Strandurlaub macht sexy

Vom idealen Meer der Romantik bis zum heutigen Urlaubs-Selfie – das Meer war stets eine Projektionsfläche unserer Sehnsüchte

Der Begriff des Erhabenen war um 1750 unter Londoner Intellektuellen umstritten. Die ästhetische Empfindsamkeit und die sinnliche Erfahrung von Naturphänomenen verstand man als Gegenposition zu der von Vertretern der Aufklärung angestrebten Rationalität und dem vernunftbasierten Menschenbild. Das Erhabene stand über dem bloßen Eindruck des Schönen; während man eine schöne Landschaft durch Attribute wie „zart“, „hell“ und „rein“ beschrieb, sprach man einer erhabenen Natur kräftige, majestätische, düstere und endlose Farbstimmungen zu. Eine solche Natur erweckte Gefühle des Schreckens, der Überwältigung, des Schmerzes und der Ekstase.

In der Kulturbewegung der Romantik begriffen Dichter, Schriftsteller und Maler die Natur als Spiegel menschlicher Gefühle und Temperamente. Das Meer bot hierfür günstigere Projektionsmöglichkeiten als etwa eine erstarrte Berglandschaft. Seine sich stets bewegende, wandelbare und unerschöpfliche Dynamik erinnerte den Betrachter an emotionale Reaktionen und expressive Ausdrucksformen eines fühlenden Wesens. Dementsprechend schufen Maler der Romantik, wie William Turner, Meeresbilder mit peitschenden und aufbrausenden Turbulenzen, die sich durch eine wilde Pinselführung an der Grenze zur Abstraktion bewegten. Die bunte und kräftige Palette der apokalyptischen Wirbelstürme erstreckt sich von gelben und roten Tönen bis hin zu Rosa, Braun und Schwarz.

Der empfindsame Blick auf die Weite des Meeres rief in den Romantikern aber auch eine große Sehnsucht nach Ferne und einem besseren Leben hervor. Die Suche nach metaphysischen Erfahrungen, nach der Liebe und einem Ort, der die Synergie aller Sinne begünstigt, verknüpften sie eng mit der Meereslandschaft. Caspar David Friedrich schuf mit dem Werk „Kreidefelsen auf Rügen“ zwar ein sanfteres Bild des Meeres, dennoch konstruierte er das Wasser aus mehreren Schichten bunter, an Regenbogen erinnernde Farben. Das Betrachten dieser dichten Meeresoberfläche sollte Hoffnung, aber auch Erschauern vor der Unendlichkeit vermitteln. Der romantische Naturrezipient wollte eins werden mit der Natur, das Meer galt als farbintensive und mächtige Gewalt, die den Menschen zum fühlenden Innehalten anregte.

Während eine Berglandschaft eine räumliche Orientierung, eine visuelle Strukturierung und topografische Marken bietet, eröffnet der Blick aufs Meer und den fernen Horizont einen weiten, unendlich erscheinenden Raum. Die geografische Verortung erscheint hier wesentlich schwieriger, die unscharfe, horizontale Linie teilt das Sichtbare und Unsichtbare in zwei Elemente und lässt sie in der Ferne miteinander verschmelzen. Der Meeresraum ist tastbar und bleibt gleichzeitig abstrakt – dies sind essenzielle Eigenschaften, die eine subjektive und vor allem auch künstlerische Projektion begünstigen. Was der Mensch vermisst, wird in diese Weite hineinprojiziert, auch das Göttliche.

Um 1900 entwarfen die Lebensreformer eine andere Vorstellung, die von einem vitalen anstatt erhabenen Wasser: Schlagwörter wie „Klarheit“ und „Wahrhaftigkeit“ wurden populär und schienen das mystisch aufgeladene, farbenreiche Meer reinwaschen zu wollen. Die Rezeption des Meeres war nun eher eine performative anstatt eine ästhetische: Der Mensch fühlte sich durch die Großstadt erkrankt und suchte nach Heilung im Seebad. Die Sensibilisierung für die Hygiene sowie die Körper- und Gesundheitspflege verlangten folglich nach klarem Wasser, es stand für das Praktische, das Unverfälschte und das natürlich Erlösende. Die Lebensreformer verspürten das Gefühl, ihre Würde durch die Industrialisierung und die Lebensbedingungen in der Polis verloren zu haben, so suchten sie eine neue Körper-, Kunst- und Naturschönheit, um ihrem körperlichen Verfall und dem Verlust ihres Naturells entgegenzuwirken.

Als Bedrohung galt die Erkrankung an Neurasthenie, eine Diagnose, die ein um die Jahrhundertwende populäres Nervenleiden umfasste. Ähnlich wie heute Burn-out wurde sie als epochales Krankheitsbild behandelt. Wasser- und Naturheilstätten erlebten einen Aufschwung. Dank neuer Verkehrswege konnten um die Jahrhundertwende breitere Bevölkerungsteile Ausflüge in die Natur unternehmen oder am Wochenende ans Meer fahren.


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mare No. 109

No. 109April / Mai 2015

Von Larissa Kikol

Larissa Kikol, geboren 1986, ist freie Dozentin der Kunstwissenschaft und der Medienphilosophie in Karlsruhe und Berlin. Ein Forschungsschwerpunkt der Doktorandin ist die Bilduntersuchung von künstlerischer und künstlicher Natur. Die Autorin wuchs auf dem Land auf, fernab vom Meer, aber immerhin mit einer Dauerkarte für das Wellenbad.

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Vita Larissa Kikol, geboren 1986, ist freie Dozentin der Kunstwissenschaft und der Medienphilosophie in Karlsruhe und Berlin. Ein Forschungsschwerpunkt der Doktorandin ist die Bilduntersuchung von künstlerischer und künstlicher Natur. Die Autorin wuchs auf dem Land auf, fernab vom Meer, aber immerhin mit einer Dauerkarte für das Wellenbad.
Person Von Larissa Kikol
Vita Larissa Kikol, geboren 1986, ist freie Dozentin der Kunstwissenschaft und der Medienphilosophie in Karlsruhe und Berlin. Ein Forschungsschwerpunkt der Doktorandin ist die Bilduntersuchung von künstlerischer und künstlicher Natur. Die Autorin wuchs auf dem Land auf, fernab vom Meer, aber immerhin mit einer Dauerkarte für das Wellenbad.
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