Streik!

Hafenarbeiter in Genua erheben sich zum leidenschaftlichen Kampf gegen den internationalen Waffenhandel

20. Mai 2019. Das Telefon klingelt mitten in der Nacht. Drei Uhr. Es geht los. Aus dem Küchenfenster sieht Riccardo Rudino über die Lichter von Genua, den funkelnden Hafen, den Lichtschweif des Leuchtturms, der gleichmütig durch die Dunkelheit kreist. Seit bald 500 Jahren steht die Lanterna auf dem Felshügel vor dem Hafen. Irgendwo da draußen auf dem Meer zieht ein großes blaues Schiff Richtung Genua. Es kommt aus den USA und ist auf dem Weg zurück nach Saudi-Arabien. An Bord Waffen, Munition, Panzer, von denen niemand etwas wissen will. 

Riccardo Rudino, Spitzname il Vecchio, „der Alte“. Er ist 57 Jahre alt, mit 17 begann er im Hafen von Genua zu arbeiten, wie vor ihm sein Onkel und inzwischen sein Sohn. Von Herzen Hafenarbeiter, Gewerkschafter, Antifaschist. Ja, Antifaschist. „Genua war immer rebellisch“, erinnert Rudino, immerhin die einzige Stadt in Europa, die 1945 nicht von den Alliierten befreit werden musste, sie hatte sich bereits selbst befreit. „Noch heute erinnern Straßen und Plätze an die Partisanen, an ihren Kampf gegen den Faschismus, und das war immer auch der Kampf der Hafenarbeiter.“ Il Vecchio hat zwar einen grauen Vollbart, aber unter seiner Schirmmütze blinken wache, angriffslustige Augen. 

Alle drei Wochen macht die „Bahri Yanbu“, oder eines ihrer fünf Schwesterschiffe der saudi-arabischen Reederei Bahri, in Genua fest. Aber dieses Mal sind sich Riccardo und die anderen Hafenarbeiter vom kleinen Collettivo Autonomo Lavoratori Por­tuali (CALP) sicher, dass das Schiff voll beladen ist mit Waffen. Sie haben Informationen von Kollegen aus Le Havre, die mit ihrem Streik im Hafen sogar verhinderten, dass die „Yanbu“ weiteres Kriegsgerät aus französischer Produktion laden konnte. Nach einem Stopp in Spanien ist Genua der nächste Hafen. Dabei brauchte man nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was im Schiffsbauch schlummert. Die „Yanbu“ pendelt im Linienverkehr zwischen den USA und Saudi-Arabien hin und her. Vom größten Waffenexporteur zum größten Waffenimporteur der Welt. Und dazwischen liegt regelmäßig der Hafen von Genua. 

Jeder kennt die Fernsehbilder aus dem Krieg im Jemen. Seit 2015 führt Saudi-Arabien eine Militärallianz gegen Huthi-Rebellen an, die wiederum vom Iran unterstützt werden – ein Stellvertreterkrieg, in dem zwischen den Fronten die Zivilbevölkerung massakriert wird. Aber dann finden Menschenrechtler in den Trümmern eines Wohnhauses die Plakette mit der Fabrika­tionsnummer einer Bombe, und die Hafenarbeiter aus Genua wissen genau, woher die Bombe stammt: aus der Fabrik einer Tochterfirma der deutschen Rheinmetall auf Sardinien. Ein Schiff der Bahri hatte sie nach Saudi-Arabien gebracht, direkt in den Krieg. Und zuvor hatte es in Genua an der Ponte Etiopia gelegen.

„Wir konnten nicht mehr so tun, als wüssten wir nicht, was auf den Schiffen transportiert wird“, sagt Riccardo. „Wir“ meint das CALP, das Kollektiv von gut 20 befreundeten Hafenarbeitern, die seit zehn Jahren gemeinsam ihre Interessen vertreten, als Kollektiv autonomer Arbeiter, irgendwo zwischen Sozialismus und Anarchie, ziemlich weit links verortet. In bester Hafenarbeiter­tradition. Und nach dem Alarm aus Le Havre konnten sie auch nicht mehr so tun, als wüssten sie nicht, was einige von ihnen an diesem Morgen im Mai auf die „Yanbu“ verladen sollen.

Ein großes, eckiges Gerät, eingeschweißt in Plastik – ein Stromgenerator. Könnte harmlos sein, allerdings ist der Absender die Rüstungsfirma Teknel aus Rom. Weapon Watch, ein Verein, der in Genua sitzt und den Waffenhandel in europäischen und mediterranen Häfen beobachtet, prüft die Seriennummer und findet heraus, dass dieser Stromgenerator kein Krankenhaus mit Strom versorgen, sondern Drohnen lenken soll. Mehr noch: Empfänger ist die saudische Nationalgarde – eine Elitetruppe der saudi-arabischen Armee, die im Jemen im Einsatz ist. 

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mare No. 151

mare No. 151April / Mai 2022

Von Kirsten Wulf und Camillo Pasquarelli

Kirsten Wulf, Jahrgang 1963, lebt als freie Autorin und Schriftstellerin in Genua. ­Die Recherche bei Bibi und den Hafenarbeitern wärmte das Herz der gebürtigen Hamburgerin. Wer mit dem Anblick von Schiffen aufgewachsen ist, die von den Weltmeeren kommen und wieder hinausfahren, fühlt sich in jedem Hafen zu Hause. 


Camillo Pasquarelli, Jahrgang 1988, ist freiberuflicher Fotograf und lebt in Rom und Genua. Erst nach Abschluss seines Studiums der Politikwissenschaft und ­Anthropologie entschied er, sich ganz der Fotografie zu widmen. Heute interessiert er sich vor allem für Langzeitprojekte und beschäftigt sich auch mit Dokumentar­fotografie, die er mit anthropologischen Ansätzen kombiniert

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Vita Kirsten Wulf, Jahrgang 1963, lebt als freie Autorin und Schriftstellerin in Genua. ­Die Recherche bei Bibi und den Hafenarbeitern wärmte das Herz der gebürtigen Hamburgerin. Wer mit dem Anblick von Schiffen aufgewachsen ist, die von den Weltmeeren kommen und wieder hinausfahren, fühlt sich in jedem Hafen zu Hause. 


Camillo Pasquarelli, Jahrgang 1988, ist freiberuflicher Fotograf und lebt in Rom und Genua. Erst nach Abschluss seines Studiums der Politikwissenschaft und ­Anthropologie entschied er, sich ganz der Fotografie zu widmen. Heute interessiert er sich vor allem für Langzeitprojekte und beschäftigt sich auch mit Dokumentar­fotografie, die er mit anthropologischen Ansätzen kombiniert
Person Von Kirsten Wulf und Camillo Pasquarelli
Vita Kirsten Wulf, Jahrgang 1963, lebt als freie Autorin und Schriftstellerin in Genua. ­Die Recherche bei Bibi und den Hafenarbeitern wärmte das Herz der gebürtigen Hamburgerin. Wer mit dem Anblick von Schiffen aufgewachsen ist, die von den Weltmeeren kommen und wieder hinausfahren, fühlt sich in jedem Hafen zu Hause. 


Camillo Pasquarelli, Jahrgang 1988, ist freiberuflicher Fotograf und lebt in Rom und Genua. Erst nach Abschluss seines Studiums der Politikwissenschaft und ­Anthropologie entschied er, sich ganz der Fotografie zu widmen. Heute interessiert er sich vor allem für Langzeitprojekte und beschäftigt sich auch mit Dokumentar­fotografie, die er mit anthropologischen Ansätzen kombiniert
Person Von Kirsten Wulf und Camillo Pasquarelli