Streit um die Panade

Doch, Kinder essen Fisch. Aber nur als Stäbchen

Fische sind eklig. „Im Meer - okay. Aber nicht auf meinem Teller", stöhnt Philipp. Das finden alle in der Runde. Fisch stinkt, hat Gräten, glitschige Haut und schmeckt einfach nicht. Dass die fünf Freunde trotzdem kräftig zulangen, liegt an einem raffinierten Zaubertrick: Der Fisch hat sich verwandelt; er ist durch eine krosse Krümelkruste unsichtbar geworden - und zum Fischstäbchen mutiert. Im Nu haben sie die Dinger verputzt.

Philipp (12) und Jan (11) lieben die Panade. Der Rest ist total egal. Sebastian (11) geht es ähnlich, auch wenn er argwöhnt, „dass da Chemie gegen den Fischgeschmack drin ist." Felix (11) gefällt, dass sie so schön nicht nach Fisch schmecken, geometrisch und schnell fertig sind. Felix und Sebastian, die schon richtigen Fisch mit Haut und echten Gräten getestet und für akzeptabel befunden haben, ziehen die knusprigen Stangen auf alle Fälle vor.

Timmi mag keinen Fisch. Bei ihm landen nur Stäbchen im Magen, und die in Hochgeschwindigkeit. „Fischstäbchen, das ist so schön wie 100-mal Freizeitpark", schwärmt der Sechsjährige. Eine echte Lieblingsspeise, kommt gleich nach Spaghetti und Pizza.

„Fischstäbchen sehen aus wie verlängerte und verbreiterte Pommes frites, und sie sind so schön orange", stimmt Timmi seine Laudatio an. Wenn er richtig hungrig ist, schafft er sieben Stück. Der Knüller aber ist, dass sie „so schön nach knusprigem Braten riechen".

„Mir tun die Fische Leid", platzt es aus der elfjährigen Toni heraus, weshalb sie nicht will, dass sie in der Pfanne landen. Selbst bei Fischstäbchen kam die Liebe erst auf den zweiten Blick. Überzeugt hat auch sie letztlich die krosse Kruste. Wählerisch ist sie geblieben: Für sie kommt nur eine der vielen Marken in Betracht.

Die großen Rätsel dieser Welt können mehr oder weniger als gelöst gelten, etwa, warum Kühe lila und Löcher im Käse sind. Warum aber sind Fische rechteckig?

Erstaunlich ist, dass Kinder Meerestiere noch so sehr zur Hölle wünschen - bei den frittierten Fischstreifen sieht die Welt plötzlich wie vergoldet aus. Volker Pudel, Professor für Ernährungspsychologie an der Uni Göttingen, hat hierfür eine Erklärung: „Fischstäbchen sehen nicht aus wie Fisch, riechen und schmecken nicht fischig. Sie haben eine eigene Identität. Das liegt wesentlich an der Panade, die fast die Hälfte des Fischstäbchens ausmacht." Die Hülle verscheucht jeden hässlichen Gedanken an Fisch und den Bezug zur Wirklichkeit. Und: Die Stäbchen sind außen knusprig, innen weich. Darauf fahren die Kids von heute ab. „Mouthfeel" nennt Pudel das, ein US-amerikanischer Begriff für das typische, oft von Food-Designern gesteuerte kindliche Ess-Erlebnis.

Könnten Kinder kochen, gäb's im Wechsel mit Pizza und Spaghetti alle paar Tage Fischstäbchen. Berufstätigen Müttern ist das recht, die Goldfinger sind schnell zubereitet. Noch ein stechendes Argument: Niemand muss fürchten, dass der kleine Liebling an einer Gräte erstickt.

Viele halten den Fischimbiss auch für einen brauchbaren Einstieg in den Fischkonsum und damit zur gesünderen Ernährung. Doch es gibt auch vernichtende Urteile: unästhetisch, geschmacksneutral, in puncto Ernährung indiskutabel, zu viel Panade, zu fett, Verlust von Esskultur. Dabei brauchen sich ernährungsbewusste Mütter bei den rechteckigen Krustentieren keine grauen Haare wachsen zu lassen. Der Fisch liefert hochwertiges Eiweiß, lebenswichtige Fettsäuren, Vitamine und Mineralstoffe. „Seefisch ist einer der besten Jodlieferanten," erklärt Monika Erdmann von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in Frankfurt. Sie rät zu mindestens einem Fischtag pro Woche.

„Fischstäbchen haben zwar durch die Panade ein Vielfaches an Fett", rügt die Ökotrophologin. Frittierte Stäbchen bringen 200 Kilokalorien und zehn Gramm Fett pro 100 Gramm, bei frischem Seelachs sind es nur 80 Kilokalorien und ein Gramm Fett. Und aus ernährungsphysiologischer Sicht könnten sie vom Speiseplan verschwinden. „Bevor es aber gar keinen Fisch gibt, lieber doch Fischstäbchen", resümiert Erdmann.

An der goldbraunen Knusperpanade scheiden sich manche Geister. „Wenn im Fischstäbchen 65 Prozent Fisch enthalten sind, heißt das, die Panade macht 35 Prozent aus. Das ist fast ein Kuchen, nur statt mit Erdbeeren mit Seelachs", meint Udo Pollmer, Lebensmittelchemiker aus Heilbronn. Er hält die Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes für watteweich. Der Fischanteil ist im Deutschen Lebensmittelbuch, einem Anhang zum Gesetz, auf zwei Drittel festgelegt, aber er ist nicht zwingend vorgeschrieben. Und wer blättert schon die Panade vom Fisch und legt sie auf die Waage? Der Gesetzgeber hat nicht einmal etwas einzuwenden, wenn der Fischbrei nur 25 Prozent beträgt.


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mare No. 26

No. 26Juni / Juli 2001

Von Beate Schümann und Olga

Beate Schümann, wuchs als 1955 geborene Hamburgerin in der Frühzeit der Fischstäbchen auf. Heute lebt sie als freie Journalistin und Reisebuch-Autorin in Schwerin. In mare No. 5 beschrieb sie den „Leuchtturm am Ende der Welt" in Portugal

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Vita Beate Schümann, wuchs als 1955 geborene Hamburgerin in der Frühzeit der Fischstäbchen auf. Heute lebt sie als freie Journalistin und Reisebuch-Autorin in Schwerin. In mare No. 5 beschrieb sie den „Leuchtturm am Ende der Welt" in Portugal
Person Von Beate Schümann und Olga
Vita Beate Schümann, wuchs als 1955 geborene Hamburgerin in der Frühzeit der Fischstäbchen auf. Heute lebt sie als freie Journalistin und Reisebuch-Autorin in Schwerin. In mare No. 5 beschrieb sie den „Leuchtturm am Ende der Welt" in Portugal
Person Von Beate Schümann und Olga