Strauss, übernehmen Sie!

Der Bau der Golden Gate Bridge galt als beispiellose technische Heraus­forderung. Ein bis dato unbekannter Ingenieur schaffte mitten­ in der Wirtschaftskrise das scheinbar Unmögliche

An manchen Tagen konnte sich Bob Patching kaum auf den Beinen halten. Vor allem, wenn die Flut an ihm zerrte. Und dann die Dunkelheit. Vorsichtig stapfte Bob voran, ertastete die Felsen und die Steine unter seinen Bleisohlen. Obwohl das Wasser kalt war, sickerte ihm der Schweiß in die Ärmel seines Taucheranzugs.

Das Strahlrohr in seiner Hand wog schwer. Aus dem Schlauch jagte mit enormem Druck ein Wasserstrahl. Im Dunkeln richtete Bob das Rohr dorthin, wo er loses Gestein vermutete. Ob er getroffen hatte, verriet ihm das metallische Klickern, wenn die Brocken purzelten. Nach nur 24 Minuten ging es wieder aufwärts. Länger durften Bob und die anderen nicht unten bleiben. In 30 Meter Tiefe sammelt sich vermehrt Stickstoff im Blut. Beim Auftauchen perlt er aus wie Kohlendioxid aus der Seltersflasche, was tödlich sein kann. Viermal täglich konnten die Taucher für 24 Minuten hinab. Das ist nicht gerade viel, wenn man im Begriff ist, die längste Brücke der Welt zu bauen.

Damals, im Januar 1933, gehörten Bob Patching und seine Kumpel zu den ersten Arbeitern am Golden Gate, dem Goldenen Tor, der gut zwei Kilometer breiten Meerenge zwischen San Francisco und dem Marin County. Zunächst galt es, die Fundamente für die Pylonen, die großen Stützpfeiler der Brücke, fertigzustellen. Auf der Seite von San Francisco sollte der Pylon 370 Meter vom Ufer entfernt im Wasser stehen. Die Taucher sprengten den Fels, manche Explosionen waren so stark, dass sie Fische ans Ufer schleuderten. Anschließend tauchten die Männer hinab und spülten das Geröll am Meeresgrund weg, um eine Fläche von Fußballfeldgröße frei zu machen, einen Stellplatz für den mächtigen Pfeiler aus 44 000 Tonnen Stahl.

Angefangen hatte alles mit einem Artikel im „San Francisco Call Bulletin“, der im Jahr 1916 erschien. Darin rief der Autor dazu auf, Vorschläge für eine Brücke einzureichen. Die meisten Experten hielten die Idee für Spinnerei. In der Meerenge sei die Gezeitenströmung viel zu stark, hieß es, ebenso der Wind, der nicht selten mit bis zu 100 Kilometern in der Stunde bläst. Außerdem sei das Meer an dieser Stelle bis zu 115 Meter tief. Andere aber inspirierte der Artikel, Michael O’Shaughnessy zum Beispiel, den Stadtplaner von San Francisco. Er schickte Schiffe los, um den Meeresboden per Echolot abtasten zu lassen. Das Ergebnis ließ ihn aufhorchen: festes Serpentinitgestein, stark genug, um ein großes Bauwerk zu tragen.

O’Shaughnessy machte sich nun auf die Suche nach erfahrenen Ingenieuren. Bei drei Experten fragte er an: Ist eine Brücke machbar? Einer der Experten war Joseph Strauss. Zwar hatte der Ingenieur aus Chicago bisher nur einige kleine Klapp- und Zugbrücken gebaut. Doch seine Ideen waren umso spektakulärer. Für seine Examensarbeit etwa erdachte Strauss eine Brücke über die Beringstraße von Russland nach Amerika. Der Mann galt als Visionär, als einer, der besessen war von Brücken.

Für die Golden-Gate-Brücke schätzte Strauss die Baukosten auf 25 bis 30 Millionen Dollar. Seine Kalkulation überzeugte, doch der erste Entwurf, den er vorlegte, war eine Enttäuschung. Strauss wollte ein klobiges Stahlgerüst in die Meerenge rammen. Und das, obwohl es in den USA und in Kanada längst schlankere, schönere Brücken gab. Schon 1883 hatte man in New York den East River mit der Brooklyn Bridge überspannt, der damals längsten Hängebrücke der Welt mit triumphalen Pylonen aus Steinquadern. Und in Detroit hatte man 1929 die Ambassador Bridge eröffnet, die wiederum die längste Hängebrücke ihrer Zeit war. Hängebrücken und Längenrekorde waren populär, und nun kam Strauss mit einem monströsen Gestell. O’Shaughnessy und die Behörden lehnten ab. Er musste nachbessern.

Strauss engagierte daraufhin weitere Experten, darunter den US-schweizerischen Ingenieur Othmar Ammann, den Mathematiker Charles Ellis und den Architekten Irving Morrow. Strauss, der Visionär, mit Rechenkünstlern und Kreativen an seiner Seite – gemeinsam entwickelten sie schließlich die Brücke, die mit 2737 Metern die längste Hängebrücke der Welt werden sollte.

Eine besondere Herausforderung war allerdings weniger die Gesamtlänge, sondern die wahnwitzig große Spannweite, das heißt die Entfernung zwischen den Pylonen. Wie viel Stahl kann man dazwischen aufhängen, ohne dass die Brücke bricht? In San Francisco sollten es 1280,2 Meter sein.

Zunächst aber gab es Gegenwind. Das Kriegsministerium lehnte den Bau ab – im Nebel könnten Schiffe die Pfeiler rammen. Dann bereitete eine Fährgesellschaft eine Klage vor, weil sie Konkurrenz fürchtete. Zudem stürzte 1929 nach dem New Yorker Börsenkrach die Weltwirtschaft in eine schwere Krise. Jetzt schienen selbst die relativ günstigen 30 Millionen Dollar unbezahlbar.


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mare No. 99

No. 99August / September 2013

Von Tim Schröder

Der Oldenburger Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, findet die Golden Gate Bridge schön. Wirklich faszinierend aber ist für ihn das Viaduc de Millau in Südfrankreich, die mit 2460 Metern längste Schrägseilbrücke der Welt.

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Vita Der Oldenburger Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, findet die Golden Gate Bridge schön. Wirklich faszinierend aber ist für ihn das Viaduc de Millau in Südfrankreich, die mit 2460 Metern längste Schrägseilbrücke der Welt.
Person Von Tim Schröder
Vita Der Oldenburger Wissenschaftsjournalist Tim Schröder, Jahrgang 1970, findet die Golden Gate Bridge schön. Wirklich faszinierend aber ist für ihn das Viaduc de Millau in Südfrankreich, die mit 2460 Metern längste Schrägseilbrücke der Welt.
Person Von Tim Schröder