen der deutschen Nordseeküste an, verlassen die Terminals in Bremerhaven, Wilhelmshaven, fahren über die Weser, laufen die Elbe stromaufwärts, stromabwärts. In atemlosem Takt versorgen die Schiffe das Land. Allein in Hamburg werden jedes Jahr um die 140 Millionen Tonnen an Seegütern geladen und gelöscht. An den deutschen Küsten insgesamt sind es mehr als 300 Millionen Tonnen. Erz, Öl, Gas, Kohle. Und kaum ein Lockenwickler, kaum ein Turnschuh oder Computer, der heute nicht mehr über See kommt.

Pausen? Die Wirtschaft hasst Pausen. Immer muss es weitergehen, müssen die Kapillaren des Konsums bedient werden. Zu Ostern, zu Weihnachten. Und sogar noch im Orkan.

Prompt geht bei Blöchl der nächste Auftrag ein. Der Öltanker „Troviken“ fordert für 3.15 Uhr in der Nacht einen Seelotsen an. Das 249 Meter lange Schiff liegt auf der Tiefwasserreede der Jade, 25 Seemeilen vor der Küste, und will nach Wilhelmshaven. Ohne kundigen Lotsen an Bord darf sich der Tanker nicht weiter der Küste nähern, das Revier mit seinen vielen Sandbänken und Untiefen ist tückisch, die Ladung potenziell riskant. Auf Blöchls Schirm flackern vier Buchstaben auf: SPLT. Sea Pilot Transfer.

Dies ist ein Auszug aus dem Text. Den ganzen Beitrag lesen Sie in mare No. 130. Abonnentinnen und Abonnenten lesen ihn auch hier im mare Archiv.

mare No. 130

Oktober / November 2018

Von Marc Bielefeld und Frank Dietz

Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, Autor in Hamburg und passionierter Segler, war froh, im Helikopter zu sitzen, während sich unten auf der Nordsee bei Windstärke elf sieben Meter hohe Wellen auftürmten. „Mit dem Segelboot willst du da nicht hineingeraten. Oben im Heli aber hätte man Zeitung lesen können.“

Frank Dietz, geboren 1977, Fotograf in Hamburg, genoss bei der Recherche besonders die Momente, wenn sich beim Start die Nase des Helikopters zur Startbahn senkte und die Piloten dann beschleunigten.

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Vita Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, Autor in Hamburg und passionierter Segler, war froh, im Helikopter zu sitzen, während sich unten auf der Nordsee bei Windstärke elf sieben Meter hohe Wellen auftürmten. „Mit dem Segelboot willst du da nicht hineingeraten. Oben im Heli aber hätte man Zeitung lesen können.“

Frank Dietz, geboren 1977, Fotograf in Hamburg, genoss bei der Recherche besonders die Momente, wenn sich beim Start die Nase des Helikopters zur Startbahn senkte und die Piloten dann beschleunigten.
Person Von Marc Bielefeld und Frank Dietz
Vita Marc Bielefeld, Jahrgang 1966, Autor in Hamburg und passionierter Segler, war froh, im Helikopter zu sitzen, während sich unten auf der Nordsee bei Windstärke elf sieben Meter hohe Wellen auftürmten. „Mit dem Segelboot willst du da nicht hineingeraten. Oben im Heli aber hätte man Zeitung lesen können.“

Frank Dietz, geboren 1977, Fotograf in Hamburg, genoss bei der Recherche besonders die Momente, wenn sich beim Start die Nase des Helikopters zur Startbahn senkte und die Piloten dann beschleunigten.
Person Von Marc Bielefeld und Frank Dietz