Stufen zu Gott

Hoch oben auf Skellig Michael, einer einsamen, sturmumtosten Klippe vor der Westküste Irlands, befand sich im Mittelalter ein bedeutendes Einsiedlerkloster. Der Weg dorthin ist heute so beschwerlich wie ehedem

An guten Tagen kann man die beiden Felsinseln vom Festland aus sehen. Wie die Gipfel eines versunkenen Berges stechen die Skelligs dann aus der See heraus. Links die Vogelinsel mit ihren Zehntausenden Tölpeln und einer Decke aus Guano, rechts die beiden Spitzen der Klosterinsel. Kaum vorstellbar, dass dort einst Menschen gelebt haben sollen. Viel zu steil, viel zu unwirtlich sieht der Felsen aus. Und doch haben es Mönche mindestens 550 Jahre lang auf Skellig Michael ausgehalten und eines der beeindruckendsten Baudenkmäler des frühen Mittelalters hinterlassen.

„Den fantastischsten und unglaublichsten Felsen der Welt“ hat der Dramatiker George Bernard Shaw Skellig Michael in einem Brief genannt, „einen völlig unglaublichen, unmöglichen, verrückten Ort“. Shaw verglich nach seiner Visite im September 1910 die Inseln begeistert mit einer Kathedrale. „Beide Skelligs sind spitz, verschnörkelt, betürmt, gewölbt, ausgehöhlt, voller Minarette, und diese gotischen Extravaganzen sind nicht die Sehenswürdigkeiten dieser Inseln, sie sind die Inseln selbst.“

Viel Schutz bietet das schwankende Fischerboot nicht, das Grellan Rourke von dem kleinen Hafen Portmagee zu den Skelligs hinüberbringt. Nur der Kapitän hat eine winzige Kabine, in der sein Steuer, das Funkgerät und die Navigationsinstrumente stehen. Sein dick eingepackter Passagier sitzt im Regen und hat den Kopf in den Armen vergraben. Er will nichts sehen und nichts hören. Der Archäologe mit dem grauen Vollbart ist der verantwortliche Denkmalschützer des Office of Public Works (OPW) in Dublin. Seit 35 Jahren kommt er jeden Sommer auf die Insel, seit 35 Jahren wird er praktisch bei jeder Überfahrt seekrank. Kein tolldreister „Indiana Jones“ ist dieser Altertumsforscher, eher ein humorvoller Feingeist mit einem schwachen Magen.

Die See hier im Südwesten Irlands ist berüchtigt. Riesige Brecher krachen gegen die Steilküste, unberechenbare Wellen fegen immer wieder allzu waghalsige Angler von den Klippen. Nicht selten werden sie von den Wogen zermalmt und in Stücke gerissen. „Ich bin seit vielen Jahren in der Seenotrettung“, sagt Owen Welsh, der Kapitän des Bootes, „und ich habe üble Sachen gesehen. Da war zum Beispiel dieser spanische Matrose, dem der Kopf fehlte …“ Den Rest seiner Ausführungen verschluckt der Wind und der Lärm des Schiffsdiesels.

45 Minuten dauert die Überfahrt. Wolken und Nebel haben alle Konturen ausgelöscht. Nichts deutet auf die Existenz einer Insel hin. Sichtbar wird sie erst wenige Minuten vor der Ankunft. Aus den Schleiern taucht der Felsen auf, urplötzlich wie eine Geistererscheinung. Die Luft ist erfüllt vom Geschrei der Möwen und Tölpel. Tausende Papageitaucher schwirren umher.

„Dieser Ort gehört nicht in irgendeine Welt, in der ich oder du je gelebt oder gearbeitet hätten“, schreibt Shaw an einen Freund. Recht hat er. Skellig Michael ist tatsächlich „incredible, impossible, mad“. So steil ragen die Wände empor, dass die Landung fast unmöglich scheint. Wäre da nicht eine zementierte Kaimauer, an der das Boot unruhig auf- und absteigt. Kein Wunder, dass die Touristenboote nur von Juni bis Oktober verkehren, und auch dann muss die zwölf Kilometer lange Passage oft abgesagt werden. Wenn das Wetter mitspielt, kann jeden Tag eine kleine Zahl lizenzierter Boote landen. Der Besuch ist streng reglementiert, denn die Skelligs gehören seit 1996 zum Weltkulturerbe der Unesco, ebenso wie die beiden Leuchttürme, erbaut um 1820.

Von der Landestelle in der Blind Man’s Cove windet sich der Weg in Serpentinen bis zum oberen Leuchtturm einen Kilometer lang um die halbe Insel. Der Turm ist längst verfallen. Es gibt hier nur noch Hasen, die von den Leuchtturmwärtern eingeschleppt wurden, und Vögel, Tausende Vögel. Ihre Schreie begleiten einen auf Schritt und Tritt. Seit 1987 ist auch der untere Leuchtturm unbemannt, nachdem das Signal automatisiert wurde. Bewohnt ist Skellig Michael nur noch im Sommer. Außer den Archäologen leben je nach Bedarf einige Arbeiter und Guides in engen Containern mit Meerblick. Neben den Doppelstockbetten hat nur das Allernötigste Platz – ein Tisch, zwei Klappstühle und eine Schrankzeile mit Gaskocher und Kühlschrank. Und so pflegen die Hüter der Klosterinsel selbst einen beinahe klösterlichen Lebensstil. „Inventarlisten gehörten damals wie heute zum Alltag auf dem Felsen“, sagt Rourke, „du musst vorausschauend sein, aber auch flexibel. Man weiß nie, wann das nächste Boot kommt.“


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mare No. 104

No. 104Juni / Juli 2014

Von Gero Günther und Michael Herrmann

Auf der heiligen Insel zu nächtigen ist eigentlich unmöglich. Erst als das irische Denkmalamt sich von den guten Absichten unseres Autors Gero Günther, Jahrgang 1966, überzeugt hatte, durfte er im Leuchtturm übernachten. Günther war so begeistert, dass er mit Sicherheitsmann Colin McGorlick sogar eine Runde im eiskalten Atlantik schwamm.

Fotograf Michael Herrmann, Jahrgang 1956, lebt seit 2007 in Irland und kennt die Inseln bestens, er ist jährlich gut zehnmal da. Er arbeitet an einem Bildband über die Skelligs, wo er auch eintägige Fotoworkshops anbietet. Sein bizarrstes Erlebnis: ein amerikanischer Tourist, der nach McDonald’s fragte.

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Vita Auf der heiligen Insel zu nächtigen ist eigentlich unmöglich. Erst als das irische Denkmalamt sich von den guten Absichten unseres Autors Gero Günther, Jahrgang 1966, überzeugt hatte, durfte er im Leuchtturm übernachten. Günther war so begeistert, dass er mit Sicherheitsmann Colin McGorlick sogar eine Runde im eiskalten Atlantik schwamm.

Fotograf Michael Herrmann, Jahrgang 1956, lebt seit 2007 in Irland und kennt die Inseln bestens, er ist jährlich gut zehnmal da. Er arbeitet an einem Bildband über die Skelligs, wo er auch eintägige Fotoworkshops anbietet. Sein bizarrstes Erlebnis: ein amerikanischer Tourist, der nach McDonald’s fragte.
Person Von Gero Günther und Michael Herrmann
Vita Auf der heiligen Insel zu nächtigen ist eigentlich unmöglich. Erst als das irische Denkmalamt sich von den guten Absichten unseres Autors Gero Günther, Jahrgang 1966, überzeugt hatte, durfte er im Leuchtturm übernachten. Günther war so begeistert, dass er mit Sicherheitsmann Colin McGorlick sogar eine Runde im eiskalten Atlantik schwamm.

Fotograf Michael Herrmann, Jahrgang 1956, lebt seit 2007 in Irland und kennt die Inseln bestens, er ist jährlich gut zehnmal da. Er arbeitet an einem Bildband über die Skelligs, wo er auch eintägige Fotoworkshops anbietet. Sein bizarrstes Erlebnis: ein amerikanischer Tourist, der nach McDonald’s fragte.
Person Von Gero Günther und Michael Herrmann